Die Stille im Dorf. Karl Blaser

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Die Stille im Dorf - Karl Blaser Eifel-Saga

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Kinder.«

      »Ja«, antwortete sie. »Viele hübsche Kinder. Aber nicht hier. Nicht hier, in diesem verdammten Nest. Ich will weg von hier. Nur weg. Weg.«

       Niklas schwieg. Er wollte nicht darüber nachdenken. Nicht jetzt.

      »Glaubst du, dass dein Vater mich akzeptieren wird? Ich habe nicht viel Land unter den Füßen.«

      »Ich weiß, ich weiß. Dafür hast du aber umso mehr Liebe im Herzen. Wir gehen weg von hier. Ist doch egal, was mein Vater denkt.«

       Daraufhin hatte er ihr unter die Bluse gefasst und sie geküsst. Lange geküsst! Dieser Kuss hat Margarete verändert. Seitdem fragt sie die Mutter ab und an, wie man Kartoffeln kocht und einen Streuselkuchen backt. Das eine oder andere hat sie sogar schon von der Mutter gelernt, vor allem das Nähen interessiert sie. Die Mutter sagt immer, dass die Liebe durch den Magen des Mannes geht, aber Margarete hält das für dummes Zeug. Sie glaubt daran, dass die Liebe einer Frau alles verzeiht, auch, dass sie nicht kochen kann.

       Was sie aber niemals zubereiten wird, ist Fisch.

       Margarete hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Ihr kommt der Gedanke, einfach abzuhauen, den Nachmittag bei ihrer Freundin Elsbeth zu verbringen. Ihr Blick fällt auf den Apfelbaum, der genau vor ihrem Fenster steht. Seine hölzernen Arme ragen fast bis an die Hausmauern heran, sie muss sich nur etwas vorbeugen, um an einen der dickeren Äste zu gelangen und sich auf den Baum schwingen. Und schon hat sie es geschafft, ihrem Gefängnis zu entkommen.

      »Soll den Fisch doch aus dem Keller holen, wer will«, murrt sie.

       Am Ende wird die Mutter noch auf die Idee kommen, ihr zeigen zu wollen, wie man so einen Hering ausnimmt und verzehrfertig auf den Tisch bringt. Nicht auszudenken ist das. Sie weiß natürlich, dass der Hering zunächst einmal eine Nacht in Süßwasser gelegt wird, damit das Salz entweicht und er nach der langen Zeit in der üblen Brühe genießbar ist. Dann bereitet die Mutter irgend so eine Marinade zu, aus Milchrahm und weiß der Teufel was.

       Als Margarete sich entschlossen aus dem Fenster im ersten Stockwerk des alten Bauernhauses lehnt und an einen Ast hangelt, bemerkt sie nicht, dass er morsch ist. Krachend bricht der tote Zweig ab, und Margarete fällt, mit einem lauten Schrei, tief nach unten auf die Streuobstwiese hinter dem Haus. Plumps! Donnerschlag! Stöhnen!

      »Was war das für ein Geräusch?«, fragt Anna in der Küche.

      »Hab nichts gehört«, antwortet Johann, der in seine Karten vertieft ist und gerade sein erstes Spiel zu verlieren droht.

      »Hörte sich wie Margaretes Stimme an.«

      »Die hast du doch in den Keller gejagt!«

      »Sie müsste längst wieder hier sein«, sagt Anna, wischt sich die Hände an der Schürze ab und verschwindet nach hinten in die Speisekammer, wo es ein kleines Guckfenster hin zur Obstwiese gibt. Anna lugt mit ihrem kleinen Köpfchen aus dem Fenster. Vor ihrer Nase liegt die stöhnende Tochter.

      »Mein Gott! Mein Gott! Johann!«

      »Ja, was denn?«

      »Komm! Komm schnell! Margarete liegt hinten auf der Wiese. Sie krümmt sich vor Schmerzen!«

       Johann, dem es recht kommt, das Spiel zu unterbrechen, lässt die Karten fallen. Er eilt in die Speisekammer.

      »Mein Gott, Margarete!«

       Johann läuft zurück in die Küche.

      »Kommt mit, ihr müsst mir helfen! Margarete liegt hinter dem Haus auf der Erde.«

      Jupp und Rudi reißt es von den Stühlen. Sie folgen Johann in den Keller, dann durch den dunklen Flur. Aus einem der Räume führt eine Treppe in den Garten.

      »Es scheint, als sei sie aus dem Fenster gefallen«, sagt Johann aufgeregt.

      »Sieht ganz so aus«, antwortet einer der beiden Skatbrüder.

      »Mein Gott, die Arme«, sagt der andere mit piepsiger Stimme.

      »Schnell, heben wir sie vorsichtig hoch. Tragen wir sie ins Haus!«

       Margarete ist jetzt bewusstlos. Aber sie atmet. Die Männer schleppen sie nach oben in ihr Zimmer und legen sie aufs Bett.

      *

      Es ist der zehnte April, Ostersonntag. Das vierte Kriegsostern im vorletzten Kriegsjahr. Während die Menschen im Dorf sich in der Frühe zu Fuß aufmachen, um in der Pfarrkirche Sankt Stephanus im Nachbarort Christi Auferstehung zu feiern, liegt Margarete mit schweren Kopfschmerzen in ihrem Krankenbett. Die Rote Armee befreit an diesem Tag die Stadt Odessa am Schwarzen Meer von der deutschen Besatzung, die dort ihren Nachschub für die auf der Krim stationierte 17. deutsch-rumänische Armee lagert. In Mantua und Verona werden an diesem Tag 935 italienische Juden verhaftet und nach Auschwitz deportiert.

       Das Dorf weiß von allen diesen Vorgängen auf der Welt nichts, und Anna hat andere Sorgen. Sie wacht am Bett ihrer Tochter. Seit zwei Tagen hält sie nun schon ihre Hand und wartet auf den Doktor, der längst hätte da sein müssen. Sie schaut aus dem Fenster in die Ferne. Sie spürt, dass das Wetter umschlägt. Ein Windstoß.

       Die Äste der Bäume auf der Streuobstwiese wanken.

      Das Dorf hat sich zum Osterhochamt versammelt. Die Tochter liegt auf dem Bett. Sie schläft. Anna öffnet das Fenster. Dann nimmt sie einen Waschlappen, presst ihn über der Wasserschüssel mit beiden Händen aus. Sie legt ihn auf Margaretes Schläfen. Ein Luftzug weht durch den Raum. Margaretes Lider zittern, sie schlägt vorsichtig die Augen auf, erkennt das Gesicht der Mutter. Die Tochter lächelt. Aber auf Annas Frage, was denn passiert sei, kann sie keine Antwort geben.

      »Kopf«, ist das einzige Wort, das sie hervorbringt.

       Margaretes Erinnerung an den Fenstersturz scheint wie weggeblasen. Ihr Atem ist schwach. Sofort schläft sie wieder ein. Anna macht weiter Umschläge aus Kamillenblüten und bandagiert damit Margaretes Kopf. Wo der Arzt nur steckt?

      »Der muss jeden Augenblick kommen«, sagt Johann mit lauter Stimme, als er gereizt aus der Kirche wiederkommt und ins Zimmer poltert. »Der kriegt ein Problem, wenn er sich nicht bald hier blicken lässt.«

      »Geh«, sagt Anna. »Schau mal nach den Polen. Heute ist Ostern. Da wirst du sie doch nicht hungern lassen?«

       Johann verschwindet mürrisch aus dem Raum. Er zieht, wenn auch widerwillig, seine braune Uniform aus, streift seine Hitlerbinde ab und schlüpft in seine Arbeitshose. Dann steckt er seinen Kopf wieder durch die Tür des Schlafzimmers. Anna sitzt noch am Bett, in der Hand einen Rosenkranz.

      »Ich schau mal nach, was die Arbeiter treiben. Ich habe sie im Hochamt gesehen. Sind sogar brav zur Kommunion gegangen, die drei verdreckten katholischen Polacken.«

      »Die haben wenigstens einen Gott und ein Gebot. Den Herrgott interessiert es nicht, ob jemand gewaschen ist«, antwortet Anna mit bitterer Stimme.

      »Was willst du damit sagen?«, fragt Johann mit spitzer Zunge.

       Anna schweigt. Johann macht einen großen Satz durch die Kammer. Mit einem lauten Schlag verriegelt er das Fenster.

      »Willst du unser Töchterchen umbringen?

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