DER AUFBRUCH. Michael Wächter

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DER AUFBRUCH - Michael Wächter Die Raumsiedler von Puntirjan

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versuchte es. Er breitete die Flügel aus und genoss es, sich sanft in der Luft gleiten zu lassen. Ein Aufwind kam ihm entgegen – er schwebte fast bewegungslos.

      „Sportliche Leistung, gut gemacht! Du hast es geschafft und bist gerade genau mit fast nur einem Katannu gesegelt – einem Kattu pro Annu!“, sagte sein Gerät (Auf irdische Maße umgerechnet sind ein Kattu pro Annu 1,16 km/h oder 0,32 m/s).

      Er segelte noch ein wenig und landete auf der Spielwiese. In der Pause erholte er sich von diesen „Trivialitäten“ bei einem eisgekühlten Ravrokyltee. Es war Sommer geworden in Joséfien, doch die Sommer allgemein waren dank des maritimen Klimas mild. Die Temperatur war über Puntirjans Normtemperatur gestiegen, obwohl ein ungewöhnlich scharfer Südostwind trockene Wüstenluft nach Monastair geweht hatte.

      Kapitel 6

      An der Grenze zwichen der Cisnair République und Sarkar klappte alles wie am Schnürchen. Das Shuttle kam und Familie Fiscaux-Auflingé ging an Bord, selbst Fisca, doch das wohl eher, weil sie noch nicht so recht wusste, wohin es ging. Sie erreichten das Sar-Gebiet, ohne von den Reichsgrenzschutzdrohnen bemerkt worden zu sein.

      Die Ankunft auf Gugay Fiscaux’ Insel fand ohne großes Aufsehen statt. Es hatte Gugay viel Energie gekostet, Tüngör von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Insel für die République vereinnahmen zu müssen. Das Ziel seines Energieeinsatzes war erst erreicht, als er Tüngör als Kandidaten für den goldenen Orden der Großrépublique am Bande bezeichnete.

      Lithiumerz! Endlich standen sie auf dem als heißesten Geheimtipp gehandelten Erzfelsen aus dem begehrten Stoff. Lithiumerze wurden aufbereitet, das Lithium-6-Isotop war begehrt bei den Aufkäufern der Fusionsindustrie, und Lithium-7 diente als Rohstoff für die Produktion von Akkus aller Art. Reines Lithium-6-Metall war auf Puntirjan teuer als Gold.

      Gugay taufte die Insel auf den Namen „Erz-Felsen von Fiscauflingé“. An ihrem höchsten Punkt erhob sie sich gerade einmal mannshoch über die Wasseroberfläche des Sars. Einige hundert Schritte von der Mündung entfernt hatte das Wasser nur noch einen leichten Salzgehalt, und der Ravrokylbestand war dichter geworden. Ravrokylen waren die häufigsten Landpflanzen des Planeten, welche ganze Wälder bilden. Sie sahen ein wenig aus wie übergroße Riesenschachtelhalme, ein wenig auch wie Grashalme, an deren Spitzen Palmblätter und bananenartige Früchte wuchsen. Sie waren das Grundnahrungsmittel auf Puntirjan, Gugay jedoch verspürte keinen Hunger. Es galt, eine „vaterländische Pflicht“ zu erfüllen. Und Erzproben zu nehmen.

      Gugay, Tüngör und ihre Begleiter fanden etwas hinter dem Ufer der Insel eine große Lichtung inmitten der Ravrokylwälder. Auf ihr hatten Gugays Begleiter ein Dutzend Zelte aufgebaut. Inmitten der Lichtung befand sich auch eine vereinzelt dastehende, turmhohe Blau-Ravrokyl. Ihr Rumpf war so groß, dass es Dutzende von Flügelschlägen brauchte, um zu seiner Spitze hochfliegen zu können. Die Pflanze selbst war abgestorben, ohne Früchte und Blätter. Gugay deutete mit der Flügelspitze auf diese Ravrokyl.

      „Hier hängen wir den Sender auf!“, sagte Gugay.

      „Wen?“, krächzte Tüngör erschrocken. „Wen willst du hängen sehen?“

      „Den Sender für das „Gris-Quadre“-Hoheitszeichen natürlich, Tüngörlein!“, grinste Gugay. Er hielt den Sender für das "Gris Quadre" der Cisnair République fest, machte ein Holo-Video von der Szene mit der Mobilfunk-Cam-Unit seines Minismartphones, und funkte es an die Naturreservats-Verwaltungen von Clénairville und Sarkugratt.

      Gugay spürte eine tiefe, vaterländische Wärme im Inneren. Er ließ seinen Blick den Rumpf emporgleiten. Er wollte einen Krøg-Flachmann aus dem Gefieder ziehen, doch dann ließ er stattdessen den cisnairschen Nationalruf ertönen. Einen kurzen Moment später standen sie still.

      „Mach schon“, gab Gugay von sich.

      Etwas widerwillig nahm Tüngör den Sender in die Hand, flog den Ravrokylrumpf hoch und befestigte ihn oben an der Spitze. Dann aktivierte er ihn und funkte das traditionelle "Hoch lebe M. Germaing Ebertaing, der Président der Cisnair République!".

      Die Information von der lächerlichen Vereinnahmung der kleinen Insel im Sar durch Grenzverletzer aus Cisnair wurde zunächst von der fliegenden Reichsgrenzschutzgarde ignoriert. Sie brauchte elf Puntirjanminuten, bis sie in Sarkugratt in der persönlichen Mailbox des Westgebietsgouverneurs auftauchte, doch gelesen wurde sie dort erst einen halben Puntirjanday später.

      Es war bereits Abend in Monastair. Die I.P.O. empfing Signale einer ihrer Relaisstationen aus dem interstellaren Raum. Sie wurden aufbereitetet und zeigten an, dass die puntirjanischen Raumsonden in über elf Lichtjahren Entfernung ihr Ziel erreicht hatten, vor elf Jahren. Sie hatten erste Holo-Bilder von den noch fernen Planeten des Altakolsystems aufgenommen und an die Dschersi-Transponder weitergeleitet, die die I.P.O. im interstellaren Raum positioniert hatte. Der dritte und vierte Planet waren bewohnbar, und die Wissenschaftler und Regierungsvertreter aus allen Nationen auf Puntirjan dachten darüber nach, wie man die fremde Welt um Altakol dereinst kolonisieren könnte, falls sie vielleicht schon bewohnt sein sollte. Sollte man sie in partnerschaftlich-demokratischer Vereinigung mit den Einwohnern besiedeln, wie es die I.P.O. propagierte? Oder sollte man sie besetzen und vereinnahmen, eine imperiale Okkupation und Assimilation, wie sie der Kaiser von Sarkar im Sinn hatte? So oder so, die Sonden jedenfalls waren nur Vorboten. Unbemannte Kundschafter einer kommenden Invasion heranfliegender, puntirjanischer Roboterschiffe, denen die Raumfahrer und Reise-Welten der I.P.O. folgen sollten.

      Kapitel 7

      Sarkugratt lag in tiefster Provinz, im Buschland oberhalb der Küstenniederung. Es bestand aus insgesamt vier Handelsstationen, die im Besitz indjarscher und westsarkarischer Kaufleute waren, und der Festung des sarkarischen ReichsGouverneurs.

      Es hatte einen black-out im Interfunk-Netz von Sarkar gegeben, und so war Abend geworden, bis dass die Nachricht von der cisnairschen Inbesitznahme der Deltainsel eintraf. Zu dem Zeitpunkt, da der Bote mit der Nachricht über den letzten Hügel geflogen kam und durch die Ravrokylenwälder die kleine Gebäudegruppe von Sarkugatt vor sich liegen sah, war Provinzgouverneur Aru gerade damit beschäftigt, sein Mittagsmahl einzunehmen.

      Er war ein Puntirjaner von großem Appetit. Das heutige Mahl bestand annähernd aus zwei Großlurchen, einer Flugechsenkeule, zwei Tellern Ravrokylsamenkörnern, einem halben Krug Krøg und einem Becher Ravrokylmilch. Nachdem er seine Geschmacksnerven damit geweckt hatte, machte er sich über eine Lurchfleischwurst her. Er pickte die für Puntirjaner unüblichen Speisesorten gierig mit seinem Schnabel auf, und seine gewaltigen Nahrungsportionen verursachten regelmäßige Blähungen, deren Druck ihm in der Schwüle den salzigen Schweiß aus den Poren unter dem Gefieder trieb. Immer wieder musste er sich deshalb gründlich putzen.

      Er gab schließlich ein tiefes, sattes Gurren von sich und plumpste in sein Kissen, dessen Nähte ob des plötzlichen Luftdruckes einige Flaumfedern freigaben fast wie sein Körper die Blähungen. Er musste nun eine ganze Zeit lang warten, ehe seine Flugtauglichkeit wieder hergestellt war.

      Da erreichte ihn die Nachricht. Arfazzu Aru betrachtete das Display mit düsterem Blick. Seine gute Laune war weg, denn er hatte ein Ruhepäuschen im Sinn gehabt. Er fixierte die Wolke dicht über den Hügeln im Süden, schlürfte sein Krøg aus und wischte sich die Wurstreste vom Mund.

      „Mist!“ knurrte er, und öffnete die Videobotschaft mit einem Klick. Der Nachrichten-Unteroffizier blickte ängstlich und voller Respekt in die Kamera des Reichskommandeurs von Westsarkar.

      „Heil Arefazom, dem Elften Sarjowairkaiser.

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