Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Die Sucht

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an. Vor allem mein Moralapostelgehabe.

      Ich schalte das Handy wieder aus, gehe zu meinem Bett und lasse mich in meine weiche Matratze fallen. Ich spüre Marcels Entsetzen und Traurigkeit, als wäre er bei mir und ich würde es live sehen. Aber vielleicht ist das der einzige Weg für ihn, es auch ertragen zu können. Wenn er erfahren würde, was ich mit Tim gemacht habe und vor allem mit Erik … wäre das nicht viel schlimmer für ihn?

      Ich rede mir das ein, weil es für mich so erträglicher ist. Wahrscheinlich wird mir mein schlechtes Gewissen deshalb eine unruhige Nacht bescheren.

      Aber ich schlafe dann doch besser, als ich dachte.

      Meinen Eltern tische ich am nächsten Morgen auf, dass ich erst zur dritten Stunde Schule habe und sie glauben es mir, ohne das weiter zu Hinterfragen. Das ist für sie schließlich auch ein erklärlicher Grund, warum ich überhaupt bei ihnen schlafen konnte. Damit fahren sie dann auch beruhigt zur Arbeit.

      Ich fahre allerdings nicht zur Schule. Tim schreibe ich kurz vor Mittag, dass er mich bei meinen Eltern treffen soll. Eine Stunde später rollt der schwarze Mercedes auf den Hof und er springt gut gelaunt und fröhlich aus dem Auto.

      Ich sehe das, weil ich schon eine gefühlte Ewigkeit am Fenster stehe. Langsam gehe ich die Treppe hinunter zur Tür, an der er schon sturmklingelt. Als ich die Tür öffne, steht er grinsend davor.

      „Hi, Tim“, raune ich.

      „Carolin!“ Er zieht mich in seine Arme und mir schießen augenblicklich die Tränen in die Augen …

      Wenig später sitzen wir auf der Terrasse in der Sonne und Tim hört mir einfach nur zu.

      Ich erzähle ihm von den Fußballspielen, die ich nicht mag, von meinen Osnabrücker Ausflügen, die Marcel nicht mag, von meinen Osnabrücker Freunden, die Tim ja auch schon kennengelernt hat und die Marcel auch nicht mag und von den SMSen von dieser Sabrina. Alles erzähle ich ihm. Außer das von Erik und mir. Ich stelle Erik nur als Ellens Bruder hin, der es nicht gut findet, dass Marcel den Umgang mit ihnen nicht gerne duldet.

      Tim lässt sich daraufhin noch mal die Geschichte von meinem Drogensamstag erzählen und wie ich an Diego und den Verlobungsring kam. Ich erzähle ihm auch, wie Marcel mit mir und Diego zu meinen Eltern gefahren ist und dafür plädiert hat, dass ich zu ihm ziehen darf.

      Die Erinnerung zerreißt mich fast. Ich weiß oft nicht, ob ich es ohne Marcel überhaupt schaffen kann.

      Tim sagt nicht viel. Er kam hier so glücklich an und hat erneut ein Wrack vor sich sitzen, das um Marcel und die zerstörte Liebe zu ihm trauert. Er weiß nicht, dass ich vor allen damit nicht fertig werde, dass ich es bin, die Marcel betrogen hat. Wenn er ahnt, dass irgendwas aus der Richtung mit meinem momentanen Gefühlsinferno zu tun hat, dann glaubt er höchstens, ich bin wieder dem Fluch, und somit ihm verfallen.

      Davon fühle ich nicht viel. Was da in meinem Bauch rumort ist eher die Python, die sich an meiner Trauer, Wut und meinem Gefühlschaos dick frisst. Ich habe mir alles selbst zerstört. Marcel war sich gestern Abend sogar sicher gewesen, dass ich mich mit jemand anderem treffe. Das hatte er mir ganz klar zu verstehen gegeben. Dass ich ihn mit dieser Sabrina ausstechen konnte, ahnte er da ja noch nicht.

      „Und was hast du jetzt vor?“, fragt Tim und nimmt meine Hand. Er küsst meine Fingerspitzen. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“

      Ich weiß, was er für mich tun kann.

      „Können wir später meine Sachen aus Marcels Wohnung holen?“

      „Natürlich! Und wo willst du hin? Ziehst du wieder hier ein?“

      Ich sehe mich um, als sähe ich das hier zum ersten Mal. „Muss ich wohl.“

      Tim lässt meine Hand los und steht auf. „Ich hole meine Zigaretten eben aus dem Auto“, raunt er und geht.

      Ich sehe ihm überrascht hinterher. Mich in dem Stuhl zurücklehnend, bin ich erstaunt, wie ruhig er ist und wie geduldig er sich alles angehört hat. Er hatte sich bestimmt etwas anderes für seine freien Tage gewünscht.

      Als er wieder um die Ecke kommt, sieht er mich mit leuchtenden Augen an, setzt sich und nimmt eine Zigarette aus der Schachtel, zündet sie an und gibt sie mir. Dann zündet er sich selbst eine an, inhaliert den Rauch und sagt: „Ich habe vielleicht eine Lösung, für den Fall, dass du nicht bei deinen Eltern unterkriechen möchtest.“

      Mein Blick läuft fragend in sein Gesicht.

      Tim hält mir seine geschlossene Hand hin. „Ich denke, dass ist Vorsehung, dass ich heute hierhergekommen bin“, raunt er.

      Ich halte ihm meine geöffnete Hand hin, unsicher was er meint und er legt mir etwas hinein.

      Ich starre auf den Schlüssel in meiner Hand.

      „Mein Wohnungsschlüssel. Ich rufe nachher den Vermieter an und sage Bescheid, dass meine Schwester da einzieht, bis ich im Dezember wiederkomme. Ihm wird es recht sein und die Miete wird eh bezahlt, ob ich nun da bin oder nicht.“

      Ich kann es nicht fassen. Ich kann in Tims Wohnung ziehen, die weder Marcel noch sonst jemand kennt.

      Plötzlich sehe ich Licht am Horizont. Das wird meine Panikwohnung.

      Aus dem Stuhl springend, falle ich Tim um den Hals, der seine Zigarette fallen lässt und mich mit beiden Armen umschlingt. Er zieht mich auf seinen Schoß und bevor ich auch nur reagieren kann, legen sich seine Lippen auf meine und er küsst mich ungestüm.

      Völlig überwältigt von meinem neuen Wohnsitz erwidere ich seinen Kuss. Ich bin jetzt ein freier Mensch und kann tun und lassen, was ich will.

      Meine Gefühle ignoriere ich, und mein Gewissen, das kurz den Zeigfinger hebt, um auf sich aufmerksam zu machen.

      Freiheit! So fühlt sie sich an. Mit einer eigenen Wohnung. Und ich kann küssen, wen ich will.

      Aber der Kuss hinterlässt nur einen bitteren Nachgeschmack und ich knurre in mich hinein: Nur noch One-Night-Stands und keine Liebe mehr. Ich bin frei und will frei bleiben und wenn ich mich dazu zwingen muss.

      „Danke Tim. Wenn ich dich nicht hätte“, flüstere ich und sehe in seine schwarzen Augen. Ich schiebe mich von seinem Schoß. „Lass uns meine Sachen holen.“

      Wir schaffen meine Schultasche und alles, was ich mitnehmen möchte, aus meinem Zimmer in sein Auto. Meinen Fernseher lasse ich da, weil Tim alles noch in seiner Wohnung hat, wie er mir erklärt.

      Tim dreht die Musik auf und lässt das Verdeck aufklappen, als wir nach Bramsche fahren.

      Ich bin so überwältigt von dem Gefühl, eine eigene Bleibe zu haben und mein Leben plötzlich wieder in eine ertragbare Richtung laufen zu sehen, dass ich fast schon gute Laune bekomme. Niemals hätte ich gedacht, dass mich der Umstand, dass ich mit Tims Wohnung mir ein Stück Freiheit erkaufe, so aufbaut. Vielleicht hat mich Marcel mit seiner Heimchen-Nummer doch überfordert?

      Gut, wäre die Wohnung in Osnabrück, wäre ich noch glücklicher. Aber hier draußen kann mich keiner finden, wenn ich es nicht will. Und ich will es definitiv nicht.

      Nur noch One-Night-Stands und keine Liebe mehr. Das soll mein neuer Lebensstil sein.

      Marcel

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