Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen страница 30
»Sieh doch, wie wunderbar lieblich Gott sie gemacht hat!« sagte sie. »Ich will, sie mit dem Apfelzweige zusammen malen, den finden Alle so unendlich schön, aber auch diese arme Blume hat auf eine andere Weise ebenso viel vom lieben Gott erhalten; so verschieden sie auch sind, sind sie doch beide Kinder im Reiche der Schönheit!«
Der Sonnenstrahl küßte die ärmliche Blume und den blühenden Apfelzweig, dessen Blätter dabei zu erröthen schienen.
Der Garten des Paradieses.
Es war einmal ein Königssohn; Niemand hatte so viele schöne Bücher, wie er; Alles, was in dieser Welt geschehen, konnte er darin lesen und die Abbildungen in prächtigen Kupferstichen erblicken. Von jedem Volke und jedem Lande konnte er Auskunft erhalten; aber wo der Garten des Paradieses zu finden sei, davon stand kein Wort darin; und der, gerade der war es, woran er am Meisten dachte.
Seine Großmutter hatte ihm erzählt, als er noch klein war, aber anfangen sollte, in die Schule zu gehen, daß jede Blume im Garten dieses Paradieses der süßeste Kuchen und die Staubfäden die feinsten Weine wären; auf der einen stände Geschichte, auf der andern Geographie oder Tabelle; man brauche nur Kuchen zu essen, so könne man seine Lection; je mehr man speise, um so mehr Geschichte, Geographie und Tabellen lerne man.
Das glaubte er damals. Aber schon, als er ein größerer Knabe wurde, mehr lernte und klüger ward, begriff er wohl, daß eine ganz andere Herrlichkeit im Garten des Paradieses vorhanden sein müsse.
»O, weshalb pflückte doch Eva vom Baume der Erkenntniß? Weshalb aß Adam von der verbotenen Frucht? Das sollte ich gewesen sein, so wäre es nicht geschehen! Nie würde die Sünde in die Welt gekommen sein!«
Das sagte er damals, und das sagte er noch, als er siebzehn Jahre alt war. Der Garten des Paradieses erfüllte alle seine Sinne.
Eines Tages ging er im Walde allein, denn das war sein größtes Vergnügen.
Der Abend brach an, die Wolken zogen sich zusammen; es fiel ein Regen, als ob der ganze Himmel eine einzige Schleuse sei, aus der Wasser stürze; es war so dunkel, wie es sonst des Nachts nur im tiefsten Brunnen ist. Bald glitt er in dem nassen Grase aus, bald fiel er über die glatten Steine, welche aus dem nassen Felsengrunde hervorragten. Alles triefte von Wasser; es war nicht ein trockner Faden an dem armen Prinzen. Er mußte über große Steinblöcke klettern, wo das Wasser aus dem hohen Moose quoll. Er war nahe daran, ohnmächtig zu werden. Da hörte er ein sonderbares Sausen, und vor sich sah er eine große, erleuchtete Höhle. Mitten in derselben brannte ein solches Feuer, daß man einen Hirsch daran braten konnte. Und das geschah auch. Der prächtigste Hirsch mit seinem hohen Geweihe war auf einen Spieß gesteckt und wurde langsam zwischen zwei abgehauenen Fichtenstämmen herumgedreht. Eine ältliche Frau, groß und stark, als wäre sie eine verkleidete Mannsperson, saß am Feuer und warf ein Stück Holz nach dem andern hinein.
»Komm nur näher!« sagte sie; »setze Dich an das Feuer, damit Deine Kleider trocken werden.«
»Hier zieht es sehr!« sagte der Prinz und setzte sich auf den Fußboden nieder.
»Das wird noch ärger werden, wenn meine Söhne nach Hause kommen!« erwiderte die Frau. »Du bist hier in der Höhle der Winde: meine Söhne sind die vier Winde der Welt; kannst Du das verstehen?«
»Wo sind Deine Söhne?« fragte der Prinz.
»Ja, es ist schwer zu antworten, wenn man dumm gefragt wird,« sagte die Frau. »Meine Sühne treiben es auf eigene Hand; sie spielen Federball mit den Wolken dort oben im Königssaale!« Und dabei zeigte sie in die Höhe.
»Ach so!« sagte der Prinz. »Ihr sprecht übrigens ziemlich barsch und seid nicht so mild, wie die Frauenzimmer, die ich sonst um mich habe!«
»Ja, die haben wohl nichts Anderes zu thun! Ich muß hart sein, wenn ich meine Knaben in Respekt erhalten will; aber das kann ich, obgleich sie Trotzköpfe sind. Siehst Du die vier Säcke hier an der Wand hängen? Vor denen fürchten sie sich eben so, wie Du früher vor der Ruthe hinterm Spiegel. Ich kann die Knaben zusammenbiegen, sag' ich Dir, und dann stecke ich sie in den Sack; da machen wir keine Umstände! Da sitzen sie und dürfen nicht eher wieder umherstreifen, bis ich es für gut erachte. Aber da haben wir den Einen!«
Es war der Nordwind, der mit einer eisigen Kälte hereintrat; große Hagelkörner hüpften auf dem Fußboden hin, und Schneeflocken stöberten umher. Er war in Bärenfellbeinkleidern und Jacke; eine Mütze von Seehundsfell ging bis über die Ohren; lange Eiszapfen hingen ihm am Barte; und ein Hagelkorn nach dem andern glitt ihm vom Kragen der Jacke herunter.
»Gehen Sie nicht gleich an das Feuer!« sagte der Prinz. »Es könnten sonst leicht Gesicht und Hände erfrieren!«
»Erfrieren?« sagte der Nordwind und lachte laut auf. »Kälte ist mein größtes Vergnügen! Was bist Du übrigens für ein Schneiderlein? Wie kommst Du in die Höhle der Winde?«
»Er ist mein Gast,« sagte die Alte; »und bist Du mit dieser Erklärung nicht zufrieden, so kannst Du in den Sack kommen! – Verstehst Du mich nun?«
Sieh, das half; und der Nordwind erzählte von wannen er kam und wo er fast einen ganzen Monat gewesen.
»Vom Polarmeere komme ich,« sagte er; »ich bin auf dem Bäreneilande mit den russischen Walroßjägern gewesen. Ich saß und schlief auf dem Steuer, als sie vom Nordcap wegsegelten; wenn ich mitunter erwachte, flog mir der Sturmvogel um die Beine. Das ist ein komischer Vogel! Der macht einen raschen Schlag mit den Flügeln, hält sie darauf unbeweglich ausgestreckt und hat dann volle Fahrt.«
»Mache es nur nicht zu weitschweifig!« sagte die Mutter der Winde. »Du kamst also nach dem Bäreneilande?«
»Dort ist es schön! Da ist ein Fußboden zum Tanzen, flach wie ein Teller! Halbaufgethauter Schnee mit ein wenig Moos, scharfe Steine und Gerippe von Walrossen und Eisbären lagen umher, sowie auch Riesenarme und Beine mit verschimmeltem Grün. Man möchte glauben, daß die Sonne nie darauf geschienen hätte. Ich blies ein wenig in den Nebel, damit man den Schuppen sehen konnte: das war ein Haus, von Wrackholz erbaut und mit Walroßhäuten überzogen; die Fleischseite war nach außen gekehrt; auf dem Dache saß ein lebendiger Eisbär und brummte. Ich ging nach dem Strande, sah nach den Vogelnestern, erblickte die nackten Jungen, die schrieen und sperrten den Schnabel auf; da blies ich in die tausend Kehlen hinab, und sie lernten den Schnabel schließen. Weiterhin wälzten sich die Walrosse, wie lebendige Eingeweide oder Riesenmaden mit Schweineköpfen und ellenlangen Zähnen!« –
»Du erzählst gut, mein Sohn!« sagte die Mutter. »Das Wasser läuft mir im Munde zusammen, wenn ich Dich anhöre!«
»Dann ging das Jagen an! Die Harpune wurde in die Brust des Walrosses geworfen, sodaß der dampfende Blutstrahl, einem Springbrunnen gleich, über das Eis spritzte. Da gedachte ich auch meines Spieles! Ich blies auf und ließ meine Segler, die thurmhohen Eisberge, die Boote einklemmen. Hui! wie man pfiff und wie man schrie; aber ich pfiff lauter! Die todten Walroßkörper, Kisten und Tauwerk mußten sie auf das Eis auswerfen; ich schüttelte die Schneeflocken über sie und ließ sie in den eingeklemmten Fahrzeugen mit ihrem Fange nach Süden treiben, um dort Salzwasser zu kosten. Sie kommen nie mehr nach dem Bäreneilande!«
»So hast Du ja Böses gethan!« sagte die Mutter der Winde.
»Was ich Gutes gethan habe, mögen die Andern erzählen!« sagte er. »Aber