Nostromo. Joseph Conrad
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Charles Gould allerdings war gezwungen worden, den Gedanken an den Reichtum ziemlich in den Vordergrund zu stellen; doch betrachtete er ihn als ein Mittel, nicht als Ziel. Wenn die Mine kein gutes Geschäft war, dann konnte er sie nicht anrühren. Auf diese Seite des Unternehmens mußte er das Hauptgewicht legen. Hier bot sich ihm der Hebel, um Leute mit Kapital in Bewegung zu setzen, und Charles Gould glaubte an die Mine. Er wußte alles, was darüber zu wissen war. Sein Glaube an die Mine war ansteckend, wenn er auch nicht durch große Beredsamkeit gestützt wurde; aber die Geschäftsleute sind häufig sehr heißblütig und phantasievoll, wie Liebhaber. Sie lassen sich weit häufiger, als man annehmen sollte, von einer Persönlichkeit gefangennehmen; und Charles Gould, in seiner unerschütterlichen Zuversicht, wirkte durchaus überzeugend. Überdies war auch den Männern, mit denen er etwas zu tun hatte, die Tatsache völlig vertraut, daß aus einem Bergwerk in Costaguana ein schönes Stück Geld herauszuholen war. Die großen Geschäftsleute wußten das recht gut. Die wahre Schwierigkeit, es dahin zu bringen, lag anderswo. Und gegen diese Schwierigkeit hatte sich Charles Gould mit einer Ruhe und einer unerschütterlichen Entschlußkraft gewappnet, die sogar noch in seiner Stimme mitklangen. Die Geschäftsleute wagen manchmal Handlungen, die dem gemeinen Menschenverstand töricht erscheinen mögen: sie fassen ihre Entschlüsse auf Grund sehr menschlicher Augenblickseingebungen. »Ganz recht«, hatte der bedeutende Mann gesagt, dem Charles Gould in San Franzisko, während seiner Heimreise, seine Gesichtspunkte dargelegt hatte. »Nehmen wir an, der Minenbetrieb in Sulaco würde in die Hände genommen, dann wären daran beteiligt: erstens einmal das Haus Holroyd, gegen das nichts einzuwenden ist; zweitens Herr Gould, Bürger von Costaguana, gegen den desgleichen nichts einzuwenden ist; und endlich die Regierung der Republik. Insoweit hat die Sache Ähnlichkeit mit der Erschließung der Salpetergebiete von Atacama, an der gleichfalls ein Finanzunternehmen, ein Herr namens Edward und – eine Regierung beteiligt waren; oder vielmehr zwei Regierungen – zwei südamerikanische Regierungen. Und Sie wissen, was daraus wurde. Krieg wurde daraus; ein verheerender, langwieriger Krieg wurde daraus, Herr Gould. In unserem Falle haben wir immerhin den Vorteil, daß wir es nur mit einer südamerikanischen Regierung zu tun haben, die auf ihre Beute aus der Sache lauert. Das ist ein Vorteil; aber es gibt ja auch Abstufungen in der Niedertracht, und diese Regierung ist die Costaguana-Regierung.«
So sprach der bedeutende Mann, der Millionär, der Mann, der Kirchen in einem Ausmaß zu stiften liebte, das der Größe seines Geburtslandes entsprach – der gleiche, dem gegenüber sich die Ärzte in bösen und versteckten Drohungen ergingen. Er war ein schwergliedriger, gesetzter Mann, dessen Anlage zur Beleibtheit die Weiten eines schwarzen Gehrocks mit Seidenaufschlägen mit übermenschlicher Würde erfüllte; sein Haar war eisengrau, seine Augenbrauen noch schwarz, und sein massiges Profil glich dem eines Cäsarenkopfes auf einer altrömischen Münze. Doch seine Abstammung wies nach Deutschland, Schottland und England, mit weit zurückliegenden Einschlägen von dänischem und französischem Blut, und hatte ihm zugleich mit dem Temperament eines Puritaners zu unersättlicher Eroberungslust verholfen. Er gab sich seinem Besucher gegenüber durchaus offen, mit Rücksicht auf die warme Empfehlung, die dieser aus Europa gebracht hatte, und auch wegen einer unvernünftigen Vorliebe für Lebensernst und Entschlossenheit, wo immer er sie traf und auf welches Ziel sie auch gerichtet sein mochten.
»Die Regierung von Costaguana wird ihre Trümpfe nicht leichtfertig aus der Hand geben – vergessen Sie das nicht, Herr Gould. Was ist nun dieses Costaguana? Es ist ein Faß ohne Boden für zehnprozentige Anleihen und andere Narrenstücklein. Durch lange Jahre ist europäisches Kapital mit beiden Händen hineingeworfen worden. Unsres nicht, allerdings. Wir hierzulande sind gerade noch schlau genug, um nicht aus dem Hause zu gehen, wenn es regnet. Wir können stillsitzen und warten. Natürlich werden wir eines Tages einschreiten. Wir können nicht drum herum. Aber das hat keine Eile. Sogar die Zeit selbst muß auf das größte Land in Gottes weiter Welt warten. Wir werden für alles und jedes das Zeichen geben; für Industrie, Handel, Gesetzgebung, Journalismus, Kunst, Politik und Religion, von Kap Horn bis hinauf nach Smith' Bay und noch weiter, wenn sich auf dem Nordpol irgend etwas zeigt, was die Beschlagnahme lohnt; und dann werden wir alle Muße haben, die entlegenen Inseln und Erdteile in die Hand zu nehmen. Wir werden die Angelegenheiten der Welt lenken, ob es die Welt will oder nicht. Die Welt kann nichts dagegen tun – und wir selbst ebensowenig, nehme ich an.«
Damit meinte er seinen Glauben an das Schicksal in Worte zu kleiden, wie sie seiner geistigen Fassungsgabe entsprachen, die in der Darstellung allgemeiner Gedankengänge wenig geschult war. Seine Fassungsgabe beschränkte sich auf Tatsachen, und Charles Gould, dessen Einbildungskraft dauernd von der einen großen Tatsache einer Silbermine erfüllt war, hatte gegen diese Auffassung über die Zukunft der Welt keine Einwendungen zu machen. Wenn sie ihm einen Augenblick lang widerstrebt hatte, so nur deshalb, weil die plötzliche Aufrollung so weitreichender Möglichkeiten die in der Gegenwart zur Rede stehende Sache zum Nichts herabminderte. Er selbst, seine Pläne und der ganze Mineralreichtum der Westlichen Provinz schienen plötzlich jeden Anflugs von Größe entkleidet. Der Eindruck war peinlich. Aber Charles Gould war nicht dumm. Er merkte schon, daß er gefiel; dieses schmeichelhafte Bewußtsein half ihm zu einem leisen Lächeln, das sein mächtiger Partner als ein Lächeln bescheidener und bewundernder Zustimmung deutete. Auch er lächelte leise; und sofort überlegte Charles Gould mit der geistigen Beweglichkeit, die man in Verteidigung einer teuern Hoffnung entfaltet, daß gerade die augenscheinliche Unwichtigkeit seines Vorhabens ihm zum Erfolg verhelfen würde. Er selbst und seine Mine würden Unterstützung finden, weil es damit nicht viel auf sich haben konnte für einen Mann, der seine Taten an einem so ungeheuren Schicksal maß. Und Charles Gould fühlte sich durch diese Erwägung nicht erniedrigt, da die Sache für ihn selbst so groß blieb wie nur je. Keines andern noch so weitreichende Auffassung vom Schicksal vermochte seiner eigenen Sehnsucht nach der Erschließung der San-Tomé-Mine etwas anzuhaben. Im Vergleich zu den scharfumrissenen Grenzen des eigenen Ziels, das mit Sicherheit in absehbarer Zeit zu verwirklichen war, erschien der andere Mann vorübergehend als ein weltfremder Träumer ohne Bedeutung.
Der Große Mann, massig und wohlwollend, hatte ihn gedankenvoll betrachtet; als er das kurze Schweigen brach, da geschah es, um zu bemerken, daß in Costaguana die Konzessionen in Schwärmen durch die Luft flögen. Jede einfältige Seele, die gerade nach einem Hereinfall verlangte, konnte eine solche Konzession auf den ersten Schuß herunterbringen.
»Unsern Konsuln wird damit der Mund gestopft«, fuhr er fort, ein Glitzern ehrlicher Geringschätzung in den Augen. Doch im Augenblick war er wieder ernst. »Ein gewissenhafter, aufrechter Mann, der sich zu Durchstechereien, Verschwörungen und Winkelzügen nicht hergibt und saubere Hände behalten will, bekommt sehr bald seine Pässe. Verstanden, Herr Gould? Persona non grata. Das ist der Grund, warum unsere eigene Regierung niemals genau unterrichtet ist. Andrerseits muß Europa aus diesem Erdteil draußengehalten werden, und für ein richtiges Einschreiten von unserer Seite ist die Zeit noch nicht gekommen, möchte ich sagen. Aber wir hier – wir sind ja nicht die Regierung dieses Landes, noch auch sind wir einfältige Seelen. Ihr Unternehmen ist schon recht. Die Hauptfrage für uns ist, ob der zweite Mann, und das sind Sie, vom rechten Schlage ist, um dem unwillkommenen Dritten, dem einen oder ändern aus dem großmächtigen Räubergesindel, das die Regierung von Costaguana in Händen hält, Widerpart zu halten. Wie denken Sie darüber, Herr Gould, he?«
Er beugte