Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen страница 28
»Aber was ist denn das!« sagte der Kaiser. Und alle Hofleute schalten und meinten, daß die Nachtigall ein höchst undankbares Thier sei. »Den besten Vogel haben wir doch!« sagten sie; und so mußte denn der Kunstvogel wieder singen, und das war das vierunddreißigste Mal, daß sie dasselbe Stück zu hören bekamen. Sie konnten es dessenungeachtet doch nicht auswendig; es war gar zu schwer. Und der Spielmeister lobte den Vogel außerordentlich; ja, er versicherte, daß er besser als eine Nachtigall sei, nicht nur was die Kleider und die vielen herrlichen Diamanten beträfe, sondern auch innerlich.
»Denn sehen Sie, meine Herrschaften, der Kaiser vor Allen! bei der wirklichen Nachtigall kann man nie berechnen, was da kommen wird; aber bei dem Kunstvogel ist Alles bestimmt! Man kann es erklären, man kann ihn öffnen und dem Menschen begreiflich machen, wie die Walzen liegen, wie sie gehen, und wie das Eine aus dem Andern folgt!«
»Das sind auch unsere Gedanken!« sagten Alle, und der Spielmeister erhielt die Erlaubniß, am nächsten Sonntage den Vogel dem Volke vorzuzeigen. Es sollte ihn auch singen hören, befahl der Kaiser. Und es hörte ihn; und es wurde so vergnügt, als ob es sich in Thee berauscht hätte, denn das ist chinesisch; da sagten Alle: »Oh!« und hielten den Zeigefinger in die Höhe und nickten dazu. Die armen Fischer jedoch, welche die wirkliche Nachtigall gehört hatten, sagten: »Das klingt hübsch genug; die Melodien gleichen sich auch; aber es fehlt Etwas, ich weiß nicht was!«
Die wirkliche Nachtigall wurde aus dem Lande und Reiche verwiesen.
Der Kunstvogel hatte seinen Platz auf einem Seidenkissen dicht bei des Kaisers Bette; alle die Geschenke, welche er erhalten, Gold und Edelsteine, lagen rings um ihn her, und im Titel war er zu einem »Hochkaiserlichen Nachttisch-Sänger« gestiegen, im Range bis Nummer Eins zur linken Seite. Denn der Kaiser rechnete die Seite für die vornehmste, auf der das Herz saß, und das Herz sitzt auch bei einem Kaiser links. Und der Spielmeister schrieb ein Werk von fünfundzwanzig Bänden über den Kunstvogel; das war so gelehrt und so lang, voll von den allerschwersten chinesischen Wörtern, daß alle Leute sagten, sie hatten es gelesen und verstanden, denn sonst wären sie ja dumm gewesen und wären auf den Leib getrampelt worden.
So ging es ein ganzes Jahr. Der Kaiser, der Hof und alle die andern Chinesen konnten jeden Gluck in des Kunstvogels Gesange auswendig. Aber gerade deshalb gefiel er ihnen jetzt am Allerbesten: sie konnten selbst mitsingen, und das thaten sie auch. Die Straßenbuben sangen: »Zizizi! Gluckgluckgluck!« und der Kaiser sang es ebenfalls. Ja, das war gewiß prächtig!
Eines Abends jedoch, als der Kunstvogel am Besten sang, und der Kaiser im Bette lag und darauf hörte, sagte es inwendig im Vogel »Schwupp«. Da sprang Etwas! »Schnurrrr!« alle Räder liefen herum, und dann stand die Musik still.
Der Kaiser sprang gleich aus dem Bette und ließ seinen Leibarzt rufen; aber was konnte der helfen! Dann ließen sie den Uhrmacher holen, und nach vielem Sprechen und Nachsehen bekam er den Vogel etwas in Ordnung; aber er sagte, daß er geschont werden müsse, denn die Zapfen seien abgenutzt, und es wäre unmöglich, neue so einzusetzen, daß die Musik sicher ginge. Nun war eine große Trauer! Nur einmal des Jahres durfte man den Kunstvogel singen lassen, und das war schon fast zu viel. Aber dann hielt der Spielmeister eine kleine Rede voll inhaltsschwerer Worte und sagte, daß es eben so gut sei, wie früher; dann war es eben so gut, wie früher.
Jetzt waren fünf Jahre vergangen, und das Land bekam eine große Trauer. Die Chinesen hielten im Grunde alle auf ihren Kaiser, und jetzt war er krank und konnte nicht lange mehr leben, sagte man. Schon war ein neuer Kaiser gewählt, und das Volk stand draußen auf der Straße und fragte den Cavalier, wie es ihrem alten Kaiser ginge.
»P!« sagte er und schüttelte mit dem Kopfe.
Kalt und bleich lag der Kaiser in seinem großen, prächtigen Bette; der ganze Hof glaubte ihn todt, und ein Jeder von ihnen lief hin, den neuen Kaiser zu begrüßen. Die Kammerdiener liefen hinaus, um darüber zu schwatzen, und die Kammermädchen hatten große Kaffeegesellschaft. Rings umher in alle Säle und Gänge war Tuch gelegt, damit man keinen Fußtritt vernehme, und deshalb war es da still, ganz still! Aber der Kaiser war noch nicht todt; steif und bleich lag er in dem prächtigen Bette mit den langen Sammetgardinen und den schweren Goldquasten; hoch oben stand ein Fenster offen, und der Mond schien herein auf den Kaiser und den Kunstvogel.
Der arme Kaiser konnte kaum athmen; es war, als ob Etwas auf seiner Brust säße; er schlug die Augen auf, und da sah er, daß es der Tod sei, der auf seiner Brust saß und sich seine goldene Krone aufgesetzt hatte und in der einen Hand des Kaisers goldenen Säbel, in der andern seine prächtige Fahne hielt. Und rings umher aus den Falten der großen, sammtnen Bettgardinen sahen wunderbare Köpfe hervor: einige häßlich, andere lieblich und mild. Das waren alle des Kaisers böse und gute Thaten, welche ihn anblickten, jetzt da der Tod ihm auf dem Herzen saß.
»Entsinnest Du Dich dieses?« flüsterte Einer nach dem Andern. »Erinnerst Du Dich dessen?« Und dann erzählten sie ihm so viel, daß ihm der Schweiß von der Stirne rann.
»Das habe ich nicht gewußt!« sagte der Kaiser. »Musik! Musik! die große chinesische Trommel!« rief er; »damit ich nicht Alles zu hören brauche, was sie sagen!«
Und sie fuhren fort, und der Tod nickte wie ein Chinese zu Allem, was gesagt wurde.
»Musik, Musik!« schrie der Kaiser. »Du kleiner herrlicher Goldvogel! Singe doch, singe! Ich habe Dir ja Gold und Kostbarkeiten gegeben; ich habe Dir selbst meinen goldenen Pantoffel um den Hals gehängt: singe doch, singe!«
Der Vogel aber stand still; es war Niemand da, ihn aufzuziehen, und sonst sang er nicht; aber der Tod fuhr fort, den Kaiser mit seinen großen, hohlen Augen anzustarren; und still war es, schrecklich still!
Da klang auf einmal vom Fenster her der herrlichste Gesang: es war die kleine, lebende Nachtigall, welche auf einem Zweige draußen saß. Sie hatte von der Noth ihres Kaisers gehört und war deshalb gekommen, ihm Trost und Hoffnung zu singen. Und wie sie sang, wurden die Gespenster immer bleicher und bleicher; das Blut kam immer rascher und rascher in des Kaisers schwachen Gliedern in Bewegung, und selbst der Tod horchte und sagte: »Fahre fort, kleine Nachtigall! fahre fort!«
»Ja, willst Du mir den prächtigen goldenen Säbel geben? Willst Du mir die reiche Fahne geben? Willst Du mir des Kaisers Krone geben?«
Und der Tod gab jedes Kleinod für einen Gesang; und die Nachtigall fuhr noch fort zu singen; sie sang von dem stillen Gottesacker, wo die weißen Rosen wachsen, wo der Flieder duftet, und wo das frische Gras von den Thränen der Ueberlebenden befeuchtet wird. Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem Garten und schwebte, wie ein kalter, weißer Nebel, aus dem Fenster.
»Dank, Dank!« sagte der Kaiser. »Du himmlischer, kleiner Vogel! Ich kenne Dich wohl! Dich habe ich aus meinem Lande und Reiche gejagt! Und doch hast Du die bösen Gesichter von meinem Bette weggesungen, den Tod von meinem Herzen weggeschafft! Wie kann ich Dir lohnen?«
»Du hast mich belohnt!« sagte die Nachtigall. »Ich habe Deinen Augen Thränen entlockt, als ich das erste Mal sang: das vergesse ich nie! Das sind Juwelen, die ein Sängerherz erfreuen! – Aber schlafe nun und werde wieder frisch und stark! Ich werde Dir etwas vorsingen!«
Und sie sang – und der Kaiser fiel in einen süßen Schlummer. Ach! wie mild und wohlthuend war der Schlaf!
Die Sonne schien durch die Fenster zu ihm herein, als er gestärkt und gesund erwachte. Keiner von seinen Dienern war noch zurückgekehrt, denn sie glaubten, er sei todt; nur die Nachtigall saß noch bei ihm und sang.
»Immer mußt Du bei mir bleiben!« sagte der Kaiser. »Du sollst nun