Verwildert. George Monbiot

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Verwildert - George Monbiot

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hinein, die so eng waren, dass ich umkehren musste, sobald ich auf ein Hindernis stieß. Ich fuhr die Uferbänke des Hauptkanals entlang, starrte ins Wasser und sah nichts als Schlamm und zerbrochene Äste.

      Schon bald zog mich die Strömung an den Schlammbänken vorbei ins Leere Viertel, in jene weite Sandfläche, die ich zuvor erkundet hatte. Doch als ich dieses Mal den Hauptkanal entlangfuhr, traf ich auf dick mit Sand und Laub angereicherte Geysire, die völlig unerwartet mitten im Fluss aufstiegen, mitunter mit einer Kraft, dass ich beim Darüberfahren spürte, wie das Boot gestoßen und angehoben wurde. Eine Boje, die in diesem brodelnden Wasser halb untergegangen war, schien wie ein großer von einem Hai gezogener Schwimmer flussaufwärts zu pflügen.

      Mit erhobenem Speer driftete ich an einer Sandbank entlang und suchte an den Rändern, wo das Wasser klar war. Die überall sichtbaren, aber kaum zu fangenden Meeräschen stoben davon. Ich störte zwei große Flundern auf, aber beide waren davongewedelt, bevor ich die Harpune werfen konnte. Ein Trupp Austernfischer in schwarzweißen Uniformen, die Flügel eng an die Seiten geklemmt, machte, als ich mich näherte, wie ein einziger Körper kehrt und marschierte über den Sand. Als ich auf dem Wasser die Spiegelung des Speers wahrnahm, überraschte mich ein Gedanke, der mir zuvor noch nicht gekommen war: Ich war dabei, das Kajak wieder seiner ursprünglichen Funktion zuzuführen. Die ihm zugrunde liegende Technologie und sein Name sind – wie Anorak und Parka – von arktischen Völkern entlehnt. So wie ich mit meiner Harpune an den Rändern der Sandbank entlangpirschte, patrouillierten sie die Ränder der Eisschollen. Hier allerdings wären sie verhungert.

      Die Einheimischen hatten mir berichtet, Flundern seien einst so zahlreich durch das Mündungsgebiet gezogen, dass man mit Schubkarren ins Wasser gefahren sei und die Fische mit Grabgabeln aufgespießt habe, bis die Karren voll gewesen seien. Nach meinem letzten, zu späten Versuch aber kam mir zu Ohren, dass die Krebsfänger kürzlich damit begonnen hätten, die Flundern unmittelbar vor der Einmündung des Ästuars mit Netzen zu fischen, um sie als Köder zu benutzen. Sie haben sie mehr oder weniger abgeräumt. Wenn die Geschichte stimmt, ist dies eine so verschwenderische und unnötige Praxis (angesichts der Unmengen an totem Fisch samt Köpfen und Gräten, die die Fischereiindustrie wegwirft), dass wir uns offenbar kaum von jenen Tagen entfernt haben, als die englischen Kolonisten in Nordamerika riesige Hummer aus Felsentümpeln klaubten und sie ihren Schweinen zum Fraß vorwarfen. Wir sollten in diesen mageren Zeiten zumindest davon ausgehen, dass alle gefangenen Fische auf den Tellern der Menschen landen.

      Ich ließ das Boot auf einer Sandbank zurück und watete einen guten Kilometer über das zerfurchte und gerippte Bett eines leerlaufenden Kanals. Das Wasser hatte sich geklärt: Selbst wo ich bis zur Hüfte im Wasser stand, konnte ich jetzt den Boden sehen. Ich ging schwebenden Schritts, fast schwerelos, über das Flussbett. Kleine Plattfische schnellten aus dem Sand.

      Ich pirschte den Kanal aufwärts, den Speer wurfbereit über dem Wasser, und fühlte mich so angriffslustig und zielbewusst wie ein Reiher. Jede einzelne Zelle schien gespannt, wie eine Saite, auf die Welt gestimmt, durch die ich mich bewegte und in den wechselnden Harmonien von Wind und Wasser die richtige Note zu treffen suchte. Meine Konzentration steigerte sich in ein überhöhtes Bewusstsein, sodass ich jedes Körnchen unter meinen nackten Zehen spürte, jedes Wasserkräuseln an meiner Taille, jede Bewegung des Benthos, wie verschwindend klein sie auch sein mochte. Plötzlich war ich weg.

      Es ist nicht leicht zu erklären, was geschehen war. Womöglich war es die hypnotisierende Wiederholung der Rippel im Sand, womöglich eine eskalierende Anspannung der Aufmerksamkeit, die mich durch die Barriere der Gegenwart stieß, jedenfalls war ich zu jenem Augenblick von dem Gedanken – dem Wissen – angerührt, dass ich genau dies schon einmal getan hatte.

      Außer den beiden bereits angeführten Fischzügen war das aber nicht der Fall gewesen. Ich glaube nicht an Reinkarnation oder das Fortbestehen der Seele, nachdem der Körper gestorben ist. Ich spürte aber, dass ich etwas durchmachte, was ich schon tausend Mal getan hatte; dass ich diese Arbeit so sicher zu tun wusste, wie ich meinen Weg nach Hause fand.

      Bereits einmal zuvor hatte ich einen ähnlichen Gefühlsansturm erlebt. Unterwegs in einem Wald in Süd-England sammelte ich Kräuter und Pilze und zwängte mich durch eine dichte Wand von Blättern und Zweigen, als ich neben einem kleinen Bach einen ingwerbraunen Hügel entdeckte. Es war ein Muntjak, einer der bellenden Hirsche aus China, die sich in der Gegend ausgebreitet hatten, seitdem sie im frühen zwanzigsten Jahrhundert vom Duke of Bedford freigelassen worden waren. Das Tier dürfte lediglich ein paar Minuten vor meiner Ankunft gestorben sein. Seine Augen waren noch klar, sein Körper warm. Es war keine Wunde zu sehen, kein Blut. Seine Fänge, die großen gebogenen Reißzähne, mit denen die Böcke sich bekämpfen und Hunde zerreißen können, ragten über den Unterkiefer heraus.

      In beiden Fällen, so glaube ich – auch wenn ich die Wahrheit einer solchen Vorstellung durch nichts belegen kann –, hat sich bei mir eine genetische Erinnerung bemerkbar gemacht. Während der längsten Zeit, in der der Mensch existierte und in der er noch der natürlichen Auslese unterworfen war, ist er von Imperativen geformt worden – der Notwendigkeit, sich zu ernähren, sich zu verteidigen und zu schützen, sich auszutauschen und zusammenzuarbeiten, Nachwuchs zu zeugen und für seine Kinder zu sorgen –, was dazu führte, dass bestimmte Verhaltensmuster instinktiv wurden. Das Denken mag sie unterdrückt haben, aber wie die angeborene Reaktion, die selbst einen Rentner noch eine anderthalb Meter hohe Mauer überspringen lässt, bevor ein Lastwagen ihn erfasst, entwickelten sie sich, um uns neben den langsameren Prozessen des bewussten Verstands (geformt durch Lernen und Erfahrung) zu leiten. Diese genetischen Erinnerungen – eine Art unbewusster innerer Drang – sind unseren Chromosomen eingeschrieben und bilden eine unauflösliche Komponente unserer Identität.

      Manche dieser stereotypen Reaktionen – wie die instinktive Art, in der wir uns um unsere Kinder kümmern – sind noch immer angemessen und notwendig. Andere – wie die Instinkte, die einmal hilfreich waren, um uns und unsere Familien gegen Raubtiere und konkurrierende Clans zu verteidigen – können, einmal entfesselt, in bevölkerungsreichen und technisch aufgerüsteten Gesellschaften zu Katastrophen führen. Wir mussten Eindämmungstechniken erlernen, um unser brüllendes Blut in ruhigere Bahnen zu lenken. Wo uns diese inneren Zwänge vertraut sind, hat uns die Erfahrung gelehrt, sie zu unterdrücken oder umzuleiten. Diese Empfindung jedoch war etwas Neues. Ich hatte sie gar nicht assimilieren können, denn von ihrer Existenz hatte ich – bis ich den Hirsch aufhob – keine Kenntnis gehabt. Sie war überwältigend, roh und wild. Ich wusste nicht, wohin damit; aber ich wusste, dass sie zu mir gehört wie die Sehnen, die mir beim Beugen meiner Finger helfen.

      An der walisischen Küste des Severn-Mündungsgebiets haben Archäologen mit Hilfe von Güllepflügen, wie sie auf Bauernhöfen verwendet werden, 8000 Jahre Schlamm abgeräumt, um eine fossile Salzmarschenfläche freizulegen, die so gut erhalten war, dass man beim Anblick von Fotografien der aufgefundenen Fußspuren unwillentlich nach den Tieren und Menschen sucht, die sie hinterlassen haben. Die Ausgrabungen von Goldcliff erzählen eine Geschichte aus einer Welt, die der unseren vorausging, zu der wir aber noch gehören.1

      Manche der in lockerem Schlamm hinterlassenen Abdrücke sind groß und verwaschen; andere sauber und scharf. Man kann die Zehenballen sehen

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