Die Stille im Dorf. Karl Blaser

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Die Stille im Dorf - Karl Blaser Eifel-Saga

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Ob er verstanden habe, brüllte der Vorgesetzte. Mit seinem sächsischen Akzent klang es nicht einmal bedrohlich. Aber Niklas kapierte noch immer nicht.

      »Hast du taube Ohren, Soldat?«

      »Jawohl! ... Nein!«, stotterte Niklas.

      »Ja, was denn nun?«

      »Jawohl, Herr Hauptmann!«

      »Ach, wegtreten! Sonst überlege ich mir’s noch anders«, kläffte es aus dem spitzen Mund.

       Heimaturlaub. Der Krieg schickte ihn eine Zeit lang nach Hause.

       Hier sitzt Niklas auf seinem Tornister: unten das Dorf, darüber der runde Mond. Er hat kein Gesicht und klebt wie eine blassgelbe Scheibe schräg über den Häusern, als wolle er jeden Augenblick herunterfallen. Von weitem sieht das Dorf im Mondschein aus wie ein kleiner grauer Klecks. Im Gestrüpp, zwischen Ginster und Wacholderhecken, wo sie als Kinder Verstecken gespielt hatten, paaren sich Katzen, krächzend, wimmernd, lustvoll und laut stoßen sie ihre Liebesschreie in die Stille hinein. Wenn sich Katzen bei Vollmond laut vereinen, so sagt man hier, werden in einem Haus Zwillinge geboren.

       Niklas rafft sich auf und geht hinunter ins Dorf, an der Kirche vorbei, bis ans Ende der Straße, wo das Haus steht, in dem er wohnt. Penelope, die Schäferhündin, fast blind, niemand weiß, wie alt sie ist, hat ihn schon längst kommen hören. Sie hat ihn am Schritt erkannt. Ihren Namen verdankt das Tier dem kahlköpfigen Dorflehrer, der den Schulkindern einmal die Geschichte der treuen Prinzessin Penelope aus Sparta erzählt hatte, die zwanzig Jahre lang auf die Heimkehr ihres Ehemannes Odysseus hatte warten müssen. Winselnd kratzt das Tier mit den Pfoten von innen an der Eingangstür. Der Schlüssel liegt immer noch versteckt hinter dem hohlen Bruchstein in der Hauswand. Als er die Tür öffnet, springt die Hündin ihn an, außer sich vor Freude tänzelt sie um seine Beine. Er bückt sich zu ihr hinunter, und Penelope leckt mit ihrer warmen Zunge durch sein Gesicht, dreht sich im Kreis, pinkelt auf seine Schuhe, springt ihn an, als wolle sie sich entschuldigen, dass sie kurz eingenickt war, während er weg war. Niklas rennt die Treppenstufen hoch, Penelope ihm hinterher, in dem kleinen Zimmer unter dem Dach schläft die Mutter. Von dem Gepolter ist sie wach geworden. Anne-Kathrin richtet sich im Bett auf.

      »Niklas?«

      »Ja, Mutter.«

      »Mein Junge, mein guter Junge! Ich hatte Angst, du kommst nicht mehr wieder.«

      »Natürlich komme ich. Aber Russland liegt ja nicht gerade vor der Haustür. «

      »Mein Gott, Russland! Du bist da! Mein Junge!«

      »Hast du meine Nachricht nicht bekommen?«

      »Doch, Johann hat sie persönlich vorbeigebracht. Und den ganzen Nachmittag hockte er in der Küche. Als ich gesagt hab, ich würde einen Apfelstreusel backen, ist er nicht gegangen, bis der Kuchen aus dem Ofen war und hat sich gleich zwei große Stücke servieren lassen. Ach, Niklas, ich habe den ganzen Abend auf dich gewartet, aber dann bin ich wohl eingeschlafen. Wie spät ist es?«

      »Es wird bald hell«, sagt er.

      »Du musst sehr müde sein. Ich hab deine Schlafkammer hergerichtet und den Ofen angemacht.«

      »Ein warmes Bett?«

      »Sie sagen, dass der Krieg bald zu Ende ist. Stimmt das? Ich lass dich nicht mehr gehen! Ich hab geträumt, es wäre Frühling, und wir würden mit dem Ochsen aufs Feld im Krähwinkel fahren.«

      »Der Krieg dauert bestimmt nicht mehr lang. Der Spuk ist sicher bald vorüber.«

      »So viele junge Männer in deinem Alter aus dem Dorf werden vermisst. Mein Gott, Niklas, ich hatte solche Angst um dich!«

       Niklas setzt sich auf die Bettkante und nimmt die Mutter in den Arm.

      »Morgen in der Früh werde ich zu Johann Gross gehen. Ich werde dem Herrn Ortsbauernführer sagen, dass ich es nicht mehr allein schaffe ohne dich, und dass du hier auf dem Hof mehr gebraucht wirst als in Russland.«

      »Nein«, sagt sie dann. »Ich geh jetzt gleich!«

       Anne-Kathrin wirft die Bettdecke zurück und will aus dem Bett springen. Niklas hält sie zurück, nimmt sie in den Arm.

      »Lass es bleiben, Mutter. Es ist mitten in der Nacht. Das ist keine gute Idee.«

      »Ja, vielleicht hast du Recht. Ich warte bis zum Morgen. Jetzt bring ich ihn damit nur auf die Palme.«

       Niklas nickt.

      »Bestimmt. Leg dich wieder schlafen.«

      »Hauptsache, du bist da«, sagt Anne-Kathrin.

       Seufzend sinkt sie zurück ins Kopfkissen.

      »Ich laufe schon nicht weg«, sagt Niklas und lächelt. »Schließlich hab ich Geburtstag.«

      »Ich weiß, mein Junge. Wir werden feiern. Und alle werden kommen, du wirst sehen! Es ist alles vorbereitet. Alle wissen Bescheid.«

      »Das hast du richtiggemacht. Morgen feiern wir, dass die Schwarte kracht.«

       Niklas steht auf und geht in seine Schlafkammer. Die durchweichte Uniform klebt an der Haut. Er zieht sie aus, rückt den Stuhl heran und hängt die nassen Kleider zum Trocknen darüber. Auf der Kommode liegt frische Wäsche für ihn bereit. Im Ofen knistert das Feuer. Er wird wieder Bauer werden, wenn der Krieg aus ist. Er wird wie früher sähen, ernten, das Haus streichen, die Wiesenzäune reparieren, abends der Mutter beim Brotbacken helfen, aus Vaters alter Tasse trinken und den Mehlschwalben beim Nestbau zusehen. Vor allem aber wird er Margarete heiraten und mit ihr Kinder haben. Viele Kinder. Niklas liebt Margarete. Er kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen. Die Mutter weiß davon nichts. Er traut sich nicht, es ihr zu sagen. Wenn alles nur so einfach wäre!

      Als kleiner Junge träumte er davon, im Herbst mit den Schwalben auf und davon zu segeln. Aber inzwischen weiß er: Ein Bauer muss graben, wo er steht. Sein Leben ist hier, nicht anderswo. Niklas will kein Zugvogel sein. Er gäbe alles, könnte er nur bleiben.

       Bei Margarete.

       Bei seiner Mutter.

       Bei Penelope.

      *

      Niklas hat Geburtstag. Er wird zwanzig. Das halbe Dorf ist am Abend zum Spielen in Anne-Kathrins kleine Küche gekommen, verrußt und schwarz ist sie, stumpf und abgegriffen. Ein Schrank, ein Tisch, ein paar Stühle, eine schmale Holzbank am Fenster, von dem aus man den Kirchplatz sehen kann. Das Marienbild an der Wand, das abgehängt wurde, hat ein vergilbtes Viereck über der Eingangstür hinterlassen.

       Niklas fühlt sich mehr und mehr unwohl zwischen den vielen Bauernleibern, die in die Küche drängen. Er schüttelt ihre Hände, klopft ihnen auf die Schultern. Endlich tänzelt auch Margarete, begleitet von Anna und Johann, in die Stube. Sie lächelt und schwingt mit den Hüften, als habe sie ein Vorspiel am Theater. Anna küsst ihre Cousine Anne-Kathrin auf die Wange, sie sind sich eng verbunden. Um ein Haar wäre auch Margarete ihrem Niklas um den Hals gefallen, ihr Herz pocht, es droht sich zu überschlagen. Fast wird ihr schwindelig, als sie in seine blauen Augen sieht, die leuchten wie zwei Sterne. Sie will seine Haut streicheln. Ihn berühren. Ihn küssen. Aber das geht nicht. Niemand weiß, dass sie sich in

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