Nostromo. Joseph Conrad
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»Herzlich unwahrscheinlich, wie? Das ist recht. Takt und ein steifes Rückgrat – das werden Sie nötig haben; und Sie können ruhig die Stärke ihres Rückhaltes ein wenig übertreiben. Nicht zu sehr, natürlich. Wir werden mit Ihnen gehen, solange die Sache glatt läuft. Aber wir wollen nicht in ernste Schwierigkeiten kommen. Das ist der Versuch, den zu machen ich bereit bin. Es ist ein wenig Gefahr dabei, und wir wollen sie auf uns nehmen; wenn aber Sie an Ihrem Ende nicht durchhalten, so werden wir unseren Verlust tragen, natürlich, dann aber – die Sache fallen lassen. Diese Mine kann warten; sie war schon einmal geschlossen, wie Sie wissen. Sie müssen sich klarmachen, daß wir unter keinen Umständen dafür zu haben sein werden, gutes Geld dem schlechten nachzuwerfen.<</p>
So hatte damals der mächtige Mann gesprochen, in seinem eigenen Privatkontor in einer großen Stadt, wo andere Männer (sehr bedeutend auch sie, in den Augen einer ahnungslosen Menge) dienstfertig auf einen Wink von seiner Hand warteten. Und mehr als ein Jahr später, während seines unerwarteten Erscheinens in Sulaco, hatte er nochmals seine unverbindliche Haltung mit einer Offenheit betont, wie sie ihm sein Reichtum und sein Einfluß erlaubten. Er hatte sich dabei vielleicht um so weniger Zurückhaltung auferlegt, als das, was getan, mehr noch die Art, in der es nacheinander getan worden war, ihm die augenscheinliche Überzeugung verschafft hatte, daß Charles Gould sehr wohl fähig war, »an seinem Ende durchzuhalten«.
»Dieser junge Bursche«, dachte er, »kann vielleicht noch eine Macht im Lande werden.«
Dieser Gedanke schmeichelte ihm, denn bisher hatte er über diesen jungen Burschen seinen Vertrauten keinen anderen Aufschluß geben können als diesen:
»Mein Schwager hat ihn in einem dieser alten deutschen Nester getroffen, in einem Bergwerksgebiet, und hat ihn mit einem Brief zu mir geschickt. Er ist einer von den Costaguana-Goulds, reinblütigen Engländern, doch alle im Lande geboren. Sein Onkel hatte sich auf die Politik geworfen, war der letzte Landespräsident von Sulaco und wurde nach einer Schlacht erschossen. Sein Vater war ein großer Geschäftsmann in Sta. Marta, versuchte sich von Politik fernzuhalten und starb, zugrunde gerichtet, nach einer Reihe von Revolutionen. Und da habt ihr ganz Costaguana in drei Worten.«
Natürlich war er ein zu großer Mann, als daß ihn selbst seine Vertrauten hätten über seine Beweggründe ausfragen können. Der Außenwelt wurde es freigestellt, ehrfürchtig über den verborgenen Sinn seiner Handlungen zu grübeln. Er war ein so großer Mann, daß die freigebige Begönnerung der »reineren Formen des Christentums« (die sich so kindlich im Kirchenstiften äußerte und Frau Gould solchen Spaß machte) seinen Mitbürgern als Ausdruck einer frommen und demütigen Gesinnung erschien. In seinen eigenen Kreisen aber, in der Finanzwelt, wurde das Aufgreifen einer Sache wie dieser San-Tomé-Mine zwar mit Achtung, doch auch als Anlaß zu leiser Heiterkeit angesehen. Es war die Laune eines Großen. In dem großen Holroydbau (einem Riesengebilde aus Eisen, Glas und Steinblöcken, an einer Straßenkreuzung, zuoberst von den Spinnweben der Telegraphendrähte gekrönt) tauschten die Vorstände der Hauptabteilungen mürrische Blicke und gaben einander damit zu verstehen, daß sie in die Geheimnisse der San-Tomé-Sache nicht eingeweiht waren. Die Post aus Costaguana (sie war nicht groß – ein mittelschwerer Umschlag) wurde uneröffnet geradewegs in das Zimmer des Großen Mannes getragen, und nie waren von dorther Weisungen wegen der Erledigung erfolgt. Die Beamten flüsterten untereinander, daß er persönlich antwortete – und die Antworten nicht einmal diktierte, sondern wirklich eigenhändig schrieb, mit Feder und Tinte, und, so mußte man wohl annehmen, in seinem Privatkopierbuch kopierte, das uneingeweihten Augen verschlossen war. Ein paar vorwitzige junge Leute, unbedeutende Rädchen in der elf Stock hohen Werkstatt, machten kein Hehl aus der Meinung, daß der Große Chef zu gutem Ende doch eine Dummheit gemacht habe und sich ihrer nun schäme; andere, ältlich und gleichfalls unbedeutend, doch voll romantischer Verehrung für das Geschäft, das ihre besten Jahre verschlungen hatte, raunten einander wissend zu, es sei ein schwerwiegendes Anzeichen; der Holroydverband gedenke nach und nach die ganze Republik Costaguana mit Stumpf und Stiel einzusacken. Tatsächlich aber hatten die recht, die ein Steckenpferd darin sahen. Es reizte den Großen Mann, sich persönlich um die San-Tomé-Mine zu bemühen; es reizte ihn so sehr, daß er sich durch die Vorliebe für dieses Steckenpferd bei der Wahl des Zieles für den ersten größeren Urlaub bestimmen ließ, den er seit einer erstaunlichen Reihe von Jahren nahm. Es war kein großes Unternehmen, das er dort auf die Beine gestellt hatte, keine Bahngesellschaft, kein Industriekonzern, sondern ein Mann! Ein Erfolg hätte ihm aus erfreulich neuen Gründen viel Spaß gemacht; andrerseits fühlte er aus dem gleichen Grund die Verpflichtung, beim ersten Anzeichen, daß die Sache schiefging, alles hinzuwerfen. Einen Mann kann man abschütteln. Unglückseligerweise hatten die Zeitungen über das ganze Land seine Reise nach Costaguana ausposaunt. Wenn ihm die Art Spaß machte, in der Charles Gould vorankam, so mengte er doch in die Zusage seiner Hilfe verstärkten Grimm. Sogar noch bei der letzten Unterredung, etwa eine halbe Stunde, bevor er aus dem Innenhof, den Hut in der Hand, hinter Frau Goulds weißen Maultieren abfuhr, hatte er in Charles Goulds Zimmer gesagt:
»Machen Sie auf Ihre eigene Weise fort, und ich werde Ihnen zu helfen wissen, solange Sie an der Stange bleiben. Aber Sie können versichert sein, daß wir gegebenenfalls wissen werden, Sie rechtzeitig fallen zu lassen!«
Darauf hatte Charles Gould nur geantwortet:
»Sie können die Maschinen absenden, sobald Sie wollen.«
Und dem Großen Mann hatte diese unbeirrbare Selbstsicherheit gefallen. Das ganze Geheimnis war, daß diese unverbindlichen Abmachungen Charles Gould sehr zusagten. So behielt die Mine ihre eigene Art, die er ihr schon als Knabe angedichtet hatte; und alles hing von ihm allein ab. Es war eine ernste Sache, und er nahm sie grimmig ernst. »Natürlich«, sagte er zu seiner Frau über diese letzte Unterredung mit dem abgereisten Gast, während er mit ihr langsam den Corrédor auf und ab schritt, von den aufgeregten Blicken des Papageis verfolgt, »natürlich kann ein Mann von solchem Schlage eine Sache aufnehmen oder fallen lassen, wann es ihm beliebt. Er wird durchaus nicht unter dem Gefühl einer Niederlage zu leiden haben. Mag er sich zurückziehen oder vielleicht auch morgen sterben: aber die großen Silber- und Eiseninteressen werden ihn überleben und eines Tages auf Costaguana zugleich mit dem Rest der Welt die Hand legen.«
Sie waren nahe bei dem Käfig stehengeblieben. Der Papagei schnappte das eine Wort auf, das zu seinem Wortschatz gehörte, und fühlte sich zur Einmengung bewogen. Papageien sind sehr menschlich.
»Viva Costaguana!« kreischte er mit größtem Selbstbewußtsein, plusterte gleich darauf seine Federn auf und stellte sich hinter den glitzernden Gitterstäben schlafend.
»Glaubst du das, Charley?« fragte Frau Gould. »Es erscheint mir als der schrecklichste Materialismus, und...«
»Meine Liebe, es bedeutet mir gar nichts«, unterbrach sie ihr Gatte in ruhigem Ton. »Ich mache Gebrauch von dem, was ich sehe. Was soll es mir ausmachen, ob die Stimme des Schicksals aus ihm spricht oder ob er einfach Blech daherredet? In beiden Amerikas wird ein gut Teil Gerede der einen oder andern Art erzeugt. Die Luft scheint der Gabe der Deklamation günstig. Hast du vergessen, wie der liebe Avellanos durch lange Stunden fortmachen kann...«
»Oh, aber das ist etwas anderes«, widersprach Frau Gould, beinahe entrüstet. Die Anspielung war nicht am Platze. Don José war ein lieber, guter Mann, der sehr gut sprach und begeistert war für die Größe der San-Toém-Mine. »Wie kannst du sie vergleichen, Charley?« rief sie vorwurfsvoll. »Er hat gelitten – und hofft doch noch.«
Für Frau Gould war die Arbeitstüchtigkeit der Männer – die sie nie bezweifelte – so auffallend, weil sie sich bei sehr vielen