Verwildert. George Monbiot

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Verwildert - George Monbiot

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Seithenyn. Er tat Dienst in einer Nacht, in der eine schreckliche Sturmflut wütete – mit vorhersehbaren Konsequenzen. Die Legende will, dass die untergegangenen Glocken von Cantre’r Gwaelod läuten, wenn jemand in Seenot gerät. Ich kann bezeugen, dass diese Story nicht wahr ist: Ich hätte die Glocken oft genug hören müssen.

      Der Befund in Goldcliff lässt darauf schließen, dass die Menschen, die hier ihre Spuren hinterlassen haben, nur periodisch auf den Marschen jagten und sammelten, meistens im Sommer und im frühen Herbst. Zusammen mit anderen Prädatoren folgten sie den großen Hirschrudeln und den Auerochsenherden, den Wildschweinrotten und der Abfolge von Fülle und Knappheit, wie sie auch für andere Bereiche der Natur gilt. Offenbar haben sie nur für wenige Wochen hintereinander ihre Lager auf den Salzmarschen aufgeschlagen, wenn die Küstenwälder reich an Wild waren und die Gewässer vor Fischen wimmelten. Aus dem ausgegrabenen Boden ragen große Stümpfe und umgestürzte Eichenstämme. Einige davon weisen über zwölf Meter keine Äste auf. Dies legt nahe, dass hier ein dichter Wald mit hohem Kronendach stand, der bis an die Gezeitenlinie reichte. Im Schlamm finden sich Pollen von Eiche, Birke, Kiefer, Hasel, Ulme, Linde, Erle, Esche und Weide. Die Küste war gesäumt von Schilfflächen, Hochmooren und Erlenbrüchen. Um die Baumwurzeln herum fanden die Archäologen Vorratslager mit Haselnüssen, die von mesolithischen Eichhörnchen gegraben worden waren.

      Diese Menschen, spekulieren sie, werden sich neben Wildbret und Fisch von Schilfwurzeln und -sprossen ernährt haben, dem süßen, von Binsen abgesonderten Gummi, von Grassamen und Melde, Rindenbrot aus Birken, von Nüssen, Ahorn, Blättern und wilden Früchten. Funde aus anderen Teilen Britanniens und Europas legen nahe, dass sie ausgehöhlte Einbäume zum Jagen und Sammeln im Mündungsgebiet oder für die Fahrt zu anderen Jagdgebieten entlang der Küste benutzt haben.

      Im Spätherbst könnten sie an Strände gewandert sein, wo sich Robben aus dem Wasser hievten, um Nachwuchs zu zeugen: leichte Beute, wenn man sie erwischte, bevor sie ins Wasser plumpsten. Im Winter zogen sie landeinwärts und jagten Zugvögel in den oberen Mündungsgebieten und Tiere in den Wäldern. Die Wachstumsmuster der Herzmuscheln von mesolithischen Muschelhaufen in Nordwales lassen vermuten, dass sie im Frühjahr und im Frühsommer gesammelt wurden. Dann waren sie am fettesten. Die Goldcliff-Menschen dürften das Ästuar hinuntergefahren sein, um sie zu finden. Wenn die Muschelsaison vorbei war, folgten die Jagdverbände den Hirschen in die Berge bis auf die ergrünenden Weidegründe jenseits der Baumlinie. Dann, so sieht es aus, zogen sie zurück an die Küste, um die Fischwanderungen abzupassen. Es wird wahrscheinlich Plätze gegeben haben, an die sie jährlich zurückkehrten, aber einen festen Wohnort hatten sie nicht. Sie zogen mit ihrer Beute und hinterließen mit ihren Wanderungen die Fragmente ihres Daseins: Steinwerkzeuge auf den Gipfeln der Berge, Muschelhaufen an der Meeresküste, Waffen in den Wäldern, aufgeschlagene Knochen, verzierte Kieselsteine und gelegentlich eine Grabstätte. In den fossilierten Marschen in Lydstep in Pembrokeshire sind Archäologen auf das Skelett eines Wildschweins gestoßen, in dem zwei Mikrolithen steckten. Pfeil oder Speer im Rücken, die die Wunde schlugen, stürzte es sich zum Sterben in den Sumpf.6

      Noch einmal betrachtete ich die Fußabdrücke, die sich in den Marschen und in der Zeit verloren. Ich hörte den Lärm von im Schlamm spielenden Kindern, sah die angespannten, ernsten Gesichter der Jäger, beobachtete mit meinem inneren Auge die Frauen und Alten, die mit ihren Speeren und Gabeln durch das Mündungsgebiet wateten, und spürte nun besser, wer ich war; woher ich gekommen war; was ich noch bin.

      4)Durchbrennen

      Mein Freund, Blut schießt mir ins Herz ein,

      Das nicht geheure Wagnis im Moment der Hingabe,

      Den ein Lebtag des An-sich-Haltens nie zurücknimmt,

      Dem, dem allein danken wir ein Dasein.

      T. S. Eliot, Das wüste Land1

      Ich drehte mich weg, versuchte mein Schmunzeln zu verbergen. Endlich und eher durch Zufall war ich auf etwas gestoßen, das ihm Angst machte.

      »George, bitte, rühr das Ding nicht an.«

      »Es ist harmlos.«

      »Nein! Äußerst gefährlich. Giftig.«

      Kopfschüttelnd trat er etwas zurück. Sechs Monate war es her, seit wir uns das erste Mal begegnet sind, sechs Monate, in denen sich sein sanfter Humor durch nichts und niemanden hatte aus der Ruhe bringen lassen, in denen sein Wagemut mich – der ich mich brüstete, mich Kopf voran in die Gefahr zu stürzen – wie ein Hühnchen hatte aussehen lassen. Mit einem grausamen Gefühl des Triumphs steckte ich meine Hand in den Busch.

      »George, ich bitte dich …«

      Das Chamäleon schwenkte sein Drehkuppelauge, um meine Hand zu mustern, und verfärbte sich in ein leichtes Rostrot. Sachte schob ich einen Finger unter eine seiner Greifhände und es umschloss ihn mit seinen Zangenzehen. Ich schob die übrige Hand unter das Tier. Es klammerte sich fest, und ich holte es langsam aus dem Busch. Seine Farbe wechselte in ein blasses Ziegelrot.

      Toronkei war inzwischen fünf Schritte zurückgewichen. Auf seiner Stirn stand der Schweiß. Seine Lippen arbeiteten, gaben aber keinen Laut von sich.

      »Siehst du, es ist ganz harmlos. Alles nur ein Mythos.«

      Er schob sich nach vorne. Diesmal war sein Stolz verletzt. Das Chamäleon saß ruhig auf meiner Hand und drehte seine Augen. Es schlang seinen Schwanz um meinen kleinen Finger.

      »Du kannst es anfassen, wenn du möchtest. Es tut nichts.«

      Toronkei umklammerte seinen Speer so heftig, dass seine Knöchel glänzten. Er kam noch ein Stückchen näher, mit geöffnetem Mund. Zitternd vor Selbstbeherrschung streckte er seine Hand aus und schob seine Fingerspitze nach vorne, bis er das Chamäleon an der Flanke berührte. Es bäumte sich auf, öffnete sein rosafarbenes Maul und zischelte. Er machte einen Satz zurück, stolperte, fiel beinahe. Nun war es an mir, Selbstbeherrschung zu zeigen. Ich wendete mich ab und setzte das Chamäleon wieder in den Busch, verzweifelt bemüht, nicht zu lachen. Ich tat so, als beobachtete ich es, wie es wieder Fuß fasste, und nutzte den Moment, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bekommen. Dann drehte ich mich um. Toronkei starrte mich mit einem Ausdruck an, den ich gerne als neu erworbenen Respekt interpretierte. Wahrscheinlich aber spiegelte sich in ihm die Überzeugung, dass ich verrückt geworden sei.

      Wir waren in der Morgendämmerung aufgebrochen und bereits 30 Kilometer gerannt und gelaufen und hatten dabei eine weite Schleife durch Kajiando County im nördlichen Teil des Massai-Territoriums beschrieben. Gegen Mittag hatten wir an dem Haus seines Onkels haltgemacht, um Milch zu trinken, und zwei Stunden im Schatten gesessen, geredet und Fliegen verscheucht. Nun waren wir auf dem Heimweg zu Toronkeis manyatta. Fünfundzwanzig Kilometer lagen noch vor uns. Wir standen auf einer niedrigen Abbruchkante und sahen über die mit Büschen und Schirmakazien gefleckte Ebene, die sich von graugrün über grau und blau bis zu einem unsichtbaren Kilimandscharo hinzog und wie so häufig von Wolken oder einem grauen Himmel verhangen war. Durch den Hitzeschleier unter uns waberten Herden gefleckter Rinder, falbfarbener Elenantilopen, Impalas.

      Wie üblich hatte mich Toronkei abgehängt, aber oft genug war er stehengeblieben und hatte vorgegeben, die Gegend abzusuchen, damit ich aufschließen konnte. Er nahm mehr Rücksicht auf

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