Verwildert. George Monbiot

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Verwildert - George Monbiot

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und geschlittert, die Spuren zeigen nach außen verrutschte Fersen und gespreizte Zehen, um Balance zu halten. Ein Ansammlung von Abdrücken hält einen Jagdzug von heranwachsenden Jungen fest, sie halten an, kehren um, ändern gemeinsam das Tempo. Die Schlammschicht, über die sie laufen, ist von Rothirschfährten gesprenkelt.

      Andere Spuren lassen auf eine Schar kleiner Kinder schließen, die im Schlamm herumtollen: Sie rennen in Kreisen, schlittern, treten. An einer anderen Stelle aber bewegten sich die Kinder – unserer Urgroßeltern hoch 300 – systematischer. Sogar Vierjährige haben sich offenkundig schon an der Nahrungssuche beteiligt. »Für uns mag es schwierig nachzuvollziehen sein«, stellen die Archäologen fest, dass so kleine Kinder schon auf Sammeltour gingen, »herrscht doch in der westlichen Welt eher die Einstellung, den Nachwuchs übermäßig zu beschützen.«2 Die Spurenverläufe von Erwachsenen lassen vermuten, dass ihre Verursacher womöglich Vögel jagten oder Fallen leerten.

      Die menschlichen Fußabdrücke werden von anderen gekreuzt oder umrundet: von Rothirschen und Rehen und der monströsen vollgelaufenen Spur eines gewaltigen Auerochsen. Zwei Fährten lassen sich sofort zuordnen: Hunde. Doch es sind keine. Hunde des Mesolithikums besaßen die Größe von Collies. Wo sie gehalten wurden, sind die Plätze mit zerkauten Knochen gepflastert. Diese Abdrücke sind zu groß und weder mit menschlichen Spuren noch anderen eindeutigen Hinweisen assoziiert: Die Befundlage lässt auf Wölfe schließen.

      Die Spuren allerdings, die mir wirklich Gänsehaut verursachten, gehörten nicht zu den Säugetieren, die noch immer in unseren Alpträumen heulen und bellen, sondern zu einer völlig anderen Kreatur. Über den kleineren Abdrücken von Reihern, Austernfischern und Möwen spreizten sich krähenfußartige, dreizehn Zentimeter große Spuren, die in den versteinerten Schlamm eingekerbt waren wie Maurerzeichen. Die Spuren zeigen, wie die Forscher berichten, dass das Tier, das sie hinterlassen hat, »zur Zeit des Neolithikums ein äußerst häufiger Brutvogel in dem Mündungsgebiet war«. Kraniche. Als ich das las, lehnte ich mich in meinen Stuhl zurück und schloss die Augen. Beinahe konnte ich ihre Kornettrufe über das Watt schallen hören und sie zu hunderten in die Marschen ziehen sehen, mit mantelartig ausgebreiteten Flügeln, die wie Paragleiter schräg in der Luft hingen, wenn sie zur Landung ansetzten.

      Diese Tiere – 1,20 Meter groß, mit einer Flügelspannweite von fast zweieinhalb Metern, und, in 4000 Metern ziehend, die am höchsten fliegenden Vögel der Erde –, die wie an Schnüren in der Luft hängen und den Himmel mit Lauten erfüllen, die so klar und ätherisch sind wie die Räume, die sie durchfliegen, die zur Balz, mit Dolchschnabel und Kokardenschwanz gerüstet, ihre Hälse zurückwerfen und tanzen, mit ausgebreiteten Flügeln vom Boden aufhüpfen und langsam, scheinbar so leicht wie Luft herabschweben, bevölkerten einst in Massen die Mündungsgebiete und Sumpflande. Sie lebten in Britannien in so großer Zahl, dass George Neville 1465 bei einem Fest anlässlich seiner Ernennung zum Erzbischof von York 204 davon auftischen ließ.3 Das mag unter anderem erklären, warum sie vor 400 Jahren hier ausgestorben sind. Aber seit 1979 kommen sie langsam zurück. Vom Kontinent kommende Vögel bildeten eine kleine Brutkolonie in Norfolk und ermutigten Naturschützer, sie auch anderswo wieder ansässig zu machen. 2009 wurde eine Gruppe in der Küstenebene Somersets ausgesetzt.4 Sie werden sich gegebenenfalls, wie ihre Mentoren hoffen, durch das Tal des Severn hinauf bis in die Moore und Sümpfe des restlichen Britanniens ausbreiten. Die Ausgrabungen in Goldcliff waren ein gutes Vorzeichen für die erste Phase ihrer Wiederansiedlung.

      Zwischen den Fährten fanden die Archäologen die Überreste mesolithischer Mahlzeiten. Knochen von Hirschen, Rehen und Wildschweinen, verkohlt und von Steinäxten gekerbt und die enormen Rippen und Wirbel eines Auerochsen, deren einer von einer Pfeiloder Speerspitze beschädigt war; ein paar Otter- und Entenknochen, verkohlte Haselnüsse, Herzmuscheln und Krebspanzer. Zwei Mikrolithen – die kleinen Steinklingen, die die Spitzen von Speeren und Pfeilen bildeten – waren vom Feuer oxydiert, was nahelegt, dass sie noch in Fleisch steckten, das hier gegart wurde. Aber der weitaus größte Teil der Überreste stammte von Fischen: Lachs, Franzosendorsch, Barsch, Meeräsche, Plattfische und vor allem Aale. Ihre schiere Zahl und die Größe lassen darauf schließen, dass die Menschen sie in flachem Wasser fingen, in mondbeschienenen Sturmnächten um die Tagundnachtgleiche im Herbst, wenn sich die Aale auf ihren bis auf die andere Seite des Atlantiks führenden Wanderzug begaben. Drei angespitzte Pflöcke, die in einem fossilisierten Kanal freigelegt wurden, könnten einst als Stützen für Korbreusen gedient haben.

      Ich erinnere mich an solche Bewegungen aus meiner Kindheit: Ich stehe in Norfolk oder in den südlichen Counties am Rand eines klaren Bachs und beobachte eine schwarze Rinne voller Aale, die manchmal eng wie Flechtwerk ineinander verwunden waren und sich ihren Weg bachabwärts wälzten. Heute wäre man glücklich, vielleicht ein halbes Dutzend am Tag zu sehen. Der große Karawanenzug bestand von der Mittelsteinzeit bis in die 1980er Jahre, bevor er zusammenbrach.

      Zwischen den über den fossilen Marschen verstreuten Steinklingen, Mahlsteinen und Dechseln, den aus Knochen gefertigten Ahlen und Schabern, den Geweihen, die als Hacken benutzt wurden, befanden sich Artefakte, die an Plätzen dieses Alters nur selten zu finden sind: aus Holz hergestellte Werkzeuge. Die Ausgräber fanden einen Spatel, eine hölzerne Nadel, einen Grabstock. Doch ein Werkzeug faszinierte mich am meisten, ein y-förmiger Stock, der an der Innenseite der Gabel geschmirgelt war, vielleicht mit Sand. Die Forscher sind der Ansicht, das Gerät könnte womöglich dazu gedient haben, im Sediment verborgene Aale zu fangen und am Boden festzuhalten, bis man sie packen konnte. Ich dachte an die Menschen, die mit ihren Zinken die Kanäle entlangstaksten, langsam gingen, damit ihre Bewegungen nicht durch das Wasser fortgepflanzt wurden, ihre Füße in den Sand setzten und das Bachbett nach den unscheinbaren Spuren von Schleim oder den serpentinenartigen Erhebungen absuchten, die auf ihre Beute schließen ließen. Den Stock anheben, ihn der Brechung entsprechend ausrichten und hinabstoßen. Der Aal schlägt um sich, kringelt sich, windet sich nach der Hand, die ihn ergreift. Die Finger graben sich in das schleimige Fleisch hinter den Kiemen, drücken es heraus, schlagen den Schwanz, um die Rückengräte zu brechen, gegen den Pflock. Dann schiebt die Hand eine entrindete Weidenrute durch die Kiemen und zum Maul wieder hinaus und bindet den Aal zu der anderen Beute an den ledernen Riemen, den die Jäger um ihre Hüfte geschlungen haben.

      Im Schlamm fanden sich Überreste, die darauf hinweisen, dass diese Menschen auf den Salzmarschen in Tipis kampierten. Eine Struktur mit etwa drei Metern Durchmesser, über deren Pfosten Häute oder Schilf gelegt wurde, hätte vier Menschen beherbergen können. In der Mitte stand ein Herd, an dem sie sich aufwärmten und ihr Essen brieten oder räucherten. Dem Wind und dem Regen an der walisischen Küste ausgesetzt, in dem harschen Klima nach dem Rückzug der Gletscher, müssen sie so zäh gewesen sein wie die Lammkoteletts, die man in Autobahnraststätten vorgesetzt bekommt.

      Über das Leben auf den Britischen Inseln im Mesolithikum, in jenen annähernd 6000 Jahren (zwischen 11 000 und 6000 vor unserer Zeit), wissen wir nur wenig, auch deshalb, weil heute ein Großteil des Landes, durch das damals die Menschen streiften, unter Wasser liegt. Am Ende der letzten Eiszeit lag der Meeresspiegel 30 Faden oder 55 Meter tiefer als heute.5 Als das Mesolithikum einsetzte, etwa 4000 Jahre bevor die in Goldcliff entdeckten Lager errichtet wurden, gab es keinen Bristolkanal, keine Cardigan Bay, keine Liverpool Bay. Sogar Lundy Island, die Insel, die das westliche Ende des Bristolkanals markiert, gehörte zum Festland. Doch der Meeresspiegel stieg rasant an. Nachweise für die Besiedlung der Goldcliff-Stätte setzen ein (vor etwa 7000 Jahren), als das Meer das erste Mal an sie heranreicht. Damals lag bereits ein Großteil der Cardigan Bay unter Wasser und der Meeresspiegel stieg weiter, etwa anderthalb Mal so schnell wie heute.

      Wie so viele Küstenstriche kennt auch Mittel-Wales einen Atlantis-Mythos, der womöglich in der Ausbreitung des Meeres nach der Eiszeit und dem Untergang von Siedlungen seinen Ursprung haben dürfte, auch wenn er zweifellos durch die mündlichen Erzählungen aktualisiert und schließlich schriftlich festgehalten wurde. Die walisische Erzählung berichtet von den Cantre’r Gwaelod – den Hundert Tieflanden –, die von einem Stammesfürsten namens Gwyddno Garanhir regiert wurden. Durch eine Reihe von Deichen wurden sie vor der See geschützt.

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