Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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auf die geschlossenen Augen.

      »Vielleicht war er es, der so hübsch vor mir im Sommer gesungen,« dachte sie. »Wie viel Freude hat er mir nicht gemacht, der liebe, schöne Vogel!«

      Der Maulwurf stopfte nun das Loch zu, durch welches der Tag herein schien, und begleitete dann die Damen nach Hause. Aber des Nachts konnte Däumelinchen gar nicht schlafen; da stand sie aus ihrem Bette auf und flocht von Heu einen großen, schönen Teppich, den trug sie hin, breitete ihn über den todten Vogel aus und legte die feinen Staubfäden von Blumen, die weich wie Baumwolle waren, und die sie in der Stube der Feldmaus gefunden hatte, an die Seiten des Vogels, damit er in der Erde warm läge.

      »Lebe wohl, Du schöner, kleiner Vogel!« sagte sie. »Lebe wohl und habe Dank für Deinen herrlichen Gesang im Sommer, als alle Bäume grün waren und die Sonne warm auf uns herabschien!« Dann legte sie ihr Haupt an des Vogels Herz. Der Vogel aber war nicht todt: er lag nur erstarrt da, war nun erwärmt und bekam wieder Leben.

      Im Herbste stiegen alle Schwalben nach den heißen Ländern fort; aber ist eine da, die sich verspätet, dann friert sie so, daß sie wie todt niederstürzt und liegen bleibt, wo sie hinfällt; der kalte Schnee bedeckt sie dann.

      Däumelinchen zitterte, so war sie erschrocken; denn der Vogel war ja groß, sehr groß gegen sie, die nur einen Zoll lang war. Aber sie faßte doch Muth, legte die Baumwolle dichter um die arme Schwalbe, holte ein Krausemünzblatt, welches sie selbst zum Deckblatt gehabt hatte, und legte es über den Kopf des Vogels.

      In der nächsten Nacht schlich sie sich wieder zu ihm; da war er lebendig, aber sehr matt; er konnte nur einen kurzen Augenblick seine Augen öffnen und Däumelinchen ansehen, die mit einem Stück faulen Holzes in der Hand – denn eine andere Laterne hatte sie nicht – vor ihm stand. –

      »Ich danke Dir, Du niedliches kleines Kind!« sagte die kranke Schwalbe zu ihr. »Ich bin so herrlich erwärmt! Bald erlange ich meine Kräfte wieder und kann dann draußen in dem warmen Sonnenscheine umherfliegen!«

      »O!« sagte sie, »es ist kalt draußen; es schneit und friert! Bleib' in Deinem warmen Bette; ich werde Dich schon pflegen!«

      Dann brachte sie der Schwalbe Wasser in einem Blumenblatte; diese trank und erzählte ihr, wie sie sich den einen Flügel an einem Dornbusche wund gerissen und deshalb nicht so schnell habe fliegen können, wie die andern Schwalben, welche fortgeflogen seien, weit fort, nach den warmen Ländern. So sei sie zuletzt auf die Erde gefallen, aber mehr konnte sie sich nicht entsinnen, und wußte gar nicht, wie sie hierher gekommen war.

      Den ganzen Winter blieb sie nun da unten, und Däumelinchen hegte und pflegte sie so recht von Herzen; weder der Maulwurf noch die Feldmaus erfuhren etwas davon, denn die mochten ja die arme Schwalbe nicht leiden.

      Sobald das Frühjahr kam und die Sonne die Erde erwärmte, sagte die Schwalbe dem Däumelinchen Lebewohl, die das Loch öffnete, welches der Maulwurf oben gemacht hatte. Die Sonne schien so herrlich zu ihnen herein, und die Schwalbe fragte, ob sie mitkommen wolle; sie könne auf ihrem Rücken sitzen: sie wollten weit in den grünen Wald hinein fliegen. Aber Däumelinchen wußte, daß es die alte Feldmaus betrüben würde, wenn sie die so verließe.

      »Nein, ich kann nicht!« sagte Däumelinchen.

      »Lebe wohl, lebe wohl! Du gutes, niedliches Mädchen!« sagte die Schwalbe und flog hinaus in den Sonnenschein. Däumelinchen sah ihr nach, und die Thränen traten ihr in die Augen, denn sie war der armen Schwalbe herzlich gut.

      »Quivit, quivit!« sang der Vogel und flog in den grünen Wald. – Däumelinchen war sehr betrübt. Sie erhielt keine Erlaubniß, in den warmen Sonnenschein hinauszugehen. Das Korn, welches auf dem Felde, über dem Hause der Feldmaus, gesäet war, wuchs auch hoch in die Luft empor; das war ein dichter Wald für das arme, kleine Mädchen, das ja nur einen Zoll lang war. »Nun bist Du Braut, Däumelinchen!« sagte die Feldmaus. »Der Nachbar hat um Dich angehalten. Welch' großes Glück für ein armes Kind! Nun mußt Du Deine Aussteuer nähen, sowohl Wollen- wie Leinenzeug; denn es darf an Nichts fehlen, wenn Du des Maulwurfs Frau wirst!«

      Däumelinchen mußte die Spindel drehen, und die Feldmaus miethete vier Spinnen, um Tag und Nacht für sie zu weben. Jeden Abend besuchte sie der Maulwurf und sprach dann immer davon, daß, wenn der Sommer zu Ende gehe, die Sonne lange nicht so warm scheinen werde; sie brenne ja jetzt die Erde so fest wie einen Stein. Ja, wenn der Sommer vorbei sei, dann wolle er mit Däumelinchen Hochzeit halten. Aber die war gar nicht froh; denn sie mochte den langweiligen Maulwurf nicht leiden. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, und jeden Abend, wenn sie unterging, stahl sie sich zur Thüre hinaus, und wenn dann der Wind die Kornähren trennte, so daß sie den blauen Himmel erblicken konnte, dachte sie daran, wie hell und schön es hier draußen sei, und wünschte sehnlichst, die liebe Schwalbe wiederzusehen. Aber die kam nie wieder; die war gewiß weit weg in den schonen, grünen Wald geflogen.

      Als es nun Herbst wurde, hatte Däumelinchen die ganze Aussteuer fertig.

      »In vier Wochen sollst Du Hochzeit halten!« sagte die Feldmaus zu ihr. Aber Däumelinchen weinte und sagte, sie wolle den langweiligen Maulwurf nicht haben.

      »Schnickschnack!« sagte die Feldmaus; »sei nicht widerspenstig, denn sonst werde ich Dich mit meinen weißen Zähnen beißen! Es ist ja ein schöner Mann, den Du bekommst! Die Königin selbst hat nicht solch' einen schwarzen Sammetpelz! Er hat Küche und Keller voll. Danke Gott dafür!«

      Nun sollte die Hochzeit sein. Der Maulwurf war schon gekommen, Däumelinchen zu holen; sie sollte bei ihm wohnen, tief unter der Erde, und nie an die warme Sonne hinauskommen, denn die mochte er nicht leiden. Die arme Kleine war sehr betrübt; sie sollte nun der schönen Sonne Lebewohl sagen, die sie doch bei der Feldmaus Erlaubniß gehabt hatte von der Thüre aus zu sehen.

      »Lebe wohl, du helle Sonne!« sagte sie, streckte die Arme hoch empor und ging auch eine kleine Strecke vor dem Hause der Feldmaus weiter; denn nun war das Korn geerntet, und hier standen nur die trockenen Stoppeln. »Lebe wohl, lebe wohl!« sagte sie und schlang ihre Arme um eine kleine, rothe Blume, die da noch blühte. »Grüße die kleine Schwalbe von mir, wenn Du sie zu sehen bekommst!«

      »Quivit, quivit!« ertönte es plötzlich über ihrem Kopfe; sie sah empor; es war die kleine Schwalbe, die gerade vorbeikam. Sobald sie Däumelinchen erblickte, wurde sie sehr froh; diese erzählte ihr, wie ungern sie den häßlichen Maulwurf zum Manne nehme, und daß sie dann tief unter der Erde wohnen solle, wohin nie die Sonne scheine. Sie konnte sich nicht enthalten, dabei zu weinen.

      »Nun kommt der kalte Winter,« sagte die kleine Schwalbe; »ich fliege weit fort nach den warmen Ländern; willst Du mit mir kommen? Du kannst auf meinem Rücken sitzen; dann fliegen wir von dem häßlichen Maulwurf und seiner dunklen Stube fort, weit weg, über die Berge, nach den warmen Ländern, wo die Sonne schöner scheint wie hier, wo immer Sommer ist und es herrliche Blumen giebt. Fliege nur mit mir, Du liebes, kleines Däumelinchen, die mein Leben gerettet hat, als ich erfroren in dem dunklen Erdkeller lag!«

      »Ja, ich werde mit Dir ziehen,« sagte Däumelinchen, setzte sich auf des Vogels Rücken, mit den Füßen auf seine entfaltete Schwinge, und band ihren Gürtel an einer der stärksten Federn fest; da flog die Schwalbe hoch in die Luft, über Wald und See, hoch hinauf über die großen Berge, wo immer Schnee liegt. Und Däumelinchen fror in der kalten Luft, aber dann verkroch sie sich unter des Vogels warme Federn und steckte nur den kleinen Kopf hervor, um alle die Schönheiten unter sich zu bewundern.

      Endlich kamen sie nach den warmen Ländern. Dort schien die Sonne weit heller als hier; der Himmel war zweimal so hoch, und in Gräben und auf Hecken wuchsen die schönsten grünen und blauen Weintrauben; in den Wäldern hingen Citronen und Apfelsinen;

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