Geheimnisse. Heidi Oehlmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Geheimnisse - Heidi Oehlmann страница 6
Ich bin ein wenig erschrocken, als ich die Stuhlreihen vor der Bühne entdecke.
Wir gehen langsam darauf zu und schauen uns nach zwei freien nebeneinanderliegenden Plätzen um, die eine gute Sicht auf das Podium bieten. Jedoch sind die meisten guten Sitzplätze schon besetzt, sodass wir keine großartige Wahl mehr haben.
Suse scheint zwei halbwegs anständige Plätze entdeckt zu haben. Sie greift nach meinem Arm und zieht mich hinter sich her.
Dann sehe ich, wo sie hin will. In der Mitte der dritten Reihe sind noch zwei Stühle frei, auf die wir uns stürzen.
Von hier aus hat man zwar nicht so eine gute Sicht, wie in den beiden vorderen Reihen, aber man sieht allemal mehr, als weiter hinten.
Ich hatte mir das anders vorgestellt. Hätte ich gewusst, dass wir anstatt an Tischen, in Reihen sitzen müssen, hätte ich Suses Vorschlag hierher zu kommen nicht angenommen. Ich mag es nicht, wenn ich zwischen so vielen anderen Frauen eingepfercht bin. Da fühle ich mich unwohl und komme mir wie ein eingesperrtes Tier im Zoo vor. Aber jetzt sind wir schon mal hier und haben bereits den Eintritt bezahlt. Dann will ich natürlich auch etwas für mein Geld geboten bekommen.
Wir setzen uns fast zeitgleich auf die beiden freien Plätze und warten darauf, dass es endlich losgeht. Obwohl es noch einige Minuten bis zur Show dauert, starren wir wie hypnotisiert auf die Bühne.
»Ich bin so aufgeregt«, höre ich Suse sagen.
Ich schaue zu ihr rüber und sehe, wie sie ganz hibbelig auf ihrem Stuhl hin- und herrutscht. Bei dem Anblick muss ich mir ein Grinsen verkneifen. Suse sieht aus, wie ein Teenager, der sich für sein erstes Date in Schale geworfen hat und nun nervös auf den Jungen wartet.
Bei mir ist es anders. Natürlich freue auch ich mich auf die Strippvorstellung, aber meine Aufregung hält sich in Grenzen. Vielleicht, weil ich vor Jahren mit meiner Cousine Elisabeth schon einmal bei so einer Strippshow war und in etwa weiß, wie es abläuft. Damals war ich auch extrem aufgeregt, fast so wie Suse jetzt. Susanne sieht heute zum ersten Mal dabei zu, wie sich ein paar Kerle auf einer Bühne entkleiden. Deshalb kann ich ihre Aufregung gut verstehen.
»Bist du denn überhaupt nicht aufgeregt?«, fragt Susanne, die immer hibbeliger zu werden scheint. Statt ruhig sitzen zu bleiben und auf die Show zu warten, ist sie so unruhig, dass sie ständig aufsteht, um sich kurz darauf wieder zu setzen. Ihr Verhalten macht mich nervös. Ich muss mich zusammenreißen, ihr das nicht zu sagen. Um mich ein bisschen von meiner aufgekratzten Begleitung abzulenken, beobachte ich zwei Frauen, die ganz ruhig vor uns sitzen.
»Doch, ein wenig«, flunkere ich, um Suse ihre Vorfreude nicht zu nehmen.
Ich schaue mich um und sehe, wie sich allmählich die Reihen hinter uns füllen. Viele der Frauen, die vorher noch herumstanden und sich unterhielten, haben inzwischen Platz genommen. Es kann also nicht mehr lange dauern, bis es endlich losgeht.
Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr und sehe, dass es in acht Minuten so weit ist.
Suse, die neben mir sitzt und immer noch gebannt auf die Bühne schaut, tippelt mit ihren Füßen auf dem Fußboden herum. Das Geräusch macht mich wahnsinnig. Statt sie aufzufordern, damit aufzuhören, versuche ich an etwas Schönes zu denken. Doch es gelingt mir nicht. Bevor ich einen neuen Versuch starten kann, wird plötzlich der Raum verdunkelt.
»Jetzt geht es los«, kreischt es ein paar Stühle neben mir. Ich weiß nicht genau, welcher Frau die Worte herausgerutscht sind. Alle Damen zu meiner rechten Seite scheinen noch aufgeregter zu sein, als meine Begleitung auf dem Stuhl links neben mir.
Suse stupst mich an, als sich der Vorhang in Bewegung setzt. Ganz langsam wird er aufgezogen und zum Vorschein kommen drei Herren, die noch komplett bekleidet sind.
»Die würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen«, schreit eine Frau hinter uns.
»Da hat sie recht«, stimmt Susanne grinsend zu.
Ich verdrehe nur die Augen und schaue mir die Männer genauer an.
Erst, als der Scheinwerfer auf die drei Herren gerichtet wird, kann ich sie deutlich erkennen. Ich sehe mir einen nach dem anderen an. Als mein Blick den Dritten streift, fällt mir die Kinnlade nach unten. Ich kann kaum glauben, was ich sehe.
Das kann nicht sein!
Ich schaue zu Suse, ob ihr etwas auffällt, aber sie scheint überhaupt nicht zu merken, wer dort auf der Bühne steht und sich langsam entkleidet. Sie grinst nur vor sich hin und nippt ab und zu an ihrem Glas Sekt.
Mein Blick wandert zurück zu dem dritten Stripper. Ich muss mich vergewissern, mich nicht getäuscht zu haben. Aber ich bin mir sicher, mich nicht geirrt zu haben. Auf der Bühne steht tatsächlich Lisas Freund Tom, in voller Größe.
Von wegen Getränke mixen! Der Typ zieht sich vor fremden Frauen aus.
Plötzlich wird mir ganz heiß. Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schießt, aber nicht, weil mich die Typen vorn auf der Bühne anmachen. Nein, weil ich mich schäme. Ich weiß nur noch nicht, ob für Lisa oder für Tom. In meinem Kopf entsteht eine Frage nach der anderen.
Weiß Lisa davon? Hat sie uns belogen, weil es ihr peinlich ist? Ist das der Grund, warum sie Tom nicht auf der Arbeit besuchen will? Hat sie sich komisch verhalten in der letzten Zeit? Oh Gott, soll ich mit ihr darüber reden? Was ist, wenn sie nichts davon weiß und die Wahrheit erst von mir erfährt?
Ich bin vollkommen durcheinander. Die vielen Fragen quälen mich.
Erneut schaue ich zu Susanne. Sie scheint Tom nicht zu erkennen, obwohl sie ihn auch kennt. Na ja, kennen ist zu viel gesagt. Sie hat ihn zur Ladeneröffnung nur ein einziges Mal gesehen. Womöglich hat sie ihn längst vergessen und weiß deshalb nicht, wer dort vorn steht.
Soll ich Suse davon erzählen? Nein, lieber nicht!, beantworte ich mir die Frage selbst.
Von Mia weiß ich, wie gern sich Susanne verplappert. Sie tut es zwar nicht, um jemanden zu schaden, sondern weil es ihr einfach so rausrutscht. Wenn sie es weiß, erfährt es demnächst Mia und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die anderen wissen. So gut, wie Mia sich gerade mit Lisa versteht, wird sie es ihr sicherlich sagen.
Wäre das so verkehrt, wenn Mia es ihr sagt? Dann wäre ich zumindest raus aus der Sache. Oder auch nicht! Lisa wird fragen, woher Mia es weiß! Und dann wird sie Lisa erzählen, ich hätte Tom gesehen.
Mir läuft der Schweiß die Stirn hinunter. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.
Vielleicht wäre es am besten, Tom darauf anzusprechen? Nein, das kann ich nicht! Ich sollte mich da lieber raushalten und so tun, als ob ich nichts davon weiß. Selbst wenn irgendwann einmal herauskommen sollte, dass wir bei einer Show von Tom waren, kann ich immer noch sagen, ich hätte ihn nicht erkannt. Suse weiß doch auch nicht, wer da vorne steht. Also bin ich fein raus aus der Sache.
Mit dieser Entscheidung lehne ich mich entspannt zurück. So langsam normalisieren sich meine Körperfunktionen wieder. Ich kann mich jetzt nach dem Wissen zwar nicht mehr auf die Nummer, die auf der Bühne dargeboten wird, einlassen - die Stripper haben sich schon einen Großteil ihrer Klamotten entledigt, aber das macht nichts. Irgendwann ist die Show vorbei.