Die Stille im Dorf. Karl Blaser

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Die Stille im Dorf - Karl Blaser Eifel-Saga

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davon ist wahr! Der Krieg geht weiter vorwärts! Heil unserem Führer!«

      »Drohst du mir etwa? Willst du mich anzeigen?«

       Erbost springt Jockem vom Stuhl.

      »Und ob ich das tue!«

      »Dann tu’s doch, gleich morgen, wenn du wieder nüchtern bist. Schreib deinem Führer einen Liebesbrief! Trotzdem hat es sich bald ausgerommelt! Seine Panzer haben schon längst den Rückwärtsgang eingeschaltet!«

      »Genug jetzt«, fährt Niklas dazwischen. »Ich werde meine Kameraden nicht im Stich lassen. Basta.«

      »Richtig!«, ruft Johann. »Richtig! So redet ein deutscher Soldat! Habt ihr das gehört? Ihr werdet euch alle noch wundern!«

       Der Volkssturm werde alles niederschlagen. Mutig sei der Germane, treu bis in den Tod. In Marzabotto hätten Wehrmacht und SS ein Exempel statuiert und gezeigt, wie man mit Widerständlern verfahre. Das solle allen eine Lehre sein.

      »Mart … a … baaa«, nuschelt Marlies, die Melkerin bei Hermann Mahlberg, dem reichsten Bauern im Dorf. Er fehlt an diesem Abend. Marlies kommt nicht aus der Eifel. Sie spricht nie über ihre Vergangenheit, aber ihr bayerischer Akzent verrät ihre Herkunft. Im Dorf erzählen sie sich, dass sie in einem Heim aufgewachsen sei. Irgendwann hat sie auf Mahlbergs Hof gestanden und gefragt, ob es Arbeit für sie gebe. Ein kräftiges Weibsbild könne er immer gebrauchen, hat Hermann geantwortet und sie auf der Stelle eingestellt. Es heißt, die beiden hätten einen Klüngel.

      »Noch ‘nen Schnaps! Her damit!«, fordert die burschikose Marlies. Sie schiebt ihren leeren Becher über die Tischplatte. Darunter knetet Gross ihre dicken Schenkel. Ihre Bluse ist halb aufgeknöpft und gibt einen tiefen Einblick auf ihren prallen Busen.

      »Niemand darf es wagen, die Hand gegen einen Deutschen zu erheben«, sagt Johann über den Tisch.

      »Genau, und deshalb lass deine dreckigen Pfoten von mir!«, brummt Marlies mit rostiger Stimme. Hurenböcke seien die Nazis! »Alles Hu … huuuren …! Lass dassss! Scher dich weg! Geh deine Hüüühner ffficken!«

       Die Nazis hätten doch alle zwei Familien.

       Die Küchendielen knarren, die Bauern tanzen, und die Töne aus Michels Akkordeon überschlagen sich fast: deutsche Gretel, deutscher Hans gehn des Sonntags gern zum Tanz!

      »Versteck dich!«, haucht Jockem Niklas ins Ohr. Er hat sich neben ihn auf die Bank gesetzt.

      »Geh auf keinen Fall zurück an die Ostfront. Versteck dich hier in den Wäldern! Die Russen mähen alles nieder. Sie marschieren auf Berlin.«

      »Und das ist schließlich immer noch unsere Reichshauptstadt«, lallt Küsters Jupp.

       Er ist einer von Johanns strammen braungefärbten Parteigängern, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Aber Jockem nimmt kein Blatt mehr vor den Mund.

      »Scheiß auf die Hauptstadt und das Reich«, murmelt er.

      »Schluss jetzt! So zu reden, ist keinem Deutschen erlaubt!« Johann beugt sich mit hochrotem Kopf vor. Er springt auf und streckt seine Hand aus zum tausendjährigen Gruß: »Heil Hitler!«

      »Ja, ja, ja, ein Volk, ein Führer. Nicht mal warme Kleider haben unsere Männer an der Front. Soll Niklas barfuß gegen die russischen Panzer kämpfen?«, fragt Jockem ruhig und schüttelt mit dem Kopf.

      »Jetzt reicht’s aber wirklich!« Niklas schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Hört auf, euch zu streiten!«

      »Jawohl!«, sagt Johann und haut das leere Schnapsglas auf den Tisch. »Jawohl, Niklas! »Seht ihn an, unseren Soldaten! Wie gut sie ihm steht, diese deutsche Uniform!«

       Margarete nickt betrunken mit dem Kopf. Er ist wirklich ein fesches Mannesbild, ihr Niklas.

      »Eine Unifo-o-o-o-rm steht nicht jedem«, lispelt sie.

      »Der Krieg ist trotzdem verloren!« Jockem gibt nicht klein bei.

      »Sieg Heil! Wir werden den Endsieg mit einem großen Dorffest feiern«, ruft Johann laut in den Raum.

       Er werde den Führer persönlich einladen. Persönlich! Ob sie vergessen hätten, wer den Nürburgring und die Hunsrückhöhenstraße gebaut und ihrer armen Gegend Arbeit gebracht habe?

      »Sieg Heil! Auf den Führer!«, grölt er durch die Küche und prostet dem Hitlerbild zu, das schräg an der Wand hängt.

      »Dem wird‘s da über dem Ofen jedenfalls nicht kalt«, sagt Jupp. Sein Sohn ist vor drei Wochen gefallen.

      »Jockem hat recht«, flüstert die rothaarige Monika Niklas zu. »Versteck dich! Bleib hier!«

       Er schüttelt den Kopf.

      »Wir haben Befehl, bis zum Schluss Widerstand zu leisten. Kapitulation kommt nicht infrage. Für niemanden! Sieg oder Untergang! Das ist eine Frage der Ehre.«

      »Ehre? Ehre, wem Ehre gebührt! Was faselst du jetzt noch von Ehre?«, fährt Monika ihn an.

       Niklas solle klug sein und dableiben im Dorf. An die Mutter solle er denken, nicht an Ehre und nicht an den Führer.

      »Was, wenn sie auch dich verliert?«, fragt Monika. Ihre Augen blitzen zornig. »Das bricht ihr das Herz! Dann hat sie niemanden mehr! Bleib hier! Dieser Krieg kennt keine Ehre!«

       Niklas hat genug.

      »Es ist schon spät. Geht nach Hause!«, ruft er in die Runde und Margarete nickt.

       Sie greift unter dem Tisch nach seiner Hand. Der alte Jockem steht auf, streichelt nachdenklich seinen grauen Bart, der sein Gesicht fast vollständig verdeckt. Er zieht den Filzhut tiefer ins Gesicht. Er schlurft zur Tür und dreht sich noch einmal um.

      »Überleg’s dir gut, mein Junge. Überleg’s dir gut! Die Kriegstage sind gezählt.«

      »Ja, ja«, sagt Niklas und winkt ab.

       Auf seinen krummen Nussbaumstock gestützt, verschwindet der Alte in der kalten Nacht.

      »Versteck dich! Bleib hier! Schwör’s! Schwör mir dat op de Hellije Schrift«, fordert Christel mit einem bestätigungsheischenden Blick auf Küsters Jupp, der seine Sakristeigehilfin mit glasigen Augen anstarrt.

       Christel ist des Küsters rechte Hand. Wie er hat sie einen Schlüssel zur Kirche. Sie ist für den Blumenschmuck der Kapelle verantwortlich, und es gilt allein als ihr Verdienst, dass der Straßenaltar des Dorfes am Fronleichnamstag dreimal in Folge zum schönsten Altar der Pfarrgemeinde gekürt worden ist. Zu der Pfarrei im Herzen der Hohen Eifel gehören immerhin fünf weitere miteinander konkurrierende Haufendörfer. Die fromme Christel genießt das Vertrauen des strengen Pfarrers Dederich, der sich nicht scheut, den Messdienern während des sonntäglichen Hochamts vor seinen versammelten Schäflein eine durch das gesamte Kirchenschiff schallende Ohrfeige zu erteilen oder sie an den Haaren zu ziehen. Und auch der Dorfschullehrer, dessen schlagende Hand ohnehin recht locker sitzt, singt rühmende Lieder auf Christel und lobt ihren unermüdlichen Einsatz für das deutsche Vaterland.

      »Op de Hellije Schrift«, wiederholt Christel, die sich damit brüstet, als Einzige im Dorf die Bibel ganz gelesen

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