Der Stoff, aus dem die Helden sind. Jürgen Kalwa

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Der Stoff, aus dem die Helden sind - Jürgen Kalwa

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habe alle großen Religionen ausprobiert und die meisten kleinen. Ich habe Buddha, Allah, Brahma, Vishnu, Shiva, Bäume, Pilze und Isadora Duncan angebetet. Ich ziehe die Metaphysik der Theologie vor. Es gibt keine Schuldgefühle im Baseball. Und es ist nie langweilig. Das ist so wie Sex.“

      In Amerika gibt es hunderte von Religionen und Konfessionen, Sekten und Kulte. Und fast ebenso viele Ruhmeshallen des Sports. Manche zeigen bei der Wahl des Standorts einen Sinn für die Wurzeln der Disziplin. So entstand die Basketball Hall of Fame in Springfield/Massachusetts in der Stadt, in der Ende des 19. Jahrhunderts Basketball erfunden wurde. Und die Tennis Hall of Fame wurde in Newport/Rhode Island gegründet, dort, wo die ersten US Open ausgetragen wurden. Aber es gibt auch das Konzept „grüne Wiese“ wie im Fall der World Golf Hall of Fame in St. Augustine/Florida. Oder wie bei der National Soccer Hall of Fame, der Fußballruhmeshalle. Das Haus, nur 35 Kilometer vom Touristenmagneten Cooperstown entfernt, steht allerdings noch für etwas anderes. Das Museum schloss 2010 nach nur zehn Jahren seine Pforten. Die Einrichtung existierte in den Jahren danach nur noch virtuell – im Internet.43 Das alte Projekt war schlichtweg zu ehrgeizig gewesen, wie der einstige Direktor Jack Huckel zugab, als wir uns trafen, um uns über den gescheiterten Versuch einer Ruhmeshalle zu unterhalten.

      „Wir haben ein Gebäude errichtet, das wir uns nicht leisten konnten. Man riskiert schon mal bewusst etwas, aber die Rechnung geht nicht immer auf. Wir haben zehn Jahre durchgehalten, aber dann wurde das Geld knapp. Und dann kam die Rezession dazu. Das konnten wir nicht überleben.“

      Im Vergleich dazu wirkt der Betrieb in Cooperstown sehr solide. Aber bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass Heldenverehrung in den Dimensionen der Baseball Hall of Fame kein lukratives Geschäftsmodell ist. Wollte die Ruhmeshalle allein vom Verkauf von Eintrittskarten und Souvenirs leben, wäre sie längst pleite. Das Loch füllen großzügige Spender jedes Jahr mit Millionen von Dollar und sichern so die Arbeitsplätze von hundert Angestellten.

      Ganz anders sieht es für die ehemaligen Baseballprofis aus, die den Ritterschlag erhalten haben. Ein Hall of Famer hat schlichtweg für den Rest seines Lebens ausgesorgt. Kein Wunder, dass chancenreiche Aspiranten inzwischen Public-Relations-Experten einschalten, damit sie von den Mitgliedern der Vereinigung der amerikanischen Baseball-Journalisten in die Ruhmeshalle gewählt werden. Die Organisation entscheidet exklusiv über die Aufnahme.

      Über diesen säkularen Teil der Vergötterung irdischer Idole wird allerdings meistens nicht gesprochen. Seit der Zeit von Mark Twain, der damals das Spiel zu einem Symbol für die Triebkräfte und den Kampf des „rasenden, zerrenden, dröhnenden 19. Jahrhunderts“ erklärte, wird die Realität mit viel Pathos verhängt. Nicht das Sein, sondern der Schein bestimmt das Bewusstsein.

      Baseball allerdings scheint wie geschaffen die ideale Projektionsfläche für eine technologiebesessene Gesellschaft, die in ihren kollektiven Sehnsüchten von einer simpleren Welt träumt. Das Museum in Cooperstown ist das Sammelgefäß dieser romantischen Weltsicht, wie sie der für mehrere Oscars nominierte Hollywood-Film Field of Dreams hat. In diesem Feld der Träume artikuliert der Schauspieler James Earl Jones mit tiefer, sonorer Stimme das, was sich als Grundverständnis rund um die historische Dimension des Spiels durchgesetzt hat: „Baseball war all die Jahre lang die einzige Konstante. Amerika ist wie eine Armee von Dampfwalzen vorbeigerollt. Es wurde abgewischt wie die Kreide auf einer Schiefertafel, wieder aufgebaut und wieder weggewischt. Aber Baseball hat die Zeit markiert. Dieses Feld, dieses Spiel sind Teil unserer Vergangenheit. Es erinnert uns an all das, was einmal gut war und wieder sein könnte.“

      Wie dieses Denken funktioniert, hat ein deutscher Emigrant schon vor Jahrzehnten erklärt. Der Rechtshistoriker und Soziologe Eugen Rosenstock-Huessy beschrieb 1958 in einem Interview in der Sendereihe Auszug des Geistes für Radio Bremen den Zusammenhang zwischen Sport und seiner Arbeit als Geisteswissenschaftler an der Universität in Dartmouth folgendermaßen: „Die Welt, die dem amerikanischen Studenten, der zu mir kommt, etwa 20 Jahre alt ist, wirklich lebhaft vertraut ist, ist die Welt des Sports. Da hat er all seine Tugenden, seine Erfahrungen, seine Neigungen und sein Interesse. Ich habe also meine ganze Soziologie um die Erfahrungen, die ein Amerikaner im Sport und im Spiel macht, aufgebaut. Und im Sport sind natürlich viele lyrische, dramatische Elemente. Während man in Europa vielleicht eine Soziologie auf eine Soziologie der Kunst aufbauen könnte, weil die Menschen Erfahrungen haben mit Wagner, Bach und Beethoven, muss man dieselben Erfahrungen transponieren, sozusagen, in das Gebiet des Sportlichen.“44

      Die Querverbindungen zwischen Sport und Kultur haben viele Spuren im amerikanischen Kulturalltag hinterlassen. Im Kino. Am Broadway, an dem 1958 das gefeierte (und später verfilmte) Baseball-Musical Damn‘ Yankees mit dem Gassenhauer Heart Premiere hatte. Und in der Literatur. Zum Beispiel in dem viel beachteten Buch Unterwelt von Don DeLillo45, einem voluminösen Epochenroman, der mit einer 70 Seiten langen Beschreibung eines einzigen Baseballspiels aus dem Jahr 1951 beginnt und sie einem anderen Ereignis gegenüberstellt: Der Nachricht, dass die Sowjetunion eine Atombombe gezündet hat. Im Stadion in New York gewannen damals die Außenseiter. Mit einem Home Run im letzten Spielabschnitt, der in den Rang einer absoluten Sensation erhoben wurde. Gefeiert als The shot heard ‚round the world.

      Es war – auf seine Art – ein Bombenspiel. Live ausgestrahlt über den Radiosender WMCA-AM, mit dem aufgekratzten Radioreporter Russ Hodges, der die legendär gewordenen Sätze ins Mikrofon brüllte: „There‘s a long drive … it‘s gonna be, I believe … THE GIANTS WIN THE PENNANT!! THE GIANTS WIN THE PENNANT! THE GIANTS WIN THE PENNANT! THE GIANTS WIN THE PENNANT! Bobby Thomson hits into the lower deck of the left-field stands! The Giants win the pennant and they’re goin’ crazy, they’re goin’ crazy! HEEEY-OH!!!“

      „Die Giants gewinnen den Titel!“

      Solch eine Sportart braucht wohl einen Ort, an dem sich diese Begeisterung und das ferne Echo darauf wie die Parallelen im Unendlichen begegnen. Einen wirklichen Schrein, dessen Besucher sich fühlen, als unternähmen sie eine Pilgerfahrt. Und auch noch daraus lässt sich übrigens lesenswerte Literatur schöpfen. Wie im Fall des Romans Unabhängigkeitstag, in dem der Schriftsteller Richard Ford eine solche Reise zum Hauptstrang der Handlung machte. Als der Ich-Erzähler, ein ehemaliger Sportreporter, mit seinem Sohn im Auto nach einem vorausgegangenen Abstecher zur Basketball Hall of Fame in Springfield in Cooperstown eintrifft, biegt er mit dem Wagen in die Main Street und findet eine Szenerie vor, die noch heute fast exakt so aussieht: „An der Ecke sehe ich unerwartet am Ende der nach rechts abgehenden Straße die Ruhmeshalle des Baseball, ein blassrotes Gebäude im klassizistischen Stil, das nach Postamt aussieht, und ich mache eine schnelle, gefährliche Rechtskurve von der Chestnut Street herunter auf die Straße, die sich als Main Street herausstellt. Die Main Street ist voller Baseball-Touristen und hat die seelenlos gleichmütige, geschäftige Atmosphäre eines Collegestädtchens, wenn die Studenten zum Herbstsemester zurückkommen. Die Läden an beiden Straßenseiten verkaufen alles, was mit Baseball zu tun hat: Trikots, Karten, Poster, Autoaufkleber, zweifellos auch Radkappen und Kondome; und diese Läden teilen sich die Straße mit gewöhnlichen Kleinstadtgeschäften – einer Drogerie, einem Herrenbekleidungsgeschäft, zwei Blumenläden, einer Gaststätte, einer deutschen Bäckerei und verschiedenen Immobilienmaklern.“46

      Das ist der Ort mit seinen 2000 Einwohnern, der die Kulisse für die Inszenierung liefert. Deren Höhepunkt besteht jeden Sommer aus dem sogenannten Induction Weekend. Dann strömen tausende Besucher durch Main Street. Und die alte Bäckerei, an der übrigens nichts Deutsch ist außer dem Namen Schneider, arbeitet auf Hochtouren, wie Jennifer Zachow, die Managerin, sagt: „Das ist ihre zweite Anlaufstelle. Zuerst gehen sie zur Hall of Fame, dann kommen sie hierher. Oft wird die Hauptstraße für den Verkehr gesperrt. Spieler sitzen auf dem Bürgersteig und geben Autogramme. Die Leute kommen von überall.“

      Der Weg eines Sportlers vom Sieger zu einem ruhmreichen Star und schließlich in den Rang einer unsterblichen

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