Der Stoff, aus dem die Helden sind. Jürgen Kalwa
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Abgesehen davon, dass Jordan seine Erfolge auf dem Platz nicht alleine geschafft hat: Was seine Ausstrahlung außerhalb der Arenen betrifft, geht viel auf das Konto einer der kreativsten Werbeagenturen der Welt, Wieden & Kennedy in Portland im Bundesstaat Oregon. Dort entwirft man seit Jahrzehnten jene Nike-Werbespots, mit denen aus profanen Sportlern wahre Aktionskünstler werden. In dem eindrücklichsten Jordan-Clip steht er allein in einer leeren, halbdunklen Turnhalle und spielt den einsamen, nachdenklichen Helden, der so gern von dem Sockel herabsteigen möchte, auf den ihn die amerikanische Öffentlichkeit gestellt hat. „Was wäre, wenn mein Name nicht in Neonbuchstaben geschrieben würde?“, fragt er mit dieser tiefen Stimme aus dem Off, während er einen Ball nach dem anderen in den Korb wirft. „Was, wenn mein Gesicht nicht in jeder zweiten Minute im Fernsehen gezeigt würde?“
Die Kamera hängt weit oben unter der Decke und fängt ihn in ästhetisierenden Schwarzweißkontrasten ein.
„Was, wenn nicht hinter jeder Ecke ein Menschenauflauf entstünde?“
Das Tippen des Balles. Das Geräusch des Netzes.
„Was, wenn ich einfach nur ein Basketballspieler wäre? Kannst du dir das vorstellen?“
Es herrscht sekundenlang Stille. Und jeder darf rätseln, was er dem berühmtesten und reichsten Sportler der Welt auf eine solche Frage antworten würde. Aber bevor wir ihm etwas Gescheites zurufen können, nimmt er uns das Nachdenken ab.
„Ich kann.“
(2021)
Skulpturen von Sportlern wachsen seit den neunziger-Jahren allerorts aus dem Boden. Omri Amrany, der Maler und Bildhauer, der das Jordan-Denkmal, genannt The Spirit gestaltet hat, bekam seither ständig ähnliche Aufträge und entwarf Statuen von Basketballern wie Magic Johnson, Wilt Chamberlain und Jerry West, von Eishockeyspielern wie Gordie Howe und Bobby Hull und den bei einem Militäreinsatz von seinen eigenen Kameraden getöteten, ehemaligen Football-Profi Pat Tillman.
Den Auftrag von 1993 bekam er auf Initiative von Bulls-Eigentümer Jerry Reinsdorf, nachdem der für das Projekt Entwürfe von mehreren Künstlern eingeholt hatte. Die fertige Statue wurde am 1. November 1994 in einer Feierstunde enthüllt.
Im Umgang mit den Skulpturen ist man in Nordamerika durchaus flexibel. Als das NHL-Team der Edmonton Oilers innerhalb der Stadt in eine neue Halle umzog, musste der in Bronze gegossene Wayne Gretzky, der in dieser Darstellung den Stanley Cup in die Luft stemmt, natürlich mit und wurde umgepflanzt. Die Universität Penn State wiederum ließ kurzerhand die Statue des Football-Trainers Joe Paterno entfernen. Die hatte sie nur wenige Jahre zuvor als Würdigung für seine erfolgreiche Arbeit errichtet. Bauarbeiter rückten kurzerhand an und warfen eine blaue Plastikplane über den grinsenden, alten Mann mit der dicken Brille, der ein paar Jahre lang mit erhobenem Zeigefinger vor dem Stadion gestanden hatte. Ein Ruck mit einem Kran – und die 400 Kilogramm schwere Bronze in Lebensgröße war entwurzelt, abtransportiert und verschwunden. Zusammen mit der Inschrift „Joseph Vincent Paterno. Erzieher, Coach, Humanist“.
Der Grund: Während Paternos jahrzehntelangem Regime hatte einer seiner ehemaligen Assistenztrainer in den Umkleidekabinen des Football-Zentrums der Universität immer wieder Jungen sexuell missbrauchen können, unter anderem deshalb, weil Paterno es vermieden hatte, die Polizei einzuschalten.
Es gibt aber auch den Fall, der nur auf einer abgehobenen Ebene etwas mit dem organisierten Sport zu tun hat. Es ist das überlebensgroße Denkmal des fiktiven Boxers Rocky Balboa, gespielt vom Schauspieler Sylvester Stallone. Der hatte diese Figur erfunden und in einer Serie von mittlerweile neun Filmen auf die Leinwand gebracht. Mit ihr wollte er einem besonderen Typ von Athleten aus der Stadt Philadelphia einen Lorbeerkranz winden: dem heroischen Philly Fighter, der bis zum Schluss kämpft, egal ob er gewinnt oder verliert, und der niemals aufgibt.
Die Skulptur, eine bloße Requisite in der dritten Rocky-Folge und künstlerisch alles andere als bemerkenswert, schenkte Stallone nach den Dreharbeiten der Stadt. Die stellte sie zunächst vor einer Sporthalle auf, aber konnte irgendwann den Widerstand von kunstsinnigen Verantwortlichen aus dem Philadelphia Art Museum und der Philadelphia Art Commission überwinden. Und so landete die Figurine mit den hochgerissen Armen am unteren Ende der riesigen Freitreppe des Museums. Ein Ort, der zu den szenisch wichtigen Schauplätzen in den Filmen gehört.
Was dieser Rocky symbolisiert, ist die Fähigkeit vieler Amerikaner, Realität und Fiktion in eine Melange auflösen zu lassen, die neue Realitäten schafft. Wie sagte James Binns, ein ehemaliger Box-Funktionär und Freund von Stallone? „Kunst soll die Menschen inspirieren. Und genau das passiert hier. Rocky war ein Sieger. Und jetzt steht er als Sieger an der passenden Stelle. Neben den Treppenstufen, die er berühmt gemacht hat.“
Beim Phänomen der wachsenden Zahl an Sportlerskulpturen in allen Teilen der Welt kommen nach Ansicht des Darmstädter Sportsoziologen Professor Dr. Karl-Heinrich Bette einige Aspekte zum Vorschein. Er sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk im Sommer 2020: „Der erste Punkt ist, dass der Sport im Moment mit Themen wie Doping, Korruption, Überkommerzialisierung, Hooliganismus durchaus kritisch in der öffentlichen Diskussion steht. Der Sport versucht sozusagen, das Negative so durch eine positiv gestimmte Erinnerungskultur und Gedächtnis- und Verehrungsindustrie zu kompensieren. Und der zweite Gesichtspunkt ist: Sportler sind nicht nur für sich selbst erfolgreich, sondern immer auch für ein Milieu, das sie entsendet hat. Das sind Vereine, das sind in Amerika die Universitäten, das sind die Nationalstaaten. Die Athleten sind im Grunde dann Stellvertreterfiguren. Das Aufbauen von Skulpturen, das Aufhängen von Büsten, das gehört mit zur Inszenierung des Sports.“39
Auf der Atlantik-Insel, auf der der Fußballer Cristiano Ronaldo aufwuchs, geht diese Inszenierung inzwischen so weit wie nirgendwo auf der Welt. Die Enthüllung einer Büste auf dem Inselflughafen mit dem offiziellen Namen Madeira Cristiano Ronaldo war nur das erste Ereignis in einer Kette, die demonstriert, welche Ausmaße die Heldenverehrung inzwischen annehmen kann. Denn die kleine Skulptur zeigte ein ziemlich verzerrt grinsendes Gesicht des Kapitäns der portugiesischen Nationalmannschaft und stieß auf großes Missfallen. Nicht zuletzt beim Abgebildeten selbst. Die Arbeit von Emanuel Santos wurde ausgewechselt und mit der Darstellung eines namenlosen spanischen Künstlers ersetzt, die neutraler, aber auch ziemlich ausdruckslos wirkt.
Wen das nicht beeindruckt, der kann alternativ allerdings ein ganzes Museum besichtigen, das sich ausschließlich mit dem Fußballer beschäftigt: das Museu CR7. In ihm steht unter anderen eine Skulptur von ihm in Lebensgröße, die aus Schokolade angefertigt wurde. Vielleicht genügt aber auch bereits ein Blick auf die drei Meter hohe Ronaldo-Bronze draußen vor der Tür. Die zeigt ihn nicht nur in seiner weltberühmten breitbeinigen Pose.
Das kurioseste Element ist das Gemächt, das der Bildhauer aus der Hose herausbeulen lässt. Das Perverse daran ist nicht mal, dass Besucher ganz offensichtlich diese Zone mit Wonne betatschen, weshalb sie besonders stark in der Sonne glänzt. Sie wurde zu einem Kommentar aus dem Leben des Fußball-Stars. Denn seit Jahren läuft ihm die Beschuldigung hinterher, er habe 2009 in Las Vegas eine Frau vergewaltigt. Ronaldo bestreitet die Tat. Die Ermittlungsbehörden sahen keine hinreichenden Belege für eine Anklage.