For ever young. Betty Hugo
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Ella lauschte ihrer Kollegin fasziniert, das war also die Kehrseite der Schönheitsindustrie, die garantiert nicht freiwillig erwähnt wurde. Davon, dass auch etwas schief gehen konnte, stand in diesen tollen Internetauftritten und in den Hochglanzbroschüren natürlich kein einziges Sterbenswörtchen. Ausgelaufene Silikonimplantate, wulstiges Narbengewebe, missratene Nasenkorrekturen, allergische Schockreaktionen und Narkoserisiken, das sollte den zukünftigen Patienten gegenüber möglichst verborgen bleiben. Wer sich wirklich umfassend informieren wollte, musste woanders recherchieren.
Kapitel 9
So, der Lidstrich saß perfekt, genauso wie die Visagisten der Vogue es den Leserinnen zeigten. Auch dieses nagelneue Produkt aus der Parfümerie war toll, es versprach, einen speziellen Glow auf den Teint zu zaubern. Mit ein wenig Übung ging einem das Schminken dann gut von der Hand. Auch das Cocktailkleid erwies sich als ein Hit. Es schmiegte sich eng an den Körper, zeichnete sanft die Konturen nach, modellierte die Figur aber nicht zu stark, sondern kaschierte kleinere Schönheitsfehler. Ein letzter Blick in den Spiegel des Schminktisches, eine letzte Probe, wie eine Theaterprobe eines verführerischen Augenaufschlages. Auch jeder Cent für die teure Mascara hatte sich gelohnt. Es veränderte den Blick wirklich auf atemberaubende Weise. Die hocheleganten Pumps standen in der Garderobe bereit. Es hatte zunächst einiger Übung bedurft, bevor man unfallfrei und sicher in ihnen laufen konnte, aber jetzt war es O.K. Die Königin der Nacht begab sich auf die wilde Piste.
„Puh", eine anstrengende Arbeitswoche neigte sich dem Ende zu, und Ella sehnte sich danach, in ihrer gemütlichen, unaufgeräumten Wohnung auf der Couch zu entspannen. Die Beine verbotenerweise auf dem Couchtisch und die Chipstüte in bequemer Griffweite. Sie hätte sich auch gerne die neuesten Netflix Serien rein gezogen, die Ruth ihr glühend ans Herz gelegt hatte.
Stattdessen hatte sie sich von ihrer Mutter breitschlagen lassen und ihre Einladung in die Oper angenommen. Obwohl ihr der Sinn mehr nach einer Hollywoodkomödie mit einer ihrer Lieblingsschauspielerinnen stand, würde sie gezwungen sein, sich bei donnernden Wagnerklängen zu entspannen. Das gelang vielleicht der Bundeskanzlerin, ihr garantiert nicht.
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, schon 18:00 Uhr, da musste sie sich beeilen. Unter größtem Zeitdruck warf sie sich in ein operngerechtes Outfit, inklusive Make-up, High Heels und Abendtäschchen von Chanel. Mit Hilfe eines Taxis schaffte sie es, nahezu pünktlich im Foyer der Oper aufzutauchen, aber ihre Mutter war ihr natürlich zuvorgekommen. Hoheitsvoll thronte sie auf einem Sessel, perfekt gestylt in Dior, im Schlepptau einen Mann undefinierbaren Alters.
„Hallo, meine Liebe", begrüßte ihre Mutter sie und bot ihr die Wangen für die keimfreien Begrüßungsküsschen.
„Ich habe noch einen netten Gast dabei. Vielleicht kennst du ihn, er ist ein Freund deines Bruders und hat sich netterweise bereit erklärt, ihn zu vertreten. Dein Bruder hatte unerwartet einen dringenden Termin, irgendein wichtiges Seminar an der Uni.”
Ella schnaubte innerlich vor Wut. Das sah Lieblingssöhnchen Konrad mal wieder ähnlich. Kein Mensch hatte am Freitagabend noch ein Seminar an der Uni. Garantiert wollte er lieber mit seinen Kumpanen von der Studentenverbindung einen saufen gehen oder sich mit seinen Corpsbrüdern beim Fechten eins überbraten. Mutter glaubte ihm natürlich alles, sie fraß ihm aus der Hand, ihrem Augenstern. Vielleicht sollte ihr aber dieser Typ hier mal wieder als möglicher Heiratskandidat vorgestellt werden. Ihre Mutter fand sie schon überreif für den Heiratsmarkt, das ließ sie immer mal wieder diskret durchblicken.
Dieser „Typ“ schob sich jetzt nach vorne und reichte ihr mit einer straffen Verbeugung die Hand.
„Egbert-Friedrich zur Hausen”, bellte er mit militärischer Strenge, fehlte noch fast, dass er die Hacken zusammengeknallt hätte.
Fast wäre Ella zurückgewichen, sie riss sich gerade noch rechtzeitig zusammen. Man, war dieser Kerl unattraktiv! Sein Name kam ihr dumpf bekannt vor. Hatte Leon nicht gerade neulich von so einem karrieregeilen Typen erzählt, der so ähnlich hieß? Die Beschreibung stimmte jedenfalls. Rosa Schweinchen war haargenau richtig. Ihre Laune sank noch eine Etage tiefer. Sie liebte auch durchaus klassische Musik, aber nicht so dramatisch und düster, sie war einfach kein Wagner Fan. Was hatte ihre Mutter nur für einen Geschmack! Ella wusste schon gar nicht mehr, ob sich das auf die Musik oder den Typen bezog. Musste sie jeden Strohhalm ergreifen, um ihre widerspenstige Tochter an den Mann zu bringen? Wobei dies nicht das Problem war, sondern die Betonung lag auf „richtig". Ihre Mutter wollte sie an den „richtigen" Mann bringen.
Die Krönung des Abends bestand darin, dass dieser grässliche Typ sie auch noch zu einem Vortrag in die Urania einladen wollte. Thema: Die vielfältige Vogelwelt des Wattenmeers. Wollte der Typ so das „Vögeln" lernen? Ella war froh, als der letzte Takt der donnernden Musik verhallt war und sie die Flucht nach Hause antreten konnte.
Kapitel 10
Die Königin der Nacht parkte den Luxusschlitten in einem Parkhaus. Hier in der Innenstadt war auch nachts kein einziger Parkplatz zu ergattern, aber Parkhäuser waren sehr praktisch. Wenn man nicht gerade Pech hatte und ein ganzer Pulk von Leuten ihre Autos zur gleichen Zeit in derselben Ecke abholen wollten, war man relativ unbeaufsichtigt. Sie stieg mit einer eleganten Bewegung aus und glitt mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoß. Die Bar, die sie sich ausgesucht hatte, lag einen kleinen Spaziergang entfernt. Das war gut so, denn im Nachhinein würde man vermutlich keinen Bezug zum Parkhaus herstellen. Sie betrat die Bar hocherhobenen Hauptes und durchschritt sie mit gekonntem Hüftschwung. Die Blicke der anwesenden Männer folgten ihr bewundernd. Die Beleuchtung war rötlich schummrig, also freundlich für den Teint und schummelte einen noch mal fünf Jahre jünger. Sie schaute den Männern, die sie mit offenem Begehren im Blick anstarrten, auffordernd und selbstbewusst in die Augen. Die meisten senkten dann den Blick, bei einigen, aber eigentlich nur bei ganz wenigen, schlich sich eine Art Unsicherheit in den Blick, ein irritiertes Flackern, so als ob sie etwas ahnten, etwas das in ihrem Unterbewusstsein schlummerte. Verunsicherung machte sich breit. Sie machte solche Ausflüge ins Berliner Nachtleben eher selten, nur wenn sie unbändige Lust darauf verspürte und das kam nicht allzu häufig vor. Es musste ein besonderes Erlebnis bleiben. Sie suchte nach einem Mann der ihr gefiel. Sie begab sich an die Theke und ehe sie dazu kam, selbst einen Drink zu bestellen, wurde sie schon eingeladen. Die Gespräche liefen immer nach dem gleichen Muster ab. Das geistige Niveau war als eher niedrig einzuschätzen, zumal die Kavaliere meist schon einen gewissen Alkoholpegel hatten.
„Hallo schöne Dame, darf ich sie auf einen Drink einladen“, lautete dann auch prompt die wenig phantasievolle Eröffnung des Gesprächs. Das klang ein wenig altmodisch und der Typ, der den Spruch absonderte, entpuppte sich auch als etwas älter.
„Ja, mein Herr, sehr gerne“, hauchte sie und beugte sich lasziv vor, um dem Mann einen bewundernden Blick in ihren tiefen Ausschnitt zu erlauben. Sie hatte einen sehr hübschen Busen, bei dem ein plastischer Chirurg Nachhilfe geleistet hatte. Nachdem das Gespräch, befeuert durch Alkohol, einige Minuten dahinplätscherte, merkte sie wie sie innerlich unruhig wurde. Sie musste endlich mal zur Sache kommen. Die Nacht war schon weit fortgeschritten und sie musste am nächsten Tag schließlich arbeiten. Sie lotste ihn auf die enge Tanzfläche und schmiegte sich an seinen Körper. Ihr unbekanntes Gegenüber reagierte sofort. Schloss sie enger in seine Arme. Sie beugte sich vor und flüsterte in sein Ohr: „Schatz, lass uns hinausgehen. Ich möchte mit