Verwildert. George Monbiot

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Verwildert - George Monbiot

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in Nordamerika, wegzulaufen, ließ ihnen der Vizegoverneur Thomas Dale nachstellen. Laut einem zeitgenössischen Bericht »wurden manche der Gestellten gehängt. Manche verbrannt. Manche gerädert, andere gepfählt und manche erschossen.«3

      Die strengen Sanktionen belegen die Anziehungskraft. Trotz der Strafen liefen Europäer weiterhin über oder blieben, im Krieg gefangen, bei den Ureinwohnern. Das ging so lange, bis die Indianer derart geschwächt und gebrochen waren, dass es kein Leben mehr gab, zu dem man sich hingezogen fühlen konnte. 1785 berichtete Jean de Crèvecœur von europäischen Kindern, die, wenn ihre Eltern in Friedenszeiten kamen, um sie zu holen, sich fest entschlossen zeigten, in den indianischen Gemeinschaften zu bleiben, von denen sie gekidnappt worden waren:

      […] die, deren fortgeschritteneres Alter ihnen erlaubt hätte, sich ihrer Väter und Mütter zu erinnern, weigerten sich standhaft, ihnen zu folgen und liefen zu ihren angenommenen Eltern, um sich vor den überschwänglichen Liebesbezeugungen ihrer Eltern zu schützen! So unglaublich dies scheinen mag, mir ist es bei tausend Gelegenheiten zu Ohr gekommen, aus dem Munde glaubwürdiger Personen. In dem Dorf von …, in das ich mich zu begeben vorhabe, lebten vor etwa fünfzehn Jahren ein Engländer und ein Schwede …

      Sie waren schon erwachsene Männer, als sie gefangen genommen wurden; glücklich entkamen sie den schweren Strafen für Kriegsgefangene und wurden gezwungen, die Squaws zu ehelichen, die ihr Leben durch Adoption gerettet hatten. Durch die Macht der Gewohnheit hatten sie sich schließlich vollständig diese wilde Lebensführung zu eigen gemacht. Ich war dabei, als sie von ihren Freunden eine beträchtliche Summe geschickt bekamen, um sich selbst auszulösen. Die Indianer, ihre alten Herren, ließen ihnen die Wahl … Sie entschieden sich zu bleiben; und die Gründe, die sie mir gegenüber anführten, dürften Sie gehörig überraschen: die vollkommenste Freiheit, die Leichtigkeit des Lebens, die Abwesenheit jener Sorgen und zersetzenden Kümmernisse, die so häufig Oberhand über uns gewinnen. … Tausende Europäer sind Indianer und wir haben kein einziges Beispiel von einem Ureinwohner, der aus freier Wahl Europäer geworden wäre.4

      Der Zusammenstoß von alten und neuen Welten war von Enteignung, Unterdrückung und Massakern gekennzeichnet, aber an manchen Orten gab es Phasen freundschaftlicher Verbindung. Bei Crèvecœur ist dokumentiert, dass amerikanische Ureinwohner gelegentlich als Gleichgestellte in europäische Haushalte aufgenommen wurden; und in vielen Fällen war es für Europäer möglich, sich in ähnlicher Weise indianischen Gemeinschaften anzuschließen. Man könnte dies wie ein soziales Experiment auffassen. In beiden Fällen hatten die Menschen die Wahl zwischen dem relativ sicheren, doch eingehegten, ortsfesten und regulierten Leben der Europäer und dem mobilen, freien und unsicheren Leben der amerikanischen Ureinwohner. Am Ergebnis gibt es nichts zu deuteln. In jedem einzelnen Fall, so berichten Crèvecœur und Franklin, entschieden sich die Europäer, bei den Indianern zu bleiben, und die Indianer kehrten bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu ihren Gemeinschaften zurück. Das sagt mehr über unser Leben aus, als einem lieb sein kann.

      Warum also bin ich nicht zu Toronkeis Gemeinschaft übergelaufen? Eine Frage, die mich noch immer beschäftigt.

      Ich war, wie ich nach und nach entdeckte, zu weich für sein Leben. Ich konnte schon physisch gesehen nicht richtig mithalten. Wichtiger noch, ich war außerstande, mit der Unsicherheit zurechtzukommen: Mit der Unstetigkeit, nicht zu wissen, ob ich heute zu essen hätte oder erst morgen, ob ich mich im kommenden Monat ernähren könnte – oder gar noch am Leben wäre. Die Massai begegneten den wilden Schwankungen ihres Glücks mit Gleichmut. War in einem Jahr die Ebene schwarz von ihren Rindern, konnte im nächsten die Dürre zuschlagen und sie hatten nichts mehr. Zu wissen, was als Nächstes geschieht, war womöglich das alles beherrschende Ziel materiell komplexer Gesellschaften gewesen. In dem Augenblick jedoch, als wir es erreicht hatten, oder nahezu erreicht hatten, wurden wir mit einem neuen Reigen unbefriedigter Bedürfnisse belohnt. Wir haben die Sicherheit der Erfahrung vorgezogen, haben damit viel gewonnen, aber auch viel verloren. Vor allem aber war mir wohl auch bewusst, dass das alte Leben vorbei war. Die kenianische Regierung zerschlug das Land der Massai in kleine Einheiten. Mächtige Stammesälteste haben sich so viel unter den Nagel gerissen, wie sie zu fassen bekamen, und die anderen rangelten darum, noch etwas für sich zu bekommen. Die Gemeinschaft war im Begriff zusammenzubrechen; öffentliches Land, auf dem manyattas gebaut und Zeremonien abgehalten werden konnten, stand keines mehr zur Verfügung. Mit der Veränderung der Machtstrukturen wurden die Altersgruppen, um die das Leben der Massai ausgerichtet war, zu einem Anachronismus. Die Generation, der Toronkei angehörte, war wohl die letzte gewesen, die den Initiationsprozess innerhalb der Gemeinschaft durchlaufen hatte. Die Menschen haben angefangen, sich niederzulassen, in die Städte zu ziehen, die Freiheiten aufzugeben, in denen sie sich von uns unterschieden.

      Doch selbst wenn es diesen Druck nicht gegeben hätte, wäre das wilde Leben der morani nur mit Einschränkungen zu leben gewesen. Die Löwenjagd ist, da die Löwen immer seltener werden, durch die kenianischen Behörden unter strenge Strafe gestellt worden. Universalistische Prinzipien halten auch in Kenia, wo die Politik die Menschen immer noch nach Stammeslinien einteilt, nach und nach Einzug. Und ich habe meine Zweifel, dass die Kikuyu es je begrüßten, wenn die Massai ihre Rinder entführten und ihre Krieger mit Speeren bedrohten. Da mittlerweile Gruppen, die anders sind als wir, ihre Bedürfnisse und Rechte uns gegenüber geltend machen können, weil wir ihr Menschsein anerkennen, können wir ihr Leben nicht länger unseren Wünschen unterordnen, unsere Welt nicht mehr einfach der ihren überlagern. Die Freiheiten, die die Massai auf Kosten anderer genossen, sind – so reizvoll sie auch sein mochten – zu Recht beschnitten worden. Womöglich existiert einfach kein moralischer Raum mehr, in dem man seinen körperlichen Mut üben könnte. Wo auch immer man seine Faust schwingen möchte, wird stets die Nase eines anderen im Weg sein.

      Auch wenn Jez Butterworths Theaterstück Jerusalem anfänglich auf den geteilten Zuspruch des Publikums stieß, wird es heute doch fast überall bewundert. Nach der Aufführung, die ich in der letzten Woche ihrer ersten strahlenden West-End-Inszenierung gesehen hatte, applaudierte die Hälfte des Publikums stehend, der Rest drängte mit finsterer Miene ätzend und tuschelnd zum Ausgang. Johnny Byron, packend dargeboten von Mark Rylance, ist der letzte Mohikaner. Er ist sinnlich, leichtfertig, ein Wüstling, wild und frei. Ein charismatischer, aber unedler Wilder, der in einem Wohnmobil in den Wäldern lebt, irre, schlimm und eine gefährliche Bekanntschaft, der letzte Mensch in England, der noch in Kontakt mit den alten Göttern ist. Seine totemistische Kreatur – sein Avatar – ist der Riese, dem er angeblich begegnet ist und den aufwecken zu können er beharrlich behauptet: das uneingeschränkte ursprüngliche Wesen, das keinen Regeln oder sozialen Zwängen unterworfen ist, der nicht mehr einer Welt angehört, in der neue Eigenheime die Wälder zersiedeln und Ordnungsbeamte in gelben Jacken mit ihren Klemmbrettern auf Patrouille gehen.

      »Nehmt so viel ihr wollt«, sagt uns Byron. »Kein Mann wurde je ins Grab gelegt, der sich gewünscht hätte, auch nur eine Frau weniger geliebt zu haben. Hört auf nichts und niemanden, außer, was euch das Herz gebietet. Lügt. Betrügt. Stehlt. Kämpft auf Leben und Tod.«

      Er lebt seine Überzeugung, der Bürokratie ein Dorn im Auge, ein Fluch der anständigen, sesshaften Leute, die ihn hassen und beneiden, ein Drogendealer, Schläger, Verführer, einstiger Draufgänger, Großsprecher, ein Magnet für aufmüpfige Teenager, ein schäbiger, vollgepisster, betrunkener Orgienfürst, ein Meister der letzten wilden Jagd. Er liegt im Clinch mit Wesley, einem Freund aus Kindertagen, jetzt Wirt des örtlichen Pubs (in dem Johnny natürlich Hausverbot hat), der von den Auflagen der Brauerei, durch Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, durch sein eintöniges, verantwortungsvolles Leben und die hygienische, sterile Welt, die er sich geschaffen hat, aufgerieben wird. »… diese blöden fieseligen Teebeutel, diese blöden kaputten Handtuchspender, diese idiotisch beschissenen T-Shirts. Ich komme erst ins Bett, wenn auch der letzte Mistkerl nach Hause gegangen ist. Ich lege mich neben meine Alte und kann nicht atmen … Erste Regel, arbeite dein ganzes Leben. Zweite Regel, sei nett zu den Leuten …«

      In unserer überfüllten, biederen Welt gibt es für Johnny

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