Nostromo. Joseph Conrad

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Nostromo - Joseph Conrad

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fand eine so reiche Ader, daß weder die Ansprüche der aufeinanderfolgenden Regierungen, noch die gelegentlichen Überfälle von Werbeoffizieren auf die allmählich herbeigezogene Bevölkerung von bezahlten Bergleuten die Ausdauer der Unternehmer erschüttern konnten. Schließlich aber hatten sich während des langen Wirrwarrs von Pronunziamentos, die auf den Tod des berüchtigten Guzman Bento folgten, die eingeborenen Bergleute, von Sendboten aus der Hauptstadt aufgewiegelt, gegen ihre englischen Arbeitgeber empört und sie bis auf den letzten Mann ermordet. Das Beschlagnahmedekret, das unmittelbar darauf im »Diario Official« von Sta. Marta erschien, begann mit den Worten: »In gerechtem Zorne über die schamlose Unterdrückung durch Fremde, die sich weit eher durch schmutzige Geldgier als durch die Liebe zu einem Lande leiten ließen, in das sie als bettelhafte Glücksjäger gekommen waren, hat die Bergarbeiterschaft von San Tomé...« usw. und schloß mit der Erklärung: »Das Staatsoberhaupt hat beschlossen, von dem ihm zustehenden Begnadigungsrecht in vollem Maße Gebrauch zu machen. Die Mine, die nach jedem Gesetz, internationalem, menschlichem und göttlichem Gesetz, nunmehr der Regierung als Nationaleigentum zufällt, soll geschlossen bleiben, bis das im heiligen Kampf für die Grundsätze der Freiheit gezogene Schwert sein Werk getan und das Glück unseres geliebten Landes gesichert hat.«

      Und das war für lange Zeit das letzte Wort über die San Tomé-Mine. Welche Vorteile sich jene Regierung von der Beschlagnahme erhofft hatte, ist jetzt unmöglich zu sagen. Costaguana wurde mit Mühe dazu gebracht, den Familien der Opfer eine lächerliche Geldentschädigung zu zahlen, und dann verschwand die Angelegenheit aus dem diplomatischen Notenwechsel. Später aber erinnerte sich eine andere Regierung an jene wertvolle Erwerbung. Es war eine gewöhnliche Costaguana-Regierung, die vierte in sechs Jahren – doch wußte sie ihre Möglichkeiten richtig zu beurteilen. Sie erinnerte sich der San Tomé-Mine in der geheimen Überzeugung, daß sie im Besitze des Staates wertlos bleiben mußte, doch mit einem genialen Blick für den verschiedenen Gebrauch, der von einer Silbermine zu machen ist, abgesehen von dem mühsamen Prozeß, das Metall unter Tag zu gewinnen. Der Vater von Charles Gould, durch lange Zeit einer der wohlhabendsten Kaufleute von Costaguana, hatte bereits einen beträchtlichen Teil seines Vermögens in Zwangsdarlehen an die aufeinanderfolgenden Regierungen eingebüßt. Er war ein ruhig urteilender Mann, der es sich nie träumen ließ, seine Forderungen einzutreiben, und als ihm plötzlich, zum völligen Ausgleich, die dauernde Betriebskonzession der San Tomé-Mine angeboten wurde, da kannte seine Bestürzung keine Grenzen. Die Regierungskniffe waren ihm vertraut. Tatsächlich lag die Absicht bei der ganzen Geschichte, wenn auch zweifellos insgeheim reiflich erwogen, in der Fassung des Dokuments, das ihm zu dringender Unterschrift vorgelegt wurde, offen zutage. Der dritte und wichtigste Paragraph bestimmte, daß der Konzessionsinhaber der Regierung sofort den Staatsanteil an dem schätzungsweisen Ertrag der Mine für fünf Jahre im voraus erlegen sollte.

      Herr Gould, der Vater, suchte sich gegen diese gefährliche Gunst mit vielen Gegengründen und Vorstellungen zu wehren, doch ohne Erfolg. Er verstand nichts vom Bergbau; er hatte keine Möglichkeit, seine Konzession auf den europäischen Markt zu bringen. Betriebsvorrichtungen in der Mine bestanden nicht mehr. Die Gebäude waren niedergebrannt worden, die Pläne vernichtet, die Arbeiterbevölkerung war seit langen Jahren aus der Nachbarschaft verschwunden; sogar die Straße lag unter einem wuchernden, tropischen Pflanzenwuchs so gründlich wie auf dem Meeresboden begraben; und der Hauptstollen war wenige hundert Meter vom Eingang eingestürzt. Man konnte nicht mehr von einer verlassenen Mine sprechen; es war eine wilde, unzugängliche Felsenschlucht der Sierra, wo Überreste verkohlter Balken, ein paar Haufen Ziegelschutt und einige formlose, rostige Eisenstücke unter dem verfilzten Dickicht dorniger Schlingpflanzen zu finden gewesen wären, das den Boden überdeckte. Herr Gould, der Vater, wünschte nicht den dauernden Besitz dieser trostlosen Örtlichkeit. Tatsächlich genügte ihr bloßes Bild, wenn es in stillen Nachtstunden vor seinem geistigen Auge aufstieg, ihn in schlaflose, hitzige Erregung zu versetzen.

      Es ergab sich nämlich, daß der damalige Finanzminister ein Mann war, dem Herr Gould vor Jahren einmal unglückseligerweise ein kleines Darlehen verweigert hatte, mit der Begründung, daß der Bewerber ein berüchtigter Spieler und Betrüger und überdies mehr als nur verdächtig war, in einem abgelegenen Landbezirk, wo er damals als Richter wirkte, einen wohlhabenden Farmer angefallen und beraubt zu haben. Nun, nachdem er es zu einer hohen Stellung gebracht, hatte jener Politiker die Absicht geäußert, dem Señor Gould, dem armen Mann, Böses mit Gutem zu vergelten. Er wurde es nicht müde, diese Absicht immer wieder in den Salons von Sta. Marta zu betonen, mit sanfter und unerbittlicher Stimme und mit so listigen Blicken, daß Herrn Goulds beste Freunde diesem allen Ernstes rieten, von jedem Versuch, die Sache durch Bestechung aus der Welt zu schaffen, abzusehen. Es wäre sinnlos, es wäre vielleicht sogar nicht ungefährlich gewesen. Das war auch die Meinung einer stattlichen, etwas lauten Dame französischer Abstammung, der Tochter, wie sie sagte, eines hohen Offiziers (officier supérieur de l'armée), der innerhalb der Mauern eines säkularisierten Klosters, hart neben dem Finanzministerium, eine Wohnung eingeräumt war. Dieses blühende Geschöpf schüttelte bedauernd den Kopf, als geziemend, unter Überreichung eines passenden Geschenkes, wegen des Falles Gould bei ihr vorgesprochen wurde. Sie war gutmütig, und ihr Bedauern echt. Sie war der Auffassung, daß sie kein Geld für etwas annehmen könne, das zu vollbringen sie außerstande war. Herrn Goulds Freund, der mit der heiklen Sendung betraut war, pflegte späterhin zu erzählen, sie sei die einzige ehrliche Persönlichkeit in enger oder loser Verbindung mit der Regierung gewesen, die ihm je vorgekommen sei. »Nichts zu machen«, hatte sie in ihrem munteren, leicht heiseren Ton gesagt und dann Ausdrücke gebraucht, die eher für ein Kind unbekannter Eltern als für die verwaiste Tochter eines hohen Offiziers gepaßt hätten: »Nein, nichts zu machen. Pas moyen, mon garçon. C´est dommage, tout de même. Ab! Zut! Je ne vole pas man monde. Je ne suis pas ministre – moi. Vous pouvez emporter votre petit sac.«

      Sie biß sich kurz auf die karminroten Lippen und beklagte dabei wohl innerlich die unbeugsame Starrheit der Grundsätze, die den Verkauf ihres Einflusses auf die höchsten Kreise bestimmten. Dann fügte sie bedeutsam und leicht ungeduldig hinzu: »Allez et dites bien à votre bonbomme – entendez-vous? – qu'il faut avaler la pilule.« Nach einer solchen Warnung blieb nichts weiter übrig, als zu unterschreiben und zu zahlen. Herr Gould hatte die Pille geschluckt, und es war, als hätte sie ein schleichendes Gift enthalten, das unmittelbar auf sein Gehirn wirkte. Er wurde mit einmal von der Mine besessen, und da er in Unterhaltungsliteratur ziemlich belesen war, so verschmolz ihm die Mine mit dem Bild des Alten vom Meere, den er auf den Schultern mit sich zu schleppen hatte. Er begann auch von Vampiren zu träumen. Herr Gould übertrieb vor sich selbst die Nachteile seiner neuen Stellung, weil er sie gefühlsmäßig betrachtete. Seine Stellung in Costaguana war nicht schlechter als zuvor. Aber der Mann ist ein hoffnungslos beharrliches Geschöpf, und die außergewöhnliche Neuheit dieses Angriffs auf seine Börse beleidigte Goulds Zartgefühl. Jedermann rings um ihn wurde von den tollen Mörderbanden geplündert, die nach dem Tod von Guzman Bento ihr wildes Spiel von Regierung und Umsturz trieben. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß, wenn auch die Beute mitunter bei weitem nicht den Erwartungen entsprechen mochte, doch gewiß keiner der Burschen, der gerade im Besitz des Präsidentenpalastes war, so stümperhaft sein würde, durch den Mangel an einem Vorwand einen Mißerfolg zu verschulden. Der erstbeste Oberst der bloßfüßigen Armee von Vogelscheuchen, der des Wegs kam, vermochte mit größter Bestimmtheit jedem bloßen Zivilisten gegenüber seine Ansprüche auf eine Summe von zehntausend Dollar zu begründen; wobei er vielleicht die unwandelbare Hoffnung hatte, keinesfalls weniger als etwa tausend zu bekommen. Herr Gould wußte das sehr gut, hatte sich mit Entsagung gewappnet und auf bessere Zeiten gehofft. Doch in Form eines gesetzlichen, geschäftlichen Vorgehens beraubt zu werden, das war für seine Vorstellungskraft unerträglich. Herr Gould, der Vater, hatte einen Fehler in seinem weisen und ehrenwerten Charakter: er legte zuviel Gewicht auf die Form. Dieser Fehler ist unter Menschen sehr verbreitet, deren Ansichten durch Vorurteile eingeengt sind. Für ihn lag in der Sache eine Heimtücke umgebogener Gesetzlichkeit, die durch die moralische Erschütterung seine kräftige Gesundheit untergrub. »Es wird mich noch umbringen«, sagte er oft und oft an jedem Tage; und tatsächlich begann er von da ab an Fieber, an Leberbeschwerden und besonders an der quälenden Unfähigkeit zu leiden, noch an irgend etwas anderes zu denken. Der Finanzminister hätte sich die Wirkung seiner

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