Verwildert. George Monbiot

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Verwildert - George Monbiot

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gelangte bald in ein Netz von Bayous, mit von Strömungen ausgewaschenen Gräben, die nur durch kleine Rinnsale miteinander verbunden waren. Ich schlüpfte aus dem Boot und begann es durch diese Gerinnsel zu schleppen. Wo immer ich in tieferes Wasser kam, spürte ich Krabben gegen meine Füße stupsen. Sie bewegten sich wie ein Film, dem die meisten Einzelbilder abhanden gekommen waren: Sie tauchten auf, verschwanden, tauchten ein paar Zentimeter weiter wieder auf, schnellten mit so raschen Bewegungen mal da-, mal dorthin, dass man ihnen unmöglich folgen konnte. Auf der Sandbank ließ ein Kormoran seine Flügel trocknen.

      Das Wasser war warm und trübe, es hatte die Farbe von dünnem Tee. Der Sand hatte sich in einem Rippelmuster abgelagert, in den Trögen dahinter hatte sich eine Lache dunklen Humus gefangen. Die Rippelkämme formten blasse Halbmonde, so regelmäßig angeordnet wie auf einer Tapete. Bald wurde der Wasserlauf wieder befahrbar, aber jetzt strömte er mir entgegen. Ich arbeitete dagegen an, schmeckte, paddelte, spähte über die Seite. Strandkrabben zogen sich mit ihren orangenen Beinen in den Sand zurück, wenn der Bootsschatten über sie hinwegzog. Dicke Herzmuscheln (cockles) zeigten zwischen ihren leicht aufklaffenden Schalen einen Rüschenrand rosafarbenen Fleisches. Cockle. Das Wort rollte durch meinen Kopf: rund, mit einem Scharnier versehen, sich öffnend und wieder schließend wie das Tier, das es bezeichnete.

      Ein Brachvogel überquerte die Gezeitenödnis vor mir und schickte seine traurigen Schleiftöne über das Wasser. Hier im Watt war mir jedes Gefühl für Orientierung und Größenordnung abhandengekommen. Als ich um eine Biegung des Wasserlaufs herumfuhr, war ich verblüfft, zwei Menschen auf der Sandbank stehen zu sehen. Als ich mich ihnen näherte, breiteten sie die Flügel aus und flatterten davon. Am hinteren Rand der Salzmarschen bewegten sich Schafe im Gänsemarsch.

      Die sumpfigen Stellen flossen zu einem weiten niedrigen Becken zusammen. Als ich hindurchwatete, spürte ich etwas über meine Füße huschen. Ich drehte mich um und sah einen braunen Diamanten davonschwimmen. Er stoppte ein paar Schritte weiter und grub sich in den Sand. Ich merkte mir die Stelle, band rasch meinen Speer los, entfernte die Korken an seinen Spitzen und ließ das Boot treiben. Dann ging ich an die Stelle, wo sich der Fisch niedergelassen hatte. Eigentlich dürfte er sich nicht fortbewegt haben, denn sonst hätte ich noch Schlammwölkchen im Wasser hängen sehen müssen. Doch er war verschwunden. Ich probierte es an einigen vielversprechenden Aufwölbungen, aber der Speer sank nur in den Sand. Die Flunder war verschwunden wie ein Geist, der durch die Mauer geht. Ich werde mich wohl in der Stelle geirrt haben, dachte ich, und suchte alles ab, der Fisch aber war spurlos verschwunden.

      Ich ankerte das Boot, zog meine Schwimmweste und meine Regenjacke aus und zog einen Gegenstand aus der Trockentasche, den man auf einem Kajak nur selten zu sehen bekommt: ein weißes Hemd. Ich hatte ein paar Tage zuvor bemerkt, dass bei den meisten Vögeln, die sich von Fischen ernähren – Möwen, Tölpel, Sturmtaucher, Lummen, Reiher, Fischadler – der Bauch weiß gefärbt ist, was sie gegen den Himmel unsichtbar macht. Ich stakste, den Speer über der Schulter, den Kanal hinauf und versuchte meine großen Füße so ruhig ich konnte ins Wasser zu setzen. Ich muss eine schräge Figur abgegeben haben.

      Schon bald schreckte ich einen Plattfisch auf – zu klein, um ihn zu spießen – und sah zu, wie er sich wieder im Schlamm niederließ. Da begriff ich, was zuvor geschehen war. Anstand im Sand einen Buckel aufzuwerfen, schmiegte er sich an einen Rippel und passte sich nicht nur perfekt der Farbe, sondern auch der Form des Bodens an. Selbst wenn ich mich über die Stelle beugte, war der Fisch nicht zu sehen. Er schoss erst davon, als ich fast auf ihn trat.

      Mittlerweile hatte ich den Wettervorhang durchquert. Der Wind peitschte das Wasser und der Regen vernarbte seine Oberfläche. Fische auszuspähen wurde noch schwieriger. Ein, zwei ansehnliche Flundern stoben davon, allerdings in tieferes Wasser, wo ich nichts mehr sehen konnte. Ich ging zurück und holte das Boot. Als ich flussaufwärts paddelte, sah ich die großen schlürfenden Mäuler von Meeräschen aus dem Wasser lugen. Ich war zwar versucht, den Speer nach ihnen zu werfen, wusste aber, dass es nichts bringen würde. Schon bald verlandete die Wasserrinne, der ich folgte, in einer Ödnis aus Sand und leeren Muschelschalen. Eine Stunde mindestens würde es dauern, bis die Flut sie wieder mit dem Hauptkanal verbinden würde. Das Wetter verschlechterte sich und so kehrte ich um.

      Die Strömung hatte wieder gewechselt: In beiden Richtungen war ich nun gegen die Strömung gefahren. Ich kehrte an die Stelle zurück, an der ich mitten im Watt einen kaputten, verlorengegangenen Hummerkäfig gesehen hatte; jetzt umspülte ihn schon das Meer. Der Wind frischte auf; ich kämpfte gegen Luft und Wasser an. Die Flut zog an mir vorbei und ich wunderte mich über ihren Ordnungssinn. Es gab Kanäle mit Zweigen, die sich über einen Kilometer hinzogen, Bänder mit Seetang, dann eine Drift vollgepackt mit etwas, das ich zunächst für tote Garnelen gehalten hatte. Es waren Millionen: Einen Augenblick hatte ich die Befürchtung, es handele sich um eine Seuche oder um eine Vergiftung. Aber als ich ein paar auflas, sah ich, dass es sich um abgeworfene Hüllen handelte: kleine perfekte Waffenröcke mit einem Handschuh für jeden Pleopod und Fühler. In der Garnelenstraße konnte ich keinen einzigen Zweig, zwischen dem Tang keine einzige Garnelenhülle entdecken; die Strömung hatte für sie jeweils einen andere Rinne ausgesucht.

      Eine Woche später versuchte ich es noch einmal, vielleicht das letzte Mal. Ich ließ das Boot am Ausgang des Ästuars ins Wasser. Mein Plan war es, die Flundern auf ihrem Weg aus den Prielen, die in die Flussmündung spülten, abzuschneiden. Hier trafen die schläfrigen Sommerweiden auf vom Wind blankgefegte Flächen. Geschützt hinter Deichen und Böschungen standen die Kühe in den hohen Juliwiesen und wedelten mit dem Schwanz. Zwei Zwergtaucher tauchten, als ich mich annäherte, ins Wasser ab; ein Eisvogel flitzte an der Sandbank entlang.

      Ich stieß auf die Mündung eines Bachs, die zwischen Schilfwänden versteckt lag. Dort fuhr ich hindurch, vom raschelnden Dickicht abgeschnitten von anderen Geräuschen und Aussichten. Das Schilf wich wilden Uferböschungen voller Brombeeren, Wasserdost, Flockenblumen und Wicken. An einer Stelle war eine Eiche über das Wasser gefallen. Ich verstaute mein Paddel, legte mich rücklings ins Boot und zog mich unter den Ästen hindurch. Das Wasser war so klar, dass ich durch Luft zu treiben schien. Ich konnte jeden Fleck, jede Faser auf dem Bachgrund erkennen. Kein einziger Fisch kam mir zu Gesicht, aber auch kein anderes Leben war zu sehen: keine Käfer, Wasserläufer, Insektenlarven oder Garnelen. Weder patrouillierten Libellen an den Ufern entlang, noch tanzten Köcherfliegen oder Eintagsfliegen über dem Wasser. Vielleicht war dieser Bach irgendwo durch alte Bleiminen geflossen? Blei ist hier seit römischen Zeiten abgebaut worden und selbst Minen, die schon seit vielen Jahren nicht mehr in Betrieb sind, produzieren noch Ausfällungen, so giftig, dass in dem davon betroffenen Wasser fast nichts überlebt. In einem Dorf in der Nähe meines Wohnorts fließen zwei Bäche zusammen. Der eine wimmelt vor Forellen und Groppen, der andere ist tot. Ein Freund, der in dem Dorf lebt, erzählte mir, dass eines Tages die dort gehaltenen Enten von ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort an dem lebenden Bach in den anderen stromerten und dort für eine Weile gründelten. Später seien alle mit dem Bauch nach oben geschwommen.

      Ich glitt den Bach hinab bis zurück in das Ästuar. Als ich um die letzte Biegung des Flüsschens fuhr, schüttelte mich der Wind hin und her. Ich konnte meilenweit über das Wasser bis hinaus aufs Meer sehen. Hier, innerhalb der Wolkenfestung, die die Hügel überschaute, war das Land ocker, oliv- und chromgrün. Jenseits des Wettervorhangs, in der Sonne entlang der Küste, glänzten die Felder, von Düngemitteln aufpoliert, in der Sonne und schienen fast zu fluoreszieren. An der Mündung des Ästuars sah es aus, als trieben die Dünen völlig losgelöst von ihrer Umgebung. Vom Vordergrund durch einen schimmernden silbrigen Streifen getrennt, schwebten sie wie die Insel Laputa aus Gullivers Reisen über dem Watt.

      Eine Schar Kanadagänse, die auf der Sandbank ihre Hälse in die Höhe reckten und senkten, flog auf und ließ ein Durcheinander ausgegangener Federn zurück, die nun über das Watt gaukelten. Gänsesägerküken schlugen das Wasser auf, als sie ihrer Mutter nachflatterten, die sie ganz ungalant verlassen hatte und im Mündungstrichter ihre Kreise zog. Die Tide brauste nun nach draußen. Als sie auf den Wind traf, türmte sie sich zu stehenden Wellen auf, in denen

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