Der Stoff, aus dem die Helden sind. Jürgen Kalwa
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(2010)
Die Entscheidung über die Aufnahme von ehemaligen Spielern, Trainern, Funktionären und Club-Besitzern treffen ausschließlich aktive Mitglieder der Baseball Writers‘ Association of America. Und die müssen sich mindestens zehn Jahre lange mit der Sportart journalistisch auseinandergesetzt haben. Baseballspieler haben eine Reihe von Anforderungen zu erfüllen, ohne die sie gar nicht in die Auswahl kommen. Dazu gehört die Länge der Zeit, die sie in den beiden Major Leagues aktiv waren, und eine Frist von mindestens fünf Jahren, die nach dem Ende der Karriere verstrichen sein muss. Kandidaten werden vor der Abstimmung von einem Komitee bestimmt und müssen bei der jährlichen Wahl 75 % der abgegebenen Stimmen aller wahlberechtigten Mitglieder der Journalisten-Organisation erhalten, um in die Baseball Hall of Fame aufgenommen zu werden.
Wer weniger bekommt, fällt damit nicht automatisch durch den Rost. Solange jemand wenigstens 5 % der Stimmen bekommt, steht sein Name auch auf zukünftigen Wahlzetteln. Erst nach zehn Jahren, in denen ein Spieler die Drei-Viertel-Hürde nicht genommen hat, wird er endgültig gestrichen.
40 The story of ‘Green Fields of the Mind’ – Bart Giamatti’s bittersweet ode to baseball” in Yale Alumni Magazine, New Haven, 2012
41 Die Red Sox pflegten lange die absurdeste fixe Idee in der Geschichte des US-Sports: den Fluch des Bambino. Der entstand, als 1920 das Jahrhunderttalent Babe Ruth – Spitzname The Bambino – an die New York Yankees verkauft wurde, womit in Boston eine Serie der Erfolglosigkeit begann. Abergläubische Fans versuchten beharrlich, den Fluch zu brechen. Wie jener Anhänger, der eine Red-Sox-Kappe auf dem Mount Everest ablegte, nachdem er im Basislager eine Yankees-Mütze verbrannt hatte. Doch womöglich verlor die Verwünschung erst an Kraft, als der Ball 2004 bei einem Home Run einem Zuschauer ins Gesicht flog und ihm zwei Zähne ausschlug. Der wohnte in einem Bostoner Vorort in einem Haus, das einst Babe Ruth gehört hatte. Kurz darauf gewann das Team die World Series. Zum ersten Mal nach 86 Jahren.
42 Zev Chafets: Cooperstown Confidential: Heroes, Rogues, and the Inside Story of the Baseball Hall of Fame New York, 2009
43 Die Einrichtung wurde 2018 in einem Annex zum Stadion des FC Dallas, einem Club in der obersten Profi-Liga namens Major League Soccer, neu installiert und existiert nun wieder wie ein normales Sportmuseum.
44 Zitiert nach der Original-Archivtonaufnahme. Die Textversion des Interviews mit der Literaturredakteurin Irmgard Bach erschien in Bremer Beiträge, Bremen, 1962.
45 Don DeLillo, Unterwelt. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert, Köln, 1998
46 Richard Ford: Unabhängigkeitstag. Aus dem Amerikanischen von Fredeke Arnim. Berlin 1995, Seite 385 ff.
47 Der Spitzname entstand 1941 in Anspielung an den Titel eines Big-Band-Songs Joltin’ Joe DiMaggio, gesungen von Betty Jane Bonney.
TOTE LEBEN LÄNGER
Erst ein Gericht beendete das Tauziehen um den Jahrhundert-Athleten Jim Thorpe. So blieben seine sterblichen Überreste in der Stadt, die seinen Namen trägt. Ein Ortstermin
An der schmalen Ausfallstraße nach Norden, der Route 903, findet sich gleich hinter den letzten Häusern, wo sie nach dem Anstieg aus dem Tal eine Anhöhe erreicht, ein kleiner Park mit kurz geschorenem Rasen und einem großen Sarkophag aus rotem Marmor.
Man kann die Stelle nur schwer übersehen. Eingerahmt wird das Ganze von Fahnenschmuck und zwei Säulen, auf denen ein und derselbe Mann, eingefroren in den ausdrucksstarken Augenblick zweier typischer Bewegungsabläufe aus dem Sport, verewigt worden ist. Auf dem Podest näher zur Stadt hin holt er mit einem Diskus in der Hand elegant und locker zu einer mächtigen Drehung aus. Auf dem Sockel weiter stadtauswärts lehnt er sich im Laufschritt nach vorne, während er in der rechten Hand einen Football direkt an seinen Körper gepresst hat.
Was der Bildhauer Edmond Shumpert in diesen zwei Skulpturen aus dem Leben dieses einen Menschen herausgeformt hat, wirkt bei Licht betrachtet trotzdem nicht gerade üppig. Immerhin handelt es sich bei der fraglichen Person um jemanden, dessen Biographie noch zu Lebzeiten in Hollywood als Überfigur auf die Leinwand gebracht wurde. Inszeniert von niemand anderem als einem gewissen Michael Curtiz, dem Regisseur von Casablanca, gespielt von Burt Lancaster und in der Kinowerbung als „Mann aus Bronze“ und „der größte Sportler aller Zeiten“ verkauft. „An Oklahoma Indian lad“ – ein Indianer-Halblut aus Oklahoma – „whose untamed spirit gave wings to his feet and carried him to immortality.“ Unsterblich. Denn – das war die Lesart damals – bei ihm handelte es sich um den größten Athleten aller Zeiten.
Dieses Werturteil galt lange. Auch noch, als er am 28. März 1953 in Kalifornien an Herzversagen starb und seine sterblichen Überreste in diesem Ort in der bergigen Landschaft am Oberlauf des Lehigh River in dieser mächtigen steinernen Hülle zur letzten Ruhe gebettet wurden.
Sonst hätte die New York Times zum Beispiel damals sicher nicht diesen enormen Nachruf veröffentlicht, der auf der Titelseite begann und im Innenteil weiterging, wo man auf mehr als 300 Zeilen sein ungewöhnliches Leben nachzeichnete. Der Nachruf listete unter anderem seine Bestmarken aus der Leichtathletik auf. Sie unterstrichen, wie vielseitig und versiert er in seinen glorreichen Zeiten gewesen war: Er war handgestoppte 10,0 Sekunden über 100 Yards gelaufen, 21,8 Sekunden über die 220 Yards und 50,8 Sekunden über 440 Yards. Er hatte über 880 Yards eine Bestzeit von unter zwei Minuten aufgestellt sowie 7,16 Meter im Weitsprung, 1,95 Meter im Hochsprung, 2,35 Meter im Stabhochsprung, 14,55 Meter im Kugelstoßen, fast 50 Meter im Speerwerfen und etwas mehr als 40 Meter mit dem Diskus geschafft.
Sein ursprünglicher Name lautete Wa-Tho-Huk, was seiner Herkunft als Angehörigem des Stammes der Sac and Fox entsprang. Allerdings war er der Spross eines wirren Stammbaums, in dem nicht nur einige namhafte Häuptlinge vertreten waren, sondern väterlicherseits auch noch irische und mütterlicherseits französische Verzweigungen.
Da es keine Geburtsurkunde gab, kursierten später widersprüchliche Angaben darüber, an welchem Tag er eigentlich auf die Welt gekommen war. Am 22. Mai 1887, wie es in der Taufbescheinigung steht, die die katholische Kirche Sacred Heart in Konawa Ende desselben Jahres ausstellte? Oder im Mai ein Jahr danach, wie er selbst sechzig Jahre später gegenüber der Lokalzeitung in seiner Heimat verriet? Nur soviel war und blieb unumstritten: sein bürgerlicher Name – Jacobus Franciscus Thorpe.
Der junge Thorpe, bald nur noch Jim genannt, war so etwas wie ein sportliches Wunderkind. Er demonstrierte schon früh besondere grobmotorische sportliche Fähigkeiten, war allerdings am normalen Schulunterricht nicht besonders interessiert und fand erst, als ihn im fernen Pennsylvania die Carlisle Indian Industrial School rekrutierte, eine Bildungseinrichtung, die ihm behagte. Das Internat mit dem pädagogischen Leitbild, junge amerikanische Ureinwohner in die angelsächsische Gesellschaft zu assimilieren, investierte in ihn und seine Altersgenossen damals eine streng-militärisch ausgerichtete Ausbildung, mit dem Ziel einer kompletten kulturellen Umerziehung.
Ihr Motto: „Kill the Indian, save the man“.
Bring den Indianer um, rette den Menschen.
Er war sechzehn, als er an der Ostküste eintraf und sogleich nicht nur zum Star-Leichtathleten, sondern auch zu einem Leistungsträger der Football-Mannschaft wurde, betreut von niemand anderem als dem legendären Trainer Glen Warner, genannt Pop.
Seine Qualitäten