Nostromo. Joseph Conrad

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Nostromo - Joseph Conrad

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geradewegs aus der Stadt hinausgegangen, gerade vor sich hin, in der Mittagssonne, auf der weißen Straße, und seine Füße hatten ihn mit ihr zusammengeführt, in der Halle des verfallenen Palastes, einem prachtvollen, entblößten Raum, von dessen kahlen Wänden da und dort ein Damastfetzen, schwarz vor Altersmoder, niederhing. Die Einrichtung bestand in einem vergoldeten Armstuhl mit zerbrochener Lehne und einem achteckigen Säulenständer mit einer schweren Marmorvase darauf, die mit gemeißelten Masken und Blumengirlanden geschmückt und von oben bis unten zersprungen war. Charles Gould war über und über bedeckt mit dem weißen Staub der Straße, der auf seinen Schuhen, seinen Schultern und der Mütze mit zwei Schirmen lag. Darunter hervor lief ihm das Wasser übers Gesicht, und mit der Rechten umklammerte er einen dicken eichenen Knotenstock.

      Sie stand vor ihm, sehr bleich unter den Rosen auf ihrem großen Strohhut; in Handschuhen, einen hellen Sonnenschirm in der Hand, so wie sie im Begriff gewesen war, ihm bis an den Fuß des Hügels entgegenzugehen, wo drei Pappeln an der Mauer eines Weingartens standen.

      »Es hat ihn getötet!« wiederholte er. »Er hätte noch viele Jahre vor sich haben müssen. Wir sind eine langlebige Familie.«

      Sie war zu bestürzt, um irgend etwas sagen zu können; er sah mit starrem, forschendem Blick die gesprungene Marmorvase an, als hätte er beschlossen, sich ihre Form auf ewig einzuprägen. Erst als er plötzlich herumfuhr und zweimal hervorstammelte: »Ich bin zu dir gekommen... Ich bin geradewegs zu dir gekommen...«, ohne den Satz vollenden zu können – da erst kam ihr der ganze Jammer dieses einsamen, zerquälten Todes in Costaguana voll zum Bewußtsein. Er faßte ihre Hand, führte sie an die Lippen, und daraufhin ließ sie ihren Sonnenschirm fallen, streichelte ihm die Wangen, murmelte dazu »Armer Junge« und begann sich unter der niederhängenden Krempe ihres Hutes die Augen zu trocknen, sehr klein in ihrem einfachen, weißen Kleid, fast wie ein verlassenes Kind, weinend inmitten der verfallenen Größe des edlen Raumes; er aber, an ihrer Seite, war wieder in die unbewegliche Betrachtung der Marmorvase versunken.

      Nachher machten sie sich zu einem langen Spaziergang auf, der schweigend verlief, bis Charles plötzlich ausrief:

      »Ja! Wenn er's nur richtig angepackt hätte!«

      Und dann blieben sie stehen. Überall lagen langgestreckte Schatten auf den Hügeln, auf den Straßen, auf den eingezäunten Olivengärten; die Schatten von Pappeln, breitästigen Kastanienbäumen, Bauernhöfen und Steinmauern; und durch die Luft zitterten dünne, flinke Glockenschläge, wie der klopfende Puls des Sonnenuntergangs. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, wie aus Überraschung darüber, daß er sie nicht mit dem gewohnten Ausdruck ansah. Der gewohnte Ausdruck war der unbedingter Anerkennung und Aufmerksamkeit. Er bezeugte dadurch ihre Macht, ohne an eigener Würde einzubüßen. Dieses schmächtige Mädchen mit den kleinen Füßen, kleinen Händen, dem kleinen Gesicht, auf dem so lieblich die schweren Haarflechten lasteten; mit dem ziemlich großen Mund, dessen Lippen sich in einer Art öffneten, die Offenheit und Großmut zu verkünden schien: dieses Mädchen hatte die verwöhnte Seele einer erfahrenen Frau. Vor allen Dingen und über alle Schmeicheleien hinaus wachte sie sorgsam über ihren Stolz auf den Mann ihrer Wahl. Der sah sie nun tatsächlich überhaupt nicht an; sein Ausdruck war gespannt und entrückt, wie ja nicht anders zu erwarten, bei einem Mann, der sich darin gefällt, am Kopf eines jungen Mädchens vorbei ins Leere zu starren.

      »Nun ja. Es war unbillig. Sie haben ihm übel mitgespielt, dem armen alten Herrn. Oh, warum hat er mir nicht erlaubt, zu ihm zurückzukehren! Aber nun werde ich wohl wissen, wie ich die Sache anpacken muß.«

      Nachdem er diese Worte mit ungeheuerer Selbstsicherheit gesprochen hatte, blickte er zu dem Mädchen nieder und wurde sofort eine Beute von Betrübnis, Unsicherheit und Angst.

      Das einzige, was er nun zu wissen wünschte, sagte er, war, ob ihre Liebe stark genug wäre, ob sie den Mut haben würde, mit ihm weit weg zu gehen? Er legte ihr diese Frage mit angstzitternder Stimme vor, denn er war ein entschlossener Mann.

      Ja, ihre Liebe war stark genug. Ja, sie wollte mit ihm mit. Und sofort hatte die künftige Gastgeberin aller Europäer in Sulaco das körperliche Gefühl, daß die Erde unter ihren Füßen wich, alles schwand, sogar noch die Glockentöne. Als ihre Füße wieder auf den Boden trafen, da läutete die Glocke im Tale immer noch. Das Mädchen griff sich mit den Händen ans Haar und sah schnell atmend die steinige Halde hinauf und hinunter. Die war erfreulich menschenleer. Unterdessen stieg Charles mit einem Fuß in einen trockenen, staubigen Graben und holte den aufgespannten Sonnenschirm herauf, der mit kriegerischem Lärm, wie von Trommelwirbeln, von ihnen weggehüpft war. Charles reichte ihn geziemend und leicht verlegen der Besitzerin.

      Sie machten sich auf den Heimweg, und nachdem sie die Hände unter seinen Arm geschoben hatte, waren seine ersten Worte: »Es ist ein Glück, daß wir uns in einer Hafenstadt werden niederlassen können. Du kennst den Namen, es ist Sulaco. Ich bin so froh, daß der arme Papa das Haus erworben hat. Er hat dort vor Jahren ein großes Haus gekauft, einfach nur, damit es immer eine Casa Gould in der Hauptstadt des Landesteiles geben sollte, der früher einmal die Westliche Provinz hieß. Ich habe als kleiner Junge einmal mit meiner lieben Mutter ein ganzes Jahr dort gelebt, während der arme Papa eine Geschäftsreise durch die Vereinigten Staaten machte. Du sollst die neue Herrin der Casa Gould sein.«

      Und später, in der unbewohnten Ecke des Palazzo über den Weinbergen, den Marmorbrüchen, den Pinien und Oliven von Lucca, sagte er noch:

      »Der Name Gould war in Sulaco immer hoch geachtet. Mein Onkel Harry war eine Zeitlang Oberhaupt des Staates und hat unter den ersten Familien einen großen Namen hinterlassen: damit meine ich die reinen Kreolenfamilien, die an den kümmerlichen Regierungspossen keinen Anteil nehmen. Onkel Harry war kein Abenteurer. In Costaguana sind wir Goulds keine Abenteurer. Er stammte aus dem Lande und liebte es, in seinen Anschauungen aber blieb er im Grunde doch Engländer. Er machte sich den politischen Wahlspruch der Zeit zu eigen. Es war Föderation. Aber er war kein Politiker. Er stand einfach für öffentliche Ordnung ein, aus reiner Liebe zu vernünftiger Freiheit und aus Haß gegen Unterdrückung. Er war kein Flunkerer. Er ging auf seine eigene Weise an die Arbeit, weil die ihm die rechte schien, genau so, wie ich jetzt das Gefühl habe, daß ich mich an diese Mine machen muß.«

      In solchen Worten sprach er zu ihr, weil sein Gedächtnis erfüllt war von dem Land seiner Kindheit, sein Herz von dem Leben mit diesem Mädchen, sein Sinn von der San-Tomé-Konzession. Er fügte hinzu, er würde sie für einige Tage verlassen müssen, um einen Amerikaner ausfindig zu machen, einen Mann aus San Franzisko, der sich noch irgendwo in Europa aufhielt. Er hatte ihn einige Monate zuvor in einer althistorischen deutschen Stadt in einem Bergwerksbezirk kennengelernt. Der Amerikaner hatte seine Damen mit sich, schien sich aber einsam zu fühlen, während sie den ganzen langen Tag die alten Torwege und die Ecktürmchen der mittelalterlichen Häuser abzeichneten. Charles Gould fand mit ihm einen engen Berührungspunkt im Bergbau. Der andere Mann war an verschiedenen Bergwerken beteiligt, wußte etwas von Costaguana und hatte auch den Namen Gould schon gehört. Sie hatten sich mit einer Vertrautheit unterhalten, die durch den Altersunterschied zwischen ihnen ermöglicht war. Nun wollte Charles diesen geschäftstüchtigen und dabei umgänglichen Kapitalisten auffinden. Das Vermögen seines Vaters in Costaguana, das er für beträchtlich gehalten hatte, schien infolge der vielfachen Revolutionsbrandschatzungen dahingeschmolzen zu sein. Abgesehen von einigen zehntausend Pfund, die in England hinterlegt waren, schien nichts übriggeblieben als das Haus in Sulaco, ein nicht sehr klar umrissenes Ausbeutungsrecht für Wälder in einem wilden, abgelegenen Innenbezirk und die San-Tomé-Konzession, die seinem armen Vater bis zum Rand des Grabes treugeblieben war.

      All dies erklärte er dem Mädchen. Es war spät, als sie sich trennten. Nie zuvor hatte sie sich ihm so bezaubernd gezeigt. All die schnelle Bereitschaft der Jugend für ein fremdartiges Leben, für Weite, für eine Zukunft mit einem Beigeschmack von Kampf und Abenteuer – ein unbestimmter Wunsch nach Aufbau und Eroberung –, all dies hatte sie mit tiefer Erregung erfüllt, die sie dem Erwecker mit

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