Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
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»Wüßte ich nur, ob es für Euch gut ist, Shaw!« bemerkte er und starrte mich über seine Brillengläser an. »Es geschieht, um einen anderen zu retten,« entgegnete ich, »und um mein Wort einzulösen. Gibt es etwas Besseres? Habt Ihr die Heilige Schrift vergessen, Andie, und haltet doch die Bibel auf dem Schoß? Was hülfe es ihm, wenn er die ganze Welt gewönne!« »Ja,« sagte er, »für Euch ist das recht schön und gut. Aber wo bleibe ich derweil? Ich hab genau wie Ihr mein Wort einzulösen. Und was verlangt Ihr anders, als daß ich's Euch gegen Geld verkaufe?«
»Andie! Habe ich das Wort Geld gebraucht?« rief ich. »Bah! Das Wort hat nichts zu sagen,« erwiderte er, »das Zeugs steckt doch dahinter. Ich will Euch sagen, worauf es hinauskommt: erweis ich Euch den Dienst, den Ihr verlangt, so verlier ich meine Stellung. 'S ist klar, daß Ihr in dem Fall für mich aufkommen müßt und mir, so um der Ehre willen, noch was draufzahlen werdet. Und ist das etwa keine Bestechung? Und wenn mir die wenigstens sicher wäre! Aber soviel ich weiß, ist sie das durchaus nicht. Wenn Ihr nun hängen müßt, was wird dann aus mir? Nein! die Sache ist unmöglich. Also seid ein guter Junge und laßt Andie in Ruhe sein Kapitel lesen.«
Ich weiß, im Grunde meines Herzens war ich von diesem Ergebnis sehr befriedigt; die Folge war, daß ich in eine Stimmung – fast hätte ich gesagt – von Dankbarkeit verfiel, Dankbarkeit gegen Prestongrange, der mich auf diese gewaltsame, ungesetzliche Art aus all meinen Gefahren, Versuchungen und Verwicklungen herausgerissen hatte. Aber diese Selbstlüge war allzu feige und fadenscheinig, um zu dauern, und die Erinnerung an James begann von neuem von mir Besitz zu ergreifen. Den 21., den Tag, der für die Verhandlung angesetzt war, verbrachte ich in solcher Seelenqual, wie ich sie, meines Wissens nach nur noch auf der Insel Earraid erduldet habe. Die meiste Zeit lag ich in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachen irgendwo auf einem Hügel ausgestreckt, äußerlich regungslos, innerlich von aufrührerischen Gedanken zerrissen. Mitunter schlief ich tatsächlich ein; aber der Gerichtssaal von Inverary und der Gefangene, der sich in allen Winkeln nach seinem fehlenden Zeugen umschaute, verfolgten mich bis in meine Träume; und ich fuhr aus dem Schlafe auf, mein Körper wie zerschlagen, meine Seele von Verzweiflung umnachtet. Ich glaubte zu bemerken, daß Andie mich beobachtete, aber ich achtete wenig darauf. Wahrlich, mein Brot schmeckte bitter und meine Tage wurden mir zur Last. Früh am folgenden Morgen, Freitag, den 22., kam ein Boot mit Proviant zu uns herüber, und Andie legte ein versiegeltes Päckchen in meine Hände. Der Umschlag war ohne Adresse, aber mit einem amtlichen Siegel verschlossen. Er enthielt zwei Billette. »Mr. Balfour wird jetzt von sich aus erkannt haben, daß es zu spät ist, sich einzumischen. Sein Betragen wird beachtet und seine Diskretion belohnt werden.« Das war der Inhalt des ersten Zettels, der mühsam mit der linken Hand geschrieben war. Ganz entschieden besagten seine Worte nichts, das den Schreiber kompromittieren konnte, selbst wenn man diese Persönlichkeit ausfindig machte; das imponierende Siegel, das als Unterschrift diente, war einem zweiten, völlig leeren Blatt Papier angeheftet; und ich mußte zugeben, so weit wußten meine Gegner genau, was sie taten; ich suchte daher nach Möglichkeit die Drohung zu verdauen, die unter der Verheißung hervorlugte. Doch die zweite Einlage war bei weitem überraschender. Sie war von einer Dame im breitesten Dialekt geschrieben. »Dem Junker Dauvit Balfour wird hierdurch mitgeteilt, daß eine Freundin sich nach ihm erkundigt hat, und ihre Augen waren grau«, so lauteten die Worte, – ein so seltsames Schriftstück und unter so seltsamen Umständen – der Augenblick und das amtlich versiegelte Dokument – in meine Hand gespielt, daß ich wie betäubt dastand. Catrionas graue Augen leuchteten in meiner Erinnerung auf. Ein Glücksgefühl durchschauerte mich: sie mußte die Freundin sein. Doch wer war die Schreiberin, die ihr Billett mit Prestongranges einschloß? Und – Wunder über Wunder – weshalb hielt man es für notwendig, mir diese angenehme, doch belanglose Botschaft nach der Insel Baß zu senden? Als Schreiberin kam für mich niemand anders als Miß Grant in Betracht. Ich erinnerte mich: ihrer Familie waren Catrionas Augen aufgefallen, ja man hatte das Mädchen nach ihren Augen benannt, und Miß Grant selbst hatte die Gewohnheit gehabt, wahrscheinlich um mein bäuerisches Wesen zu verspotten, mich in breitem Dialekt anzureden. Außerdem wohnte sie ja zweifellos in dem Hause, aus dem der Brief stammte. Also gab es nur noch einen Umstand zu erklären: wie kam Prestongrange dazu, sie in ein derartiges Geheimnis einzuweihen und ihr tolles Billett mit seinem zu befördern? Aber auch hier vermutete ich mancherlei. Einmal schien mir die junge Dame selbst eine etwas gefährliche Person, und ihr Papa konnte mehr unter ihrem Pantoffel stehen, als ich wissen durfte. Und dann gab es noch des Mannes konsequente Politik zu bedenken, sein Benehmen mir gegenüber, ständig mit Schmeichelei untermischt, und die Tatsache, daß er selbst in einem solchen Zwist niemals die Maske der Freundschaft hatte fallen lassen. Er mußte annehmen, daß meine Gefangennahme mich wütend machte. Vielleicht sollte diese scherzhafte, freundschaftliche kleine Botschaft meinen Zorn entwaffnen. Ich will ehrlich sein – ich glaube, es glückte ihm. Ich spürte plötzlich eine warme Zuneigung für die schöne Miß Grant, die sich herabgelassen hatte, ein so lebhaftes Interesse für meine Angelegenheiten zu bezeugen. Allein die Erwähnung Catrionas genügte, um mildere und feigere Gedanken in mir wachzurufen. Wußte der Lord Staatsanwalt von ihr und unserer Bekanntschaft – erregte ich durch jene ›Diskretion‹ von der in seinem Briefe die Rede war, sein Wohlwollen – wozu konnte das nicht alles führen? ›Vergeblich stellet er im Angesicht der Vögel seine Netze!‹ heißt es in der Bibel. Nun, Vögel müssen weiser als Menschen sein, denn ob ich auch ihre Absichten durchschaute, fügte ich mich doch darein.
So dachte ich klopfenden Herzens und sah vor mir, deutlich wie zwei Sterne, die grauen Augen, als Andie mein Sinnen unterbrach. »Ihr habt gute Nachrichten erhalten«, bemerkte er.
Ich fand, daß er mich neugierig musterte; da tauchten visionär James Stuart und der Gerichtssaal von Inverary vor mir auf, meine Seele drehte sich gleich einer Tür in ihren Angeln, und das erste Bild versank. Verhandlungen, überlegte ich mir, ziehen sich mitunter mehr in die Länge, als man glaubt. Selbst wenn ich einen Augenblick zu spät nach Inverary kam, konnte ich vielleicht noch etwas in James' Interesse unternehmen – und mein eigener Ruf wurde auf diese Art am besten gewahrt. Im Handumdrehen, gleichsam ohne jedes Besinnen, stand mein Plan fest.
»Andie«, forschte ich, »bleibt es bei morgen?«
Er sagte mir, nichts hätte sich darin geändert.
»Ist irgend eine Stunde angegeben?«
»Zwei Uhr nachmittags«, antwortete er.
»Und wie steht's mit dem Ort?« fuhr ich fort.
»Welchem Ort?« fragte Andie.
»Dem Ort, an dem ich abgesetzt werden soll?«
Er gestand, darüber wäre nichts vereinbart worden.
»Nun gut,« sagte ich, »dann werde ich ihn bestimmen.
Der Wind kommt von Osten, mein Weg führt nach Westen; behaltet Euer Boot, ich miete es; wir wollen heute den ganzen Tag den Forth hinaufsegeln, und morgen um zwei Uhr sollt Ihr mich am westlichsten Punkt, den wir erreichen können, landen.«
»Ihr seid ein toller