Nostromo. Joseph Conrad
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Frau Gould hatte es nicht vergessen. »Du hast es mir vorgelesen, Charley«, murmelte sie. »Es war ein ergreifender Ausspruch. Wie tief dein Vater die furchtbar traurigen Dinge empfunden haben muß!«
»Er wollte sich nicht berauben lassen. Es brachte ihn zur Verzweiflung«, sagte Charles Gould. »Aber das Bild ist treffend genug. Was wir hier brauchen, ist Gesetz, Treu und Glaube, Ordnung, Sicherheit. Jeder kann über diese Dinge Vorträge halten, aber ich setze meinen Glauben in die materiellen Interessen. Laß die nur einmal festen Fuß fassen, und sie werden sich schon selbst die Lebensbedingungen schaffen, die sie zu ihrem Fortbestehen brauchen. Das ist es, was das Geldmachen hier angesichts der Gesetzlosigkeit und der Unordnung rechtfertigt. Es ist gerechtfertigt, weil die Sicherheit, die es verlangt, auch einem unterdrückten Volk zugute kommt. Eine bessere Gerechtigkeit wird folgen. Da hast du den Hoffnungsstrahl.« Sein Arm drückte ihre schlanke Gestalt einen Augenblick lang an sich. »Und wer weiß, ob in diesem Sinn nicht vielleicht die San-Tomé-Mine der kleine Spalt in der Dunkelheit werden mag, den je zu sehen mein armer Vater bezweifelt hatte?«
Sie sah bewundernd zu ihm auf. Er war tüchtig; er hatte ihrer unbestimmten, selbstlosen Sehnsucht feste Form gegeben.
»Charley«, sagte sie, »du bist herrlich ungehorsam.«
Er verließ sie plötzlich im Corrédor, um seinen Hut zu holen, einen weichen, grauen Sombrero, ein Nationalkleidungsstück, das unerwartet gut zu seiner rein englischen Tracht paßte. Er kam zurück, eine Reitpeitsche unter dem Arm, und knöpfte sich die Hundslederhandschuhe zu. Sein Gesicht spiegelte seine entschlossenen Gedanken wider. Seine Frau hatte ihn an der Treppe erwartet, und bevor er sie zum Abschied küßte, beendigte er das Gespräch:
»Wir sollten es uns unerbittlich klarmachen«, sagte er, »daß es für uns kein Zurück gibt. Wo könnten wir das Leben neu beginnen? Wir stecken nun auf Gedeih und Verderb hier fest.«
Er beugte sich sehr zärtlich und ein wenig reuig über ihr emporgewandtes Gesicht. Charles Gould war so tüchtig, weil er sich keiner Selbsttäuschung hingab. Die Gould-Konzession hatte sich ihres Lebens zu wehren, mit all den Waffen, die in dem verrotteten Sumpf gerade zur Hand waren; inmitten einer Bestechlichkeit, die so allgemein war, daß sie fast schon wieder gegenstandslos wurde. Charles Gould war bereit, nach seinen Waffen zu greifen. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, als hätte ihn die Silbermine, die seinen Vater getötet hatte, weiter vorgelockt, als er hätte gehen sollen; und mit der schlüssigen Logik des Gefühls empfand er, daß der Wert seines eigenen Lebens unlösbar mit dem Erfolg verknüpft war. Es gab kein Zurück.
7
Frau Gould war zu vernünftig in ihrer Zuneigung, um dieses Gefühl nicht zu teilen. Es gab dem Leben einen prickelnden Reiz, und sie war viel zu sehr Frau, um daran nicht Gefallen zu finden. Aber es erschreckte sie auch ein wenig. Und wenn Don José Avellanos, während er sich im Schaukelstuhl wiegte, sich etwa gelegentlich zu der Behauptung verstieg: »Sogar wenn Sie keinen Erfolg gehabt hätten, mein lieber Carlos; sogar wenn heute noch ein unvorhergesehener Zwischenfall Ihr Werk zerstören würde – was Gott verhüten möge –, so hätten Sie sich doch um Ihr Land verdient gemacht« – dann schickte wohl Frau Gould vom Teetisch her einen tiefen Blick zu ihrem unbewegten Gatten hinüber, der mit dem Löffel in der Tasse rührte, als hätte er nicht ein Wort gehört.
Nicht als ob Don Jose irgend etwas der Art hätte vorhersagen wollen. Er konnte des lieben Carlos Takt und Mut nicht hoch genug rühmen. Seine englische, felsenstarke Charakteranlage sei sein bester Schutz, versicherte Don José; und dann zu Frau Gould gewandt: »Sie nun, Emilia, meine Seele« – er erlaubte sich die Anrede kraft seiner Jahre und der alten Freundschaft –, »Sie sind eine so echte Patriotin, als wären Sie in unserer Mitte geboren.«
Dies konnte weniger oder mehr als die Wahrheit sein. Frau Gould hatte, während sie ihren Gatten auf der Suche nach Arbeitskräften durch das ganze Land, durch die ganze Provinz begleitete, das Land mit schärferem Blick erfaßt, als es einer echtbürtigen Costaguanera möglich gewesen wäre. In ihrem von der langen Reise stark mitgenommenen Reitkleid, das Gesicht weiß verstaubt wie eine Gipsmaske und mit noch einer kleinen Seidenmaske davor, zum Schutz gegen die ärgste Tageshitze, ritt sie inmitten einer kleinen Kavalkade ein wohlgeformtes, leichtfüßiges Pony. Zwei Mozos de campo, malerisch in ihren großen Hüten, in weißen, gestickten Calzoneras, Lederjacken und gestreiften Ponchos, Anschnallsporen an den nackten Fersen, ritten voraus, die Karabiner quer über die Schultern gehängt, und federten gleichmäßig im Trab ihrer Pferde. Eine Tropilla von Packmulis bildete die Nachhut unter dem Befehl eines mageren braunen Treibers, der seinem langohrigen Tier weit hinten auf der Kruppe saß, die Beine lang vorgestreckt, den breitrandigen Hut in den Nacken zurückgeschoben, daß ihm die Krempe wie ein Heiligenschein um den Kopf stand. Ein alter Costaguana-Offizier, ein verabschiedeter Major niederer Herkunft, doch von den ersten Familien wegen seiner Treue zur Blancopartei begönnert, war von Don José als Führer und Reisemarschall für das Unternehmen empfohlen worden. Die Spitzen seines grauen Schnurrbarts hingen ihm bis unter das Kinn, und während er an Frau Goulds linker Seite ritt, blickte er mit kindlichen Augen in die Runde, wies auf die Einzelheiten der Landschaft hin, nannte die Namen der kleinen Pueblos, der Güter und der Haziendas, die mit glatten Wänden, wie langgestreckte Festungen, die Hügel oberhalb des Tales von Sulaco krönten. Das Tal breitete sich mit junggrünen Saaten, ebenen Flächen, Büschen und Wasserläufen parkartig von dem blauen Dunst der fernen Sierra bis zu der ungeheuren Weite des Horizontes aus Gras und Himmel, wo große weiße Wolken langsam in das Dunkel ihres eigenen Schattens zu fallen schienen.
Männer ackerten mit Ochsen, die im Joch vor hölzernen Pflügen gingen, klein in der grenzenlosen Ebene, als wollten sie die Unendlichkeit selbst angreifen. Weit weg sah man berittene Vaqueros dahingaloppieren und die großen Herden weiden, alle die gehörnten Köpfe in eine Richtung gekehrt, in einer einzigen webenden Linie, so weit das Auge über die weiten Potreros reichte. Ein weitästiger Wollbaum warf seinen Schatten über einen gedeckten Viehschuppen an der Straße; die in langen Reihen hintereinander trottenden, schwerbeladenen Indianer lüfteten ihre Hüte und hoben traurig-stumme Augen zu der Kavalkade auf, die den Staub auf dem holprigen Camino real aufwirbelte, der gleichen Straße, an der ihre versklavten Vorväter gearbeitet hatten. Und Frau Gould meinte mit jeder Tagesreise der Seele des Landes näherzukommen: sie erschloß sich ihr hier im Innern, das von der leichten europäischen Tünche der Küstenstädte frei war. Ein großes Land mit Ebenen und Bergen und einem Volk, das stumm litt und in ergreifender, geduldiger Unbewegtheit seine Zukunft erwartete.
Frau Gould sah das Gesicht des Landes und lernte die mit schläfriger Würde gebotene Gastfreundschaft in den weiten Gebäuden kennen, die den windgepeitschten Viehweiden lange, fensterlose Wände und schwere Tore zukehrten. Man wies ihr den Ehrenplatz am Kopfende der langen Tische, wo Herren und Diener in altväterlicher Schlichtheit zusammensaßen. Die Damen des Hauses führten im Mondlicht unter den Orangenbäumen des Innenhofes sanfte Gespräche und hinterließen in Frau Gould den Eindruck von der Süße ihrer Stimmen und dem etwas geheimnisvollen Gleichmaß ihres Lebens. Am Morgen gaben dann die Herren, gut beritten, in bortenbesetzten Sombreros und gestickten Reitanzügen, den scheidenden Gästen das Geleite und empfahlen sie an den Grenzpfählen ihrer Besitzungen mit