Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen страница 67
Und die alte Dame gab dem Soldaten ein Almosen und dann ging sie mit Karen in die Kirche.
Und alle Menschen darin sahen nach Karen's rothen Schuhen, und alle Bilder sahen darnach, und als Karen vor dem Altar kniete und den goldenen Kelch an ihren Mund setzte, dachte sie nur an die rothen Schuhe; und es war ihr, als ob sie im Kelche herumschwämmen; und sie vergaß ihren Psalm zu singen, sie vergaß ihr »Vater-Unser« zu beten.
Nun gingen alle Leute aus der Kirche, und die alte Dame stieg in ihren Wagen. Karen aber erhob den Fuß, um auch einzusteigen; da sagte der alte Soldat: »Sieh, was für schöne Tanzschuhe!« Und Karen konnte nicht umhin; sie mußte einige Tanztritte machen; und als sie anfing, fuhren die Beine fort, zu tanzen. Es war, als hätten die Schuhe Macht über sie erhalten. Sie tanzte um die Kirchenecke, sie konnte es nicht lassen; der Kutscher mußte hinterher laufen und sie greifen; und er hob sie in den Wagen, aber die Füße fuhren fort zu tanzen, so daß sie die gute, alte Dame gewaltig trat. Endlich zogen sie ihr die Schuhe aus und die Beine erhielten Ruhe.
Daheim wurden die Schuhe in den Schrank gestellt, aber Karen konnte nicht unterlassen, sie zu betrachten.
Nun lag die alte Dame krank darnieder; es hieß, sie würde nicht wieder aufkommen. Gepflegt und gewartet mußte sie werden und Keinem kam dies mehr zu als Karen. Aber in der Stadt war ein großer Ball; Karen war eingeladen: – sie besah die rothen Schuhe, und meinte, es wäre keine Sünde dabei; – sie zog die rothen Schuhe an, das durfte sie ja auch wohl; – aber dann ging sie zum Ball und fing an zu tanzen.
Als sie aber zur Rechten wollte, tanzten die Schuhe zur Linken, und als sie die Diele hinauf wollte, tanzten die Schuhe dieselbe hinunter, die Treppe hinab, durch die Straße und durch das Stadtthor hinaus. Sie tanzte und mußte tanzen, hinaus in den finstern Wald.
Da leuchtete es oben zwischen den Bäumen; und sie glaubte, es sei der Mond, denn es war ein Gesicht. Aber es war der alte Soldat mit dem rothen Barte; er saß und nickte und sagte: »Sieh, was für schöne Tanzschuhe!«
Da erschrak sie und wollte die rothen Schuhe wegwerfen; aber die hingen fest. Und sie schleuderte ihre Strümpfe ab; aber die Schuhe waren an den Füßen festgewachsen. Sie tanzte und mußte über Feld und Wiese, in Regen und Sonnenschein, bei Nacht und bei Tage tanzen; allein Nachts war es am gräulichsten.
Sie tanzte auf den offenen Kirchhof hinaus; aber die Todten dort tanzten nicht; die hatten Besseres zu thun, als zu tanzen. Sie wollte sich auf des Armen Grab setzen, wo das bittere Farrenkraut wachst: aber für sie war weder Ruhe noch Rast. Und als sie gegen die offene Kirchenthür hin tanzte, sah sie dort einen Engel in langen, weißen Kleidern, mit Flügeln, die ihm von den Schultern bis zur Erde reichten; sein Antlitz war streng und ernst, und in der Hand hielt er ein Schwert, breit und glänzend.
»Tanzen sollst Du!« sagte er: »tanzen auf Deinen rothen Schuhen, bis Du bleich und kalt wirst, bis Deine Haut zu einem Gerippe zusammenschrumpft! Tanzen sollst Du von Thür zu Thür; und wo stolze, hochmilchige Kinder wohnen, sollst Du anklopfen, sodaß sie Dich hören und fürchten! Tanzen sollst Du, tanzen – –!«
»Gnade!« rief Karen. Aber sie hörte nicht, was der Engel erwiderte, denn die Schuhe trugen sie durch die Thür auf das Feld, über Weg und über Steg, und immer mußte sie tanzen.
Eines Morgens tanzte sie an einer Thür vorbei, die sie gut kannte; drinnen tönte Psalmengesang; ein Sarg wurde herausgetragen, der mit Blumen geschmückt war; da wußte sie, daß die alte Dame gestorben war, und nun fühlte sie, daß sie von Allen verlassen und von Gottes Engel verdammt sei.
Sie tanzte und mußte tanzen, tanzen in der finstern Nacht. Die Schuhe trugen sie über Dorn und Stumpf davon; sie riß sich blutig; sie tanzte über die Haide dahin nach einem kleinen, einsamen Hause. Hier, wußte sie, wohnte der Scharfrichter; und sie klopfte mit den Fingern an die Scheiben und sagte:
»Komm heraus! – Komm heraus! – Ich kann nicht hinein kommen, denn ich muß tanzen!«
Und der Scharfrichter sagte: »Du weißt wohl nicht, wer ich bin. Ich schlage den bösen Menschen den Kopf ab, und ich merke, meine Axt klingt!«
»Schlage mir den Kopf nicht ab!« sagte Karen, »denn sonst kann, ich meine Sünde nicht bereuen! Aber schlage meine Füße mit den rothen Schuhen ab!«
Und darauf bekannte sie ihre ganze Sünde, und der Scharfrichter hieb ihr die Fuße mit den rothen Schuhen ab; aber die Schuhe tanzten mit den kleinen Füßen über das Feld dahin in den tiefen Wald hinein.
Und er schnitzte ihr Holzfüße mit Krücken, lehrte sie einen Psalm, den die Sünder immer singen, und sie küßte die Hand, die das Beil geführt hatte, und ging über die Haide fort.
»Nun habe ich genug für die rothen Schuhe gelitten!« sagte sie. »Nun will ich in die Kirche gehen, damit sie mich sehen können!« Und sie ging rasch auf die Kirchthüre zu; als sie aber dahin kam, tanzten die rothen Schuhe vor ihr her, und sie erschrak und kehrte um.
Die ganze Woche hindurch war sie betrübt und weinte viele bittere Thränen; aber als es Sonntag wurde, sagte sie: »Nun habe ich genug gelitten und gestritten! Ich glaube wohl, daß ich eben so gut bin als Manche von Denen, die da in der Kirche sitzen und sich brüsten!« Und dann ging sie muthig hin; aber sie kam nicht weiter als bis zur Kirchhofsthüre, da sah sie die rothen Schuhe vor sich her tanzen; und sie entsetzte sich und kehrte um und bereute recht von Herzen ihre Sünde.
Und sie ging zur Pfarrwohnung und bat, daß man sie dort in Dienst nehmen möge; fleißig wolle sie sein und Alles thun, was sie könne, auf den Lohn sähe sie nicht, nur daß sie unter Dach käme und bei guten Menschen wäre. Die Predigersfrau hatte Mitleid mit ihr und nahm sie in ihren Dienst. Und sie war fleißig und nachdenkend. Stille saß sie und horchte zu, wenn der Prediger des Abends aus der Bibel laut vorlas. Alle die Kleinen hielten viel von ihr; wenn sie aber von Putz und Pracht und von Schönheit sprachen, dann schüttelte sie mit dem Kopfe.
Am nächsten Sonntage gingen Alle zur Kirche; und man fragte sie, ob sie mit wolle; aber sie blickte betrübt, mit Thränen in den Augen, auf ihre Krücken. Und dann gingen die Andern hin, Gottes Wort zu hören, sie aber ging allein in ihre kleine Kammer; die war nur so groß, daß blos das Bett und ein Stuhl darin stehen konnten. Hier setzte sie sich mit ihrem Gesangbuche hin; und als sie mit frommen Sinn darin las, trug der Wind die Orgeltöne von der Kirche zu ihr herüber; und sie erhob ihr Angesicht mit Thränen und sagte: »O Gott hilf mir!«
Da schien die Sonne so klar; und gerade vor ihr stand Gottes Engel in den weißen Kleidern; derselbe, den sie in jener Nacht an der Kirchthüre erblickt hatte. Aber er hielt nicht mehr das scharfe Schwert, sondern einen herrlichen, grünen Zweig, der voll Rosen war; er berührte damit die Decke, und sie erhob sich sehr hoch; und wo er sie berührt hatte, glänzte ein goldener Stern. Er berührte die Wände, die erweiterten sich, und sie erblickte die Orgel, welche rauschte; sie sah die alten Bilder mit Predigern und Predigerfrauen; die Gemeindemitglieder saßen in den geputzten Stühlen und sangen aus ihren Gesangbüchern. – Die Kirche war selbst zu dem armen Mädchen in die enge Kammer hinein gekommen, oder auch sie war dahin gekommen. Sie saß im Stuhle bei den übrigen Leuten des Pfarrers; und als sie den Psalm beendet hatten und aufblickten, nickten sie und sagten: »Das war Recht, daß Du kamst, Karen!«
»Das war Gnade!« sagte sie.
Die Orgel klang, und die Kinderstimmen im Chore tönten weich und lieblich! Der klare Sonnenschein strömte warm durch das Fenster in den Kirchenstuhl,