Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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zu sein; die Mutter selbst stand der inneren Haushaltung, der Vater der äußeren vor; es war, als ströme der Segen herbei! Wo Wohlstand ist, kehrt Wohlstand ein! Der alte Herrensitz wurde abgeputzt und angestrichen, die Gräben wurden gereinigt und Fruchtbäume angepflanzt; Alles war dort freundlich und gut, und die Fußboden sahen blank wie em Spickbrett. In den langen Winterabenden saß die Frau mit ihren Mägden am Spinnrade im großen Saale, jeden Sonntag Abend wurde laut aus der Bibel vorgelesen, und zwar vom Justizrathe selbst; dieser Titel war dem Krämer geworden, wenn auch erst in seinen alten Tagen. Die Kinder wuchsen auf – denn es kamen Kinder – und sie genossen alle den besten Unterricht, aber sie hatten nicht alle gleich gute Köpfe, wie dies denn in allen Familien der Fall ist.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Unterdessen war der Weidenzweig an der Schloßbrücke zu einem prächtigen Baume herangewachsen, der frei und ungestutzt dastand. »Der ist unser Stammbaum!« sprachen die alten Leute, und diese Weide müsse geachtet und geehrt werden, sagten sie den Kindern, auch denjenigen, die gerade keinen guten Kopf hatten.

      Hundert Jahre waren verstrichen.

      Es war in unsrer Zeit; der See war in Moorland umgewandelt, und der ganze Herrenhof gleichsam verschwunden; ein Tümpel mit Wasser, an der Seite einige Mauerreste: das waren die Ueberbleibsel der tiefen Gräben, und hier stand noch ein prächtiger alter Baum mit herabhängenden Zweigen, das war der Stammbaum; er stand hier und zeigte, wie schön eine Weide sein kann, wenn man sie sich selbst überläßt. Der Stamm war zwar mittendurch gespalten, von der Wurzel bis zur Krone, der Sturm hatte ihn ein wenig gebeugt, aber er stand immerhin da, und aus jeder Ritze und Spalte, in welche Wind und Wetter Erde getragen, schossen Grashalme und Blumen hervor; namentlich oben, wo die großen Zweige sich theilten, war gleichsam ein ganzer hängender Garten mit Himbeeren und Wegebreit, ja selbst ein kleiner Vogelbeerstrauch hatte hier Wurzeln geschlagen und stand schlank und sein mitten im alten Weidenbaume, der sich in dem dunkeln Wasser abspiegelte, wenn der Wind manchmal die Meerlinsen in einen Winkel des Tümpels trieb. – Ein Feldweg führte dicht an dem Baume vorüber.

      Hoch am Waldeshügel, mit herrlicher Aussicht, lag der neue Herrenhof, groß und prächtig, mit Glasscheiben, so klar, daß man glauben konnte, es seien gar keine da. Die große Treppe, die zum Eingänge führte, sah aus, als sei sie eine Laube von Rosen und großblätterigen Gewächsen! Der Rasenplatz war so grün, als wenn jeder Halm Morgens und Abends einzeln gesäubert würde. Im Saale drinnen hingen kostbare Gemälde, standen seidene und sammetne Stühle und Sophas, die fast auf ihren eigenen Beinen umhergehen konnten, Tische mit blanken marmornen Platten und Bücher in Saffian und Goldschnitt... ja, hier wohnten freilich reiche Leute, vornehme Leute, hier wohnte der Baron und seine Familie.

      Das Eine entsprach daselbst dem Andern. »Alles am rechten Platze!« hieß es auch hier, und deshalb hingen alle die Gemälde, die einst zum Staat und zu Ehren auf dem alten Herrenhofe gewesen, jetzt in dem Gange, der in die Gesindestube führte; altes Gerumpel war es, namentlich zwei alte Portraits, das eine einen Mann in rosenrothem Rock mit Perrücke, das andere eine Dame mit gepudertem und frisirtem Haar und einer Rose in der Hand vorstellend; Beide aber in gleicher Weise von einem großen Kranze von Weidenzweigen umgeben. Diese Beiden hatten gar viele Löcher, und zwar deshalb, weil die kleinen Barone immer die beiden alten Leute als Zielscheibe für ihre Armbrüste benutzten. Sie stellten den Justizrath und die Frau Justizräthin vor, von welchen die ganze Familie abstammte.

      »Aber sie gehören nicht recht zu unserer Familie!« sagte einer der kleinen Barone. »Er war Krämer und Sie hütete die Gänse. Sie waren nicht wie Papa und Mama!«

      Die Bilder seien altes Gerumpel, und »Alles am rechten Platze!« sagte man, und deshalb kamen auch der Urgroßvater und die Urgroßmutter auf den Gang nach der Gesindestube.

      Der Sohn des Ortspredigers war Hauslehrer auf dem Gute. Eines Tages ging er mit den kleinen Baronen und deren ältesten Schwester, die kürzlich eingesegnet worden war, spazieren, und zwar über den Feldweg, der an dem alten Weidenbaume vorüberführte, und während sie alle dahinschritten, band sie einen Strauß von Feldblumen: »Alles am rechten Platze,« und der Strauß war ein schönes Ganzes. Indessen hörte sie doch sehr wohl Alles, was gesprochen wurde, und es erfreute sie gar sehr, den Predigersohn von den Naturkräften, von den großen Männern und Frauen der Geschichte erzählen zu hören; sie war eine gesunde herrliche Natur, geadelt an Seele und Gedanken, und mit einem Herzen, das alles von Gott Geschaffne mit Liebe umfing.

      Die Spaziergänger machten Halt an dem alten Weidenbaume, der jüngste der Barone wollte durchaus eine Flöte davon haben, eine solche hatte man ihm früher aus anderen Weiden geschnitten, und der Predigersohn brach einen Zweig von ihm ab.

      »O, thun Sie es nicht!« sagte die junge Baronesse; aber es war schon geschehen. »Das ist ja unser alter berühmter Baum! Ich liebe ihn gar sehr! Ich werde deshalb sogar zu Hause ausgelacht, aber das thut nichts: Man erzählt eine Sage von diesem Baume!«

      Und nun erzählte sie das, was wir wissen, vom Baume, vom alten Herrenhofe, vom Hausirer und dem Gänsemädchen, die an dem Baume sich zum ersten Male trafen, und die Stammeltern der vornehmen Familie und der jungen Baronesse wurden.

      »Sie wollten sich nicht adeln lassen, die alten, guten Leute!« sagte sie. »Sie hatten das Sprichwort: »Alles am rechten Platze!« und das meinten sie. sei nicht der Fall, wenn sie sich für Geld erheben ließen. Mein Großvater, der Baron wurde, war deren Sohn, er soll ein sehr gelehrter Mann, soll sehr angesehen und beliebt bei Prinzen und Prinzessinnen und bei Hoffesten zugegen gewesen sein. Ihn lieben die Andern zu Hause am meisten, aber, ich weiß nicht, mir scheint es, als sei Etwas an jenem alten Paare, das mein Herz zu ihnen zieht! Wie gemüthlich, wie patriarchalisch muß es auf dem alten Hofe gewesen sein, woselbst die Hausmutter am Spinnrade mit ihren Mägden saß und der alte Herr laut aus der Bibel vorlas!«

      »Das sind herrliche, vernünftige Leute gewesen!« sagte der Predigersohn, und mit diesen Worten kam die Rede wie von selbst auf Adelige und Bürgerliche; es war fast, als gehöre der Predigersohn nicht dem Bürgerstande an, in solcher Weise sprach er über die Bedeutung adelig zu sein.

      »Es ist ein Glück, einer Familie anzugehören, die sich ausgezeichnet hat, und dadurch gleichsam einen Sporn im Blute zu besitzen, um vorwärts zu schreiten in Allem, was tüchtig ist. Herrlich ist es, einen Familiennamen zu haben, der als Eintrittskarte in die höchsten Kreise gilt. Adel bedeutet edel, es ist die Goldmünze, die das Gepräge Dessen erhalten hat, was sie selbst werth ist. – Es ist der Ton der Zeit, und viele Poeten schlagen natürlicherweise diesen Ton an, daß Alles, was adelig ist, auch schlecht und dumm, daß aber bei den Armen, je niedriger man steige, Alles um so mehr glänze. Allein das ist nicht meine Ansicht, denn sie ist falsch. In den höheren Ständen findet man viele ergreifend schöne Züge; meine Mutter hat mir einen solchen erzählt, und ich könnte mehrere mittheilen. Sie war auf Besuch in einem vornehmen Hause in der Stadt; meine Großmutter, glaube ich, hatte die gnädige Frau als Kind gestillt. Meine Mutter und der hochadelige Herr befanden sich allein im Zimmer; da sieht dieser, daß unten im Hofe eine alte Frau auf Krücken hereinkommt, jeden Sonntag kam sie und holte sich eine Gabe. »Das ist die arme Alte,« sagte der Herr, »es wird ihr das Gehen so sauer« – und ehe noch meine Mutter diese Worte verstand, war er durch die Thür verschwunden und die Treppe hinabgestiegen, um ihr den beschwerlichen Gang nach der Gabe, die sie zu holen kam, zu ersparen. Das ist zwar nur ein kleiner Zug, aber wie die Gabe der armen Witwe in der Bibel hat er einen Klang, der wiederhallt in der Tiefe des Herzens, in der menschlichen Natur; und darauf soll der Dichter zeigen und zielen; in der jetzigen Zeit gerade soll er davon singen: es thut wohl, es mildert und versöhnt! Aber wo ein Stückchen Mensch, weil er von Blute ist und eine Stammtafel besitzt, wie die arabischen Pferde auf den Hinterbeinen steht und wiehert auf der Straße und in der Stube sagt: »Hier sind Leute von der Straße gewesen!« wenn ein Bürgerlicher dort war, – da ist der Adel in der Verwesung begriffen, zur Maske geworden, und zwar der Art,

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