Verwildert. George Monbiot

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Verwildert - George Monbiot

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auf den Uferwall, wurde er wieder weggefegt. Durch das Tosen der Wellen hörte ich die Kiesel gegen die Befestigungsanlagen prasseln wie Kartätschenkugeln, während die See am Mauerwerk saugte und schmatzte. Ich tauchte das Paddel ein und hielt aufs Ufer zu. Einen Moment zögerte ich noch, bis eine Welle vorbeigerollt war, und flog dann in die Lücke. Als das Boot in die Leeseite der Schiffsrampe glitt, sprang ich hinaus und erklomm, kurz bevor das Kajak gegen den Uferwall geschmettert wurde, den Betonkeil. Beim Aufprall zersplitterte meine Angelrute in tausend Stücke. Die Behauptung, der Delfin habe mir das Leben gerettet, mag etwas hergeholt erscheinen, aber ohne die Verlagerung des Blickwinkels würde ich jetzt wohl einen Teil des Strandguts ausmachen.

      Zweimal in einem Jahr vernahm ich diesen Ruf, diesen hohen, wilden Ton der Begeisterung – nach einer Empfindungsdürre, die sich seit der frühen Erwachsenenzeit bemerkbar gemacht hatte; eine Dürre, die ich als dem Alter geschuldet akzeptiert hatte wie den Verlust der hohen Frequenzen beim Hören.

      An diesem Abend, nach einem Bier mit Ritchie und einem langen Verweilen im Garten – ich hatte dabei zugeschaut, wie das Licht aus dem Himmel wich und über den Bergen die ersten Sterne aufblitzten –, traf mich ein Gedanke, der mir bislang nie gekommen war. Plattfische leben auf dem Meeresboden. Fischadler fangen ihre Beute kurz unter der Wasseroberfläche. Das passte nicht wirklich zusammen.

      Sobald ich in der folgenden Woche wegkam, fuhr ich mit dem Boot in das Mündungsgebiet. Ich hoffte, den Vogel noch einmal zu sehen, aber auch herauszufinden, was es mit den Fischen auf sich hat. Den Fischadler habe ich nicht mehr angetroffen. Nachdem ich aber ein oder zwei Stunden an den Säumen der Sandbänke herumgestochert hatte, war meine Frage beantwortet. Ich war auf eine Stelle gestoßen, an der die Flundern sich so zahlreich versammelt hatten, dass sie nicht auf dem Sand, sondern übereinander lagen. Sie befanden sich in einer Wassertiefe von weniger als 30 Zentimetern und schwammen über meine nackten Füße. Wenn ich mich rührte, schraken sie in Sandwolken gehüllt davon.

      Jenen Abend brachte ich in der Garage damit zu, in Kisten herumzuwühlen und Farbdosen, Blumentöpfe, Flintsteine, Fossilien und Samentütchen beiseitezuschieben. Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt, aber dann fand ich es unter Flaschen, die ich als Kind in einer ehemaligen Müllkippe ausgegraben hatte. Es war ein kleines, schmales Paket, eingeschlagen in vergilbtes, mit Rost- und Ölflecken übersätes Zeitungspapier. Ich las:

      A reunião aconteceu na Secretar-

      – plicou o comandante de Polícia Fe-

      – ará, no próximo dia II de Junho, d-

      Beim Auswickeln zerfiel das Papier unter meinen Händen und ich hatte den kostbaren Gegenstand in meiner Handfläche. Das erste Mal, dass ich ihn wieder vor Augen hatte, nachdem ich ihn vor achtzehn Jahren auf einem Markt am Rio Solimões erworben hatte. Handgeschmiedet und schön aufbereitet hatte er mich weniger als ein Pfund gekostet.

      In der überwachsenen Hecke eines Freundes fand ich einen drei Meter langen, gerade gewachsenen Haselstecken. Mit feiner Schnur band ich die Waffe an den Stock und schärfte mit einem Stein die Spitzen. Das hätte sich erübrigt: Der Dreizack war noch immer spitz wie eine Nadel. Zur besseren Befestigung der Schnur war der Schaft kantig und unbearbeitet geblieben, aber die Spitzen waren rund, poliert und perfekt zugespitzt. Jede hatte vier Widerhaken, die identisch angewinkelt und angeschrägt waren. Das Instrument war für das Harpunieren von Arapaimas geschmiedet worden – Arapaimas zählen zu den größten Süßwasserfischen –, aber ich würde mich auch mit kleinerer Beute zufriedengeben.

      Zwei Wochen vergingen, bis ich wieder ans Wasser konnte. Ich paddelte an die Stelle, wo die Plattfische gewesen waren. Aber in dem Ästuar mit seinen beständig wechselnden Sanden gibt es kein »Wo«. Keinen festen Punkt, an den man zurückkehren könnte. Ich suchte vorwärts und rückwärts wie ein Hund, der seine Duftspur verloren hat, zog das Boot auf den Strand, durchwatete die seichten Stellen, überquerte die Kanäle und kreiste in den Tümpeln. Außer den silbrigen Meeräschen, die bei der Annäherung des Kajaks davonjagten, konnte ich nichts entdecken. Die Flundern waren verschwunden; das Plattfisch-Forum war unter einer Sandbank begraben worden.

      Drei Jahre, nachdem ich das erste Mal den Fischadler gesehen hatte, wollte ich es wieder versuchen. Am Strand war ein dezenter Trubel: ein Eiswagen, eine Handvoll Autos, ein paar Kinder plantschten und wateten in den schmalen Rinnen, die zwischen den Sandbänken eingeschlossen worden waren, als die Flut den Stöpsel zog. Hinter den Autos bekam ich ein wunderbares Schauspiel zu Gesicht. Eine sehr alte Dame mit einer verspiegelten Skibrille auf der Nase und einer Decke über den Knien fuhr auf ihrem elektrisch betriebenen Rollstuhl volle Kraft voraus. Sand spritzte von den Reifen. Sie schlitterte durch enge Kreise, holperte vorwärts und schleuderte über die von den Autos gegrabenen Furchen. Da schlug noch ein Herz.

      Ich blickte über die Flussmündung. Es war tiefste Ebbe. Auf See würde man das Stillwasser nennen, aber hier im Mündungsgebiet gibt es kein stehendes Wasser: das Wasser läuft den ganzen Gezeitenzyklus hindurch in unerwartete Richtungen. Zwei breite Kanäle und ein Netz aus Prielen, manche miteinander verbunden, manche Sackgassen, schneiden durch eine Wüstenei aus Sand. Jenseits des Wassers fiel die Sonne auf die pastellfarbenen Schatten von Drefursennaidd. Die auf der Reede neben dem Hafen ankernden Boote sahen so rosig aus wie Badespielzeug. Auf halber Strecke über dem Ästuar hing ein Wettervorhang: Die Hügel dahinter waren hinter silbernen Regenwänden verborgen. So verhält es sich die meiste Zeit im Jahr: Drefursennaidd bekommt nur halb so viel Regen ab wie Llanaelwyd 15 Kilometer landeinwärts; Llanaelwyd wiederum hat nur mit der Hälfte des Regens zu rechnen, der in Mwrllwch acht Kilometer weiter nördlich fällt.

      Ich schnallte den Speer an die Seite des Boots, bastelte mir einen Anker, knotete einen wasserdichten Beutel an eine der Klampen neben der Heckvertiefung, füllte die Taschen meiner Schwimmweste mit einem Messer, einem Notizblock, Polaroids sowie einer Garnrolle und zog das Kajak zu einem Graben, in dem noch ein kleines Rinnsal floss.

      In dieser Rille sah es aus, als ob eine Schlacht wütete. Sandgrundeln schossen mit kleinen Rauchwolken, wie aus Artilleriegranaten, davon. Baby-Plattfische ließen Bahnen von Flakfeuer entstehen, wenn ihr Schwanz beim Weghuschen alle paar Zentimeter den Schlamm traf. Schwerbewaffnete Bataillone trudelten seitwärts, Scheren schwenkten sich in meine Richtung. Doch bald war das Wasser tief genug, um das Boot zu tragen, und ich paddelte stromaufwärts los.

      Nichts rührte sich. Das Wasser lief in Kräuselwellen vom Kajak weg und schreckte an den Rändern des Kanals riesige Meeräschen auf. Sie pflügten in Halbkreisen durchs Wasser und schossen mit einem plötzlichen Aufspritzen davon. Beringte Regenpfeifer trippelten mit einem seltsam kehligen Trällern am Ufer entlang und segelten mir auf Sichelschwingen voraus. Ich roch den verfaulenden Seetang und hörte die merkwürdige Musik der Wattlandschaft: das Zischen und Knacken Millionen kleiner Geschöpfe, die sich in ihren Röhren bewegen. Auf den Sandbänken lagen die Trümmer von Baumstämmen und Ästen, die die letzten Fluten herangetragen hatten.

      Ein Knutt in ziegelrotem Brutgefieder lief über den Sand, senkte seinen Kopf und flog mit einem langgezogenen abfallenden Pfeifen auf. Eine Hummel, die auf dem Oberflächenfilm gefangen war, sendete hektische Barcode-Wellchen aus: sichtbar gemachter Klang. Ich ließ das Paddeln sein und trieb stromaufwärts in das Labyrinth hinein.

      Mich den Ästuar hinaufbewegend testete ich immer wieder das Wasser auf seinen Geschmack. War es salzig, bedeutete dies, dass ich in eine Sackgasse trieb, war es süß oder brackig, dass ich einem Kanal folgte, der mit dem Fluss verbunden war. An den meisten Tagen funktionierte das. Es war aber in der letzten Woche so viel Regen gefallen, dass das Wasser fast überall leicht nach Süßwasser schmeckte: Die Gezeiten mussten es hin und her bewegt haben. Ich kenne keine andere Methode, im Labyrinth der Kanäle zu navigieren. Es gibt keine visuellen Anhaltspunkte. Selbst wenn man aus dem Boot aussteigt und auf den Sandbänken steht, sieht man nur die großen Einschnitte. Die Rinnen, die einen halben oder einen Meter tiefer liegen als die aufgewölbte Sandfläche,

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