Schöne Ungeheuer. Wilfried Steiner

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Schöne Ungeheuer - Wilfried Steiner

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Damit wollte er mich also ködern. Mit der Gralsburg der Naturwissenschaftler. Schon stellte ich mir die gewaltigen Ausmaße des ATLAS-Detektors vor, sah mich neben ihm stehen und zu einem Insekt schrumpfen. Doch das war nur eine Finte, ich durfte mich davon nicht beeindrucken lassen.

      „Soll ich ein Interview mit einer Mörderin führen?“

      „Ganz genau.“

      Herbert zog ein Kuvert aus der Schublade, öffnete es, nahm ein Foto heraus und legte es vor mich hin.

      „Das ist sie“, sagte er mit siegesgewisser Miene.

      Wie anmaßend! Hielt er mich für einen Mann, dessen Urteilsvermögen sich durch hübsche Larven beeinflussen ließ?

      Dann schaute ich mir das Porträt doch an. Länger als geplant. Aus dem Nichts fiel mir Taminos Arie ein, obwohl ich mindestens zehn Jahre nicht mehr in der Zauberflöte gewesen war. Das Unbewusste ist zuweilen ein Heckenschütze.

      „Sie ist angeblich eine der begabtesten Physikerinnen am CERN“, sagte Herbert. „Die Männer mit eingeschlossen. Ihr Name ist Jelena Karpova.“

      „Russin?“

      „Ihre Familie stammt aus Krasnojarsk.“ Herberts Grinsen hatte jetzt etwas Warmes, Mitleidiges.

      So schnappte die Falle zu und das Unheil nahm seinen Lauf.

      Falls es denn eines war.

      Nennen wir es lieber: das Unvorhersehbare.

      Herbert erhob sich und zog eine dicke Mappe aus dem Regal neben dem Fenster.

      „Das ist alles, was wir über sie haben. Ich möchte, dass du jede Seite davon liest.“

      „In meiner Freizeit, nehme ich an.“

      Herbert seufzte und setzte sich wieder. „Du kannst deine Arbeitsstunden gerne der Zeitung verrechnen. Aber mit Maß und Ziel.“

      Ich betrachtete die kleinen Fältchen in seinen Augenwinkeln.

      „Warum liegt dir so viel an dem Fall?“

      „Er ist mysteriös“, sagte Herbert. „Eine ideale Ausgangslage für eine Aufdeckergeschichte.“

      Auch so ein Lieblingswort des Ressortchefs. Wenn die Gesetze es zugelassen hätten, würde als Berufsbezeichnung in seinem Pass Aufdecker stehen. Er träumte von den ganz großen Geschichten, in denen alles steckte: Kabale und Liebe, Betrug und Lügen und natürlich vor allem eine faszinierende, prominente Frau, die vom Titelblatt strahlen würde. Dabei hatte es in den letzten zwanzig Jahren gerade einmal zwei Reportagen gegeben, mit denen der Beobachter Aufsehen erregt hatte.

      „Wenn du etwas aufdecken willst, warum machst du es nicht selbst?“

      „Erstens, weil ich keine Ahnung von Naturwissenschaft habe. Und zweitens, weil der Chef es so will.“

      „Dann soll er mir das selbst sagen.“

      „Er hat momentan viel um die Ohren.“

      „Soso. Und du? Bist du jetzt nur mehr sein Erfüllungsgehilfe? Sein Befehlsweiterleiter?“

      „Georg, ich muss dich bitten, deinen Ton –“

      „Weit habt ihr es gebracht“, unterbrach ich ihn, „du und deine Karriere.“

      „Wenigstens hocke ich nicht den ganzen Tag im Büro herum und hoffe, dass nichts geschieht.“

      Ich versuchte, so finster wie möglich zu blicken, und schwieg.

      „Georg“, begann Herbert in sanftem Ton, „das hat doch keinen Sinn. Lass uns wie erwachsene Menschen –“

      „Ja, natürlich. Natürlich. Also, was hofft ihr denn herauszufinden? Über Schuld oder Unschuld entscheidet das Gericht.“

      „Aber wir können ihm helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen.“

      „Das ist doch nicht unsere Aufgabe.“

      Herbert setzte seinen Drehstuhl in Bewegung, wie immer, wenn er kurz davor war, die Contenance zu verlieren.

      „Leicht machst du es einem nicht, das musst du zugeben.“

      „Kann sein.“

      Er stoppte die Drehbewegung und schaute mich an.

      „Sie wurde von den Beamten des Landeskriminalamts vernommen, dann vom Haftrichter. Sie hat den Mord gestanden –“

      „Wunderbar! Dann ist ja alles geklärt! Was ist daran mysteriös?“

      „Danach hat sie geschwiegen. Kein Wort über ihr Motiv. Niemand kann sich erklären, warum eine unbescholtene, erfolgreiche Wissenschaftlerin einen Kollegen umbringen sollte.“

      „Einen Kollegen?“

      „Das Opfer hat viele Jahre ebenfalls am CERN gearbeitet. Vor etwas mehr als einem Jahr hat Jan Koller gekündigt und auf eigene Faust weitergeforscht. Er war also nicht einmal mehr ein Rivale für Frau Karpova.“

      „Du meinst, sie lügt?“

      Herbert zuckte die Achseln. „Möglich. Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Geschichte, das spüre ich.“

      Das verhieß nichts Gutes. Wenn Herbert etwas spürte, war er nicht aufzuhalten. Sein Vertrauen in seinen eigenen Instinkt war unerschütterlich.

      Ich bemühte mich, Kooperationsbereitschaft zu signalisieren.

      „Gibt es irgendwelche anderen Indizien?“

      „Jemand hat sie in der fraglichen Nacht aus Jan Kollers Hotelzimmer kommen sehen.“

      „Na bitte. Dann haben wir sogar einen Zeugen.“

      „Doch es gibt auch Widersprüche. Erhebliche sogar.“

      „Die da wären?“

      „Die Karpova hat beim Verhör angegeben, sie hätte die Waffe von hinten ins Herz des Opfers gerammt.“

      „Wie nett. Und weiter?“

      „Die Klinge steckte in Jan Kollers Hals, der Stich wurde ohne Zweifel von vorne geführt und traf präzise die Schlagader.“

      „Vielleicht stand sie unter Schock und kann sich nicht mehr genau erinnern.“

      „Das ist eine etwas windschiefe These, findest du nicht?“

      „Kann sein“, gab ich zu. „Welche Waffe wurde eigentlich verwendet?“

      „Ein Brieföffner.“

      „Ein Brieföffner?“ Ich musste lauthals lachen. „Bei einem Verbrechen unter Physikern hätte ich etwas Originelleres erwartet. Eine Kapsel mit Antimaterie zum Beispiel.“

      Kleine Lachfalten

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