Nostromo. Joseph Conrad

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Nostromo - Joseph Conrad

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Geschick, schien, ohne amtliche Stellung, außerordentlichen Einfluß in den höchsten Regierungskreisen zu besitzen. Er war in der Lage, Sir John zu versichern, daß der Präsident-Diktator die Reise machen würde. Allerdings sprach er in der gleichen Unterredung sein Bedauern darüber aus, daß General Montero darauf bestehe, gleichfalls mitzukommen.

      General Montero, den der Ausbruch der Revolution als unbekannten Linien-Kapitän an der wilden Ostgrenze des Staates getroffen, hatte sich mit seiner Abteilung in einem Augenblick auf die Seite der Ribiera-Partei geschlagen, wo besondere Umstände dieser an sich geringfügigen Tatsache entscheidende Bedeutung gaben. Das Kriegsglück war ihm wunderbar hold, und der Sieg von Rio Seco (nach eintägigem, verzweifeltem Kampfe) besiegelte seinen Erfolg. Schließlich ging er als General, Kriegsminister und militärisches Haupt der Blanco-Partei aus alledem hervor, trotzdem durchaus nichts Aristokratisches in seiner Abstammung war. Tatsächlich erzählte man sich, daß er und sein Bruder, Waisen, der Freigebigkeit eines europäischen Reisenden ihre Erziehung verdankten, in dessen Diensten ihr Vater sein Leben verloren hatte. Ein anderes Gerücht wollte wissen, daß ihr Vater einfach ein Köhler im Walde gewesen war und ihre Mutter eine getaufte Indianerin, tief aus dem Landesinnern.

      Doch wie dem auch sein mochte, die Costaguana-Presse hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Monteros Marsch durch den Urwald, von seiner Commandancia zum Hauptlager der Blancotruppen, zu Beginn des Aufruhrs, als »das heldenhafteste militärische Wagnis der neueren Zeit« zu feiern. Ungefähr zur gleichen Zeit war auch sein Bruder von Europa zurückgekehrt, wohin er angeblich als Sekretär eines Konsuls gegangen war. Fest stand, daß er eine kleine Schar von Desperados um sich gesammelt, einige Begabung als Guerillaführer bewiesen hatte und nadi Friedensschluß mit dem Posten eines Militärkommandanten der Hauptstadt belohnt worden war.

      Der Kriegsminister also begleitete den Diktator. Die Verwaltung der O. S. N. Kompagnie, die mit den Leuten von der Eisenbahn Hand in Hand zum Wohle der Republik arbeitete, hatte bei diesem wichtigen Anlaß Kapitän Mitchell die Weisung gegeben, den Postdampfer Juno zur Verfügung der ausgezeichneten Gäste zu halten. Don Vincente war von Sta. Marta nach Süden gereist, hatte sich in Cayta, dem Haupthafen von Costaguana, eingeschifft und war auf dem Seewege nach Sulaco gekommen. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats aber hatte mutig in einer wackeligen Postkutsche das Gebirge überquert, hauptsächlich zu dem Zweck, um seinen Chefingenieur zu treffen, der die endgültigen Vermessungsarbeiten für die Linie leitete.

      Trotz all der Unempfindlichkeit eines Geschäftsmannes für die Natur, deren Feindseligkeit ja immer durch Geldaufwand zu besiegen ist, konnte er sich doch eines tiefen Eindrucks nicht erwehren bei der Rast im Lager der Vermessungsabteilung, das auf dem höchsten Punkte der künftigen Bahnlinie errichtet war. Er brachte die Nacht dort zu, nachdem er eben zu spät gekommen war, um das letzte Verglühen des Sonnenlichts auf den schneeigen Hängen des Higuerota mit anzusehen. Getürmte Massen schwarzen Basalts faßten wie Torpfeiler einen Teil des Schneefeldes ein, das sich quer nach Westen hinzog. In der dünnen Höhenluft schien alles ganz nahe, in stille Klarheit getaucht wie in eine farblose Flüssigkeit; und gespannt auf das erste Geräusch der erwarteten Postkutsche lauschend, hatte der Chefingenieur in der Tür einer Hütte aus rohen Steinblöcken die wechselnden Farbtöne auf den ungeheuren Berghängen verfolgt und dabei gedacht, daß dieser Anblick, wie ein beseeltes Tonwerk, die letzte Feinheit verschleierten Ausdrucks mit überwältigender Wirkung vereinte.

      Sir John kam zu spät, um dem gewaltigen, unhörbaren Choral beizuwohnen, den der Sonnenuntergang in den Schroffen der Sierra harfte. Der Sang war in die atemlose Stille tiefster Dämmerung verrauscht, bevor Sir John steifbeinig über das vordere Rad der Postkutsche herunterkletterte und mit dem Ingenieur einen Händedruck wechselte.

      Man trug ihm ein Abendmahl in einer Steinhütte auf, die ein hohler Felsblock schien, ohne Türe oder Fensterrahmen in ihren zwei Öffnungen; ein helles Feuer aus Holzprügeln (die mit Mulis vom ersten Tal heraufkamen) brannte draußen und warf seinen grellen Schein in die Hütte; und zwei Kerzen in zinnernen Leuchtern – ihm zu Ehren angezündet, wie ihm erklärt wurde – standen auf einem rohen Lagertisch, an dem er zur Rechten des Chefingenieurs saß. Er verstand es sehr wohl, liebenswürdig zu sein; und die jungen Herren des Ingenieurstabs, für die die Vermessung der Bahnlinie allen Glanz der ersten Schritte ins Leben hatte, saßen auch dabei, mit glatten, wettergebräunten Gesichtern, hörten bescheiden zu und schienen über solche Leutseligkeit bei einem so großen Mann höchlich erfreut.

      Nachher, spät in der Nacht, ging er draußen mit dem Chefingenieur auf und ab und hatte dabei mit ihm ein langes Gespräch. Er kannte ihn seit langem gut. Dies war nicht das erste Unternehmen, bei dem ihre Begabungen, so elementar verschieden wie Feuer und Wasser, zusammengearbeitet hatten. Aus der Verbindung dieser beiden Persönlichkeiten, die nicht die gleiche Weltanschauung hatten, war eine Macht für den Dienst der Welt entsprungen – eine gewaltige Kraft, die mächtige Maschinen in Bewegung setzen und in der Brust von Menschen schrankenlosen Opferwillen für die Aufgabe wecken konnte. Von den jungen Burschen am Tisch, denen die Vermessung der Bahn wie das Abstecken des eigenen Lebensweges erschien, würde wohl mehr als einer den Tod finden, bevor das Werk getan war. Doch das Werk würde getan werden: die Kraft würde fast so stark wie ein Glaube wirken. Nicht ganz so stark vielleicht. In der Stille des schlafenden Lagers, auf der mondbeschienenen Hochfl äche des Passes, die wie eine weite Arena zwischen den Basaltwällen der Steilwände lag, standen die beiden auf und ab wandelnden Gestalten in dicken Mänteln still, und die Stimme des Ingenieurs sprach deutlich die Worte:

      »Wir können keine Berge versetzen!«

      Sir John hob den Kopf, um der deutenden Hand des ändern zu folgen, und empfand die volle Kraft der Worte. Der weiße Higuerota schwebte im Mondlicht über den Schatten der Felsen und der Erde wie eine gefrorene Seifenblase. Alles war still, bis nahebei, hinter dem kreisförmigen Wall eines Korrals für die Packtiere des Lagers, der aus losen Steinen getürmt war, ein Mulo stampfte und zweimal laut schnaubte.

      Der Chefingenieur hatte den Satz als Antwort auf die versuchsweise Anregung Sir Johns gesprochen, die Linie könnte vielleicht verlegt werden, um dem Widerstand der Grundeigentümer von Sulaco auszuweichen. Der Chefingenieur hielt die Hartnäckigkeit der Menschen für das geringere Hindernis. Überdies war zu deren Bekämpfung auch der große Einfluß von Charles Gould da, während der Bau eines Tunnels unter dem Higuerota ein ganz ungeheures Unternehmen darstellte.

      »O ja! Gould! Was für ein Mann ist das?«

      Sir John hatte in Sta. Marta viel von Charles Gould gehört und wünschte mehr zu wissen. Der Chefingenieur versicherte ihm, daß der Administrator der San-Tomé-Silbermine den größten Einfluß auf all diese spanischen Dons habe. Er besitze desgleichen eines der besten Häuser in Sulaco, und die Gastfreundschaft der Goulds sei über jedes Lob erhaben.

      »Sie haben mich aufgenommen, als hätten sie mich seit Jahren gekannt«, sagte er. »Die kleine Dame ist die Güte in Person. Ich habe einen Monat lang bei ihnen gewohnt. Er half mir bei der Zusammenstellung der Vermessungsabteilungen. Sein tatsächliches Eigentumsrecht an der San-Tomé-Silbermine gibt ihm eine besondere Stellung. Er scheint ganz offenbar das Ohr jeder einzelnen Provinzbehörde zu besitzen, und wie ich Ihnen schon sagte, kann er alle die Hidalgos der Provinz um den kleinen Finger wickeln. Wenn Sie seinem Rat folgen, werden die Schwierigkeiten entfallen, denn er wünscht die Bahn. Natürlich müssen Sie mit Ihren Worten vorsichtig sein. Das Haus Holroyd ist mit ihm an der Mine beteiligt, und da können Sie sich ja vorstellen...«

      Er unterbrach sich, denn vor einem der kleinen Feuer, die längs der niederen Korralmauer brannten, richtete sich ein Mann auf, bis zum Halse in seinen Poncho gehüllt. Der Sattel, den er als Kissen benutzt hatte, erschien als dunkler Fleck vor dem rotglühenden Aschenhaufen

      »Ich werde auf dem Rückweg durch die Staaten Holroyd selbst sehen«, sagte Sir John. »Ich habe festgestellt, daß auch er die Bahn wünscht.«

      Der Mann, der, vielleicht durch die nahen Stimmen aufgestört,

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