Verwildert. George Monbiot

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Verwildert - George Monbiot

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vielleicht etwas mehr, von der Küste entfernt, aber wonach ich suchte, hatte ich noch nicht gefunden. Immer wenn ich damit in Berührung kam, schien es ein bisschen weiter vom Land entfernt als zuvor.

      Einen Kilometer hinter dem Riff zog ein Basstölpel an mir vorbei. Er stieg ein paar Meter in die Luft, legte seine Flügel an und stieß wie ein Pfeil ins Wasser, eine Gischtfahne aufwerfend. Er schwamm auf der Oberfläche und verschlang, was er gefangen hatte, flog auf und tauchte erneut. Ich nahm die Verfolgung auf, die Leine aber schlingerte schlaff durch das Wasser. Der Himmel hatte sich zugezogen, der Wind war heftiger geworden und nun begann Regen niederzuprasseln. Das Meer fühlte sich an wie ein halb erstarrtes Gelee.

      Ich paddelte drei Stunden lang in westlicher Richtung, direkt hinaus aufs Meer. Das Land war nur noch ein olivgrüner Schmierstreifen, die Küstenstadt im Süden eine undeutliche, blasse Linie. Die Wellen nahmen an Höhe zu und der Regen prasselte in mein Gesicht wie Vogelschrot. Ich hatte mich nun zehn, elf Kilometer weit von der Küste entfernt, weiter als je zuvor. Aber noch immer hatte ich den Platz nicht gefunden.

      Am Horizont entdeckte ich eine Schar dunkler Vögel. Überzeugt, dass sie auf Fische gestoßen waren, erhöhte ich mein Tempo auf Rammgeschwindigkeit. Die Vögel verschwanden, tauchten wieder auf, wirbelten ein paar Fuß über dem Wasser. Beim Näherkommen sah ich, dass es Sturmtaucher waren, etwa fünfzig an der Zahl, die aufstiegen, kehrtmachten und wieder auf dem Meer landeten. Eine Handvoll Vögel löste sich aus der Schar und umkreiste mich. Ihre samtig schwarzen Flügel streiften beinahe die Wellen. Sie waren so nahe, dass ich den Schimmer in ihren Augen sehen konnte. Sie fraßen nicht – hielten bloß Ausschau. Das vage Einsamkeitsgefühl, das mich beschlichen hatte, je weiter ich mich vom Land entfernte, zerstreute sich.

      Die Vögel ließen sich wieder auf dem Wasser nieder und ich hielt nur wenig entfernt von ihnen an. Kein Geräusch war zu hören, nur das Schlagen der Wellen und der Wind, der in hohen Tönen und kaum vernehmbar durch am Boot befestigte Gummischnüre pfiff. Die Vögel waren stumm.

      Jedes Mal, wenn ich auf das Meer hinausfahre, suche ich nach diesem bestimmten Platz, einem Platz, an dem ich eine Art Frieden spüre, wie ich ihn auf dem Land nie erlebt habe. Andere finden ihn in den Bergen, in Wüsten oder in der methodischen Ruhigstellung ihrer Gedanken durch Meditation. Mein Platz jedoch war hier; ein Hier, das stets anderswo war, sich aber immer gleich anfühlte; ein Hier, das sich mit jeder Ausfahrt weiter von der Küste zu entfernen schien. Auf meinen Handrücken hatte das Salz Krusten gebildet, meine Finger waren rissig und runzelig. In meinen Gedanken verfing sich der Wind, von den Wellen wurde ich geschaukelt. Nichts existierte außer dem Meer, den Vögeln, der Brise. Mein Kopf war wie leer geblasen.

      Ich legte mein Paddel ab und beobachtete die Vögel. Sie traten das Wasser, hielten die Distanz zwischen uns. Regen trommelte in Böen gegen meine Stirn. Die Wellen, die jetzt höher waren, hoben Bug und Heck und schwangen das Kajak herum: Ich musste das Paddel wieder in die Hand nehmen und das Boot gelegentlich in den Wind drehen. Auf der Oberfläche der Wellen ließen die Regentropfen kleine Sporne emporwachsen. Hier war mein Schrein, ein Ort der Geborgenheit, wo mich das Wasser wiegte, an dem ich mich von Wissen frei machte.

      Nach einer Weile bewegte ich mich langsam nach Süden parallel zu der in der Ferne liegenden Küste. Ich fuhr etwa anderthalb Kilometer, hörte mit dem Paddeln auf und ließ mich vom Wind tragen. Ich hätte mich bis ans Land treiben lassen können, aber mir wurde kalt und ich nahm das Paddeln wieder auf. Ich war jetzt so müde, dass das Meer, obwohl ich den Wind im Rücken hatte, sich holprig und steif anfühlte.

      Etwa fünf Kilometer von der Küste entfernt kam ich an zwei Lummen vorbei; sie tauchten ihre Schnäbel ins Wasser und richteten sich gelegentlich auf, um mit ihren Flügeln zu schlagen. Als ich an ihnen vorbeipaddelte, streckten sie ihre Köpfe in die Luft und beobachteten mich aus ihren Augenwinkeln, ohne jedoch vom Meer aufzufliegen. Gleich danach spürte ich ein scharfes unmissverständliches Zerren an meinem Knie. Ich riss an der Leine und holte sie Hand um Hand ein. Ich meinte fast, so etwas wie das elektrische Sirren der Schnur zu hören. Als das Vorfach in Bootsnähe kam, ruckte es wie verrückt hin und her. Tief unten im Grün sah ich etwas Weißes aufblitzen und kurz darauf zog ich den Fisch ins Boot. Er hüpfte über das Deck und trommelte dann mit raschen Zuckungen auf das Plastik. Ich brach ihm das Genick.

      Der Rücken der Makrele hatte das gleiche tiefe Smaragdgrün wie das Wasser, war mit schwarzen Streifen versehen, die auf dem Kopf aufbrachen und verwirbelten. Der Bauch war weiß und gespannt, verengte sich zu einem schlanken Stiel und dem knapp gegabelten Schwanz eines Mauerseglers. Das Auge des Fischs war eine Scheibe aus kaltem Gagat. Mein Raubtiergenosse, kaltblütiger Dämon, mein Bruder und Schüler des Orion.

      Einen guten Kilometer weiter fühlte ich erneut ein kaum merkliches Zucken an der Leine. Ich nahm sie auf und zog, aber da war nichts. Ich zog erneut und sie wurde mir fast aus der Hand gerissen. Was auch immer daran gezupft hatte, es war zurückgekommen, als es die Köder aufsteigen sah. Es fühlte sich anders an: schwerer und nicht so ungleichmäßig. Das aufblitzende Weiß zeigte mir, dass ich drei Fische hatte – die komplette Hakenreihe. Ich holte sie ein, versuchte, als sie auf dem Boot landeten und sich herumwarfen, die Leine freizuhalten: Eine kurze Unaufmerksamkeit und ich wäre zwanzig Minuten mit der verhedderten Schnur beschäftigt. Sobald ich die Fische verstaut hatte, wendete ich das Boot und paddelte dorthin zurück, wo sie mir an den Haken gegangen waren. Ich kreiste auf dem Wasser, konnte aber keinen Schwarm entdecken.

      Ich aß meine Schokolade und paddelte weiter. Einen Moment lang brach die Sonne durch und das Meer verwandelte sich in frisch geschmolzenes Blei. Dann zogen sich die Wolken wieder zu und es regnete erneut.

      Einen knappen Kilometer vor der Küste traf ich auf einen kleinen Schwarm und zog ein halbes Dutzend Makrelen ins Boot. Dann fand ich mich in einem Band voller Quallen wieder, die stellenweise so dicht gepackt waren, dass es kaum noch Wasser zu geben schien. Sie zogen unter meinem Boot in einer gerade mal einen Meter breiten Kolonne hinaus aufs offene Meer. Sporadisch kamen die Makrelen nach oben, in Zweier- und Dreiergruppen. Eine Strömungslinie vielleicht, was erklären würde, warum die Raubfische sich um diesen Streifen geschart hatten: Wie die Quallen war das Plankton von einer sanften Kabbelung zusammengetrieben worden und die Beutefische waren ihm gefolgt.

      Ich sah den Mondquallen zu, die übereinanderrollten wie die Blasen in einer Lavalampe. An einer Stelle war die Prozession unterbrochen. Ein paar Meter klares Wasser, dann zuckte ich angesichts einer blassen hässlichen Qualle etwas zusammen, ein monströses und gespenstisches Ding, das das nächste Bataillon anführte. Ich brauchte einen Moment, bis ich erkannte, dass es sich um eine Plastiktüte handelte, vom Wasser prall aufgeblasen, der Quallenkönig, dem die Untertanen hinaus in die See folgten.

      Ich trieb mit ihnen, lupfte und senkte die Leine. Sobald ich paddelte, stießen die Quallen gegen die Schnur, was mich wieder anhalten ließ, um das Signal zu überprüfen, um zu sehen, welche Lebensform ihre Botschaft aus dem Dunkel heraufmorste. Eine Schwarmkugel entdeckte ich nicht.

      Warum die Makrele in jenem Jahr so spärlich erschienen war, darüber gab es wie häufig bei solchen Dingen ebenso viele Meinungen, wie es Leute gab, die man fragen konnte. Ein Fischhändler vor Ort berichtete mir sehr überzeugend von einem monströsen Schiff, das in der Irischen See unterwegs sei und nicht mit einem Netz, sondern mit einem Vakuumschlauch arbeitete, der die Makrelen und alles, was ihm sonst noch in den Weg kommt, aufsauge. Das Ganze würde dann zu Fischmehl vermahlen und als Dünger und Tierfutter verwendet. Das Schiff habe eine von der Umweltbehörde ausgestellte Lizenz und dürfe 500 Tonnen Makrelen pro Tag fangen und habe zudem von der Europäischen Kommission Subventionen in Höhe von 13 Millionen Pfund erhalten. Ich überprüfte die Geschichte und stellte rasch fest, dass die Umweltbehörde auf See keine Rechtskraft hat, dass Vakuumschläuche nicht zum Fischen eingesetzt wurden, sondern um den Fang aus den Netzen zu saugen, dass in der Irischen See keine Fischmehloperation im Gange war und dass es kein einziges Schiff mit einer Lizenz über so viele Tonnen gibt. Ansonsten aber war die Erklärung makellos.

      Andere

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