Verwildert. George Monbiot

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Verwildert - George Monbiot

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sich schon seinen Zweck. Toronkei und die anderen moran spornten sich gegenseitig zu Heldentaten an, etwa ihr Vieh in drei Tagen, ohne zu essen, zu trinken oder zu schlafen, über 200 Kilometer weit zu treiben. Ab und zu stahlen sie, obwohl sie mittlerweile, falls man sie erwischt, von der kenianischen Polizei schwer bestraft werden, auch Vieh von den Kikuyu, die in den benachbarten Landstrichen zu Hause waren, und entkamen mitunter nur in einem Kugelhagel. Unterhielt ich mich mit Toronkei und den anderen Kriegern, verblüffte es mich zu hören, dass die Flucht unter einem Kugelhagel ebenso Zweck der Übung war wie der Viehdiebstahl. Indem die moran ihr weites Land durchquerten und durchwanderten, lernten sie es so gut kennen wie wir unsere Vorstädte.

      Ich hatte Toronkei durch die entscheidenden Phasen seines Lebens begleitet. Sechs Jahre, bevor ich ihn kennengelernt hatte, ist er beschnitten worden. Während der Operation musste er ruhig dasitzen und durfte sich nicht bewegen und nicht mit der Wimper zucken. Die, die es schafften, erhielten Rinder; die, die zusammenzuckten, wurden geächtet. Die Krieger übten sich darin, Schmerzen auszuhalten: Toronkei hatte eine kreisförmige Narbe auf jedem Oberschenkel, dort hatte er sich glühende Holzstücke auf die Haut gedrückt.

      Jetzt, mit neunzehn, hatte er begonnen, den langen Weg der Initiationszeremonien als Krieger zu durchlaufen, an dessen Ende er den Status eines Junior-Ältesten erhält, heiraten und sein eigenes Haus errichten darf. Ich habe ihn über mehrere Monate mit den anderen morani tanzen, zechen und umherreisen sehen. Ich hatte zugesehen, wie sie einen Opferochsen bei den Hörnern und am Schwanz packten – er wirbelte sie durch das manyatta, bis sie ihn niederrangen –, ihn gezwungen hatten, einen Kürbis voll Bier zu trinken, ihn dann erstickt und sein Blut getrunken hatten. Ich hatte die starken Liebesbande zwischen den Kriegern mitbekommen, aber auch, dass ihre Messer unter ihren Umhängen aufblitzten, sobald ein Streit aufflammte.

      Sie hatten – was ich nicht gesehen habe – einen Löwen getötet, und zwar wie von der Tradition vorgeschrieben: Erst trieben sie ihn in die Enge, dann packte einer seinen Schwanz, während die anderen versuchten, ihn mit ihren Speeren zu töten. Nichts schien die morani zu beunruhigen, außer Chamäleons. Gefahr war für sie etwas Delikates, das ausfindig gemacht und ausgekostet werden musste. Sie waren sprunghaft, leidenschaftlich, ungestüm und offen für alles. Ich fand es leichter, mich auf sie einzulassen als auf die indigenen Völker, mit denen ich in West-Papua und Brasilien gearbeitet hatte – vielleicht weil sie als Nomaden mit so vielen Kulturen in Berührung kamen. Sie akzeptierten mich, wie sie alles, was ihnen über den Weg lief, akzeptierten; nichts durfte ihren Erfahrungen im Weg stehen. Obwohl ich elf Jahre älter war als Toronkei, wurden wir, was anderswo unmöglich gewesen wäre, Freunde.

      Nur wenige Wochen, nachdem wir zu dem Haus von Toronkeis Onkel gelaufen waren, war ich wieder in seinem manyatta, um der letzten Zeremonie beizuwohnen. Die morani tanzten langsam und traurig, mit einem sanften Gemurmel, das dem Wind in den Bäumen glich. Die Jahre der wilden Abenteuer gingen zu Ende. Ein junger Mann schritt mit dem langen leicht gewundenen Horn eines Großen Kudu in der Hand an den Rand der Gruppe. Er setzte seine Lippen an ein Loch in dem Horn und blies vier laute Trompetenstöße, die so tief waren, dass ich sie durch meinen Körper vibrieren fühlte. Schreiend und johlend liefen die Tänzer auseinander und stießen mich um. Vier oder fünf Krieger brachen zusammen und lagen unter Zuckungen und Ächzen auf dem Boden. Man versuchte sie auf die Beine zu stellen, aber sie schienen bewusstlos zu sein. Sie knurrten, sabberten und prusteten. Ihre Fersen schlugen auf den Boden. Das Horn wurde nur während der letzten Tage der Initiation geblasen, und immer wenn die Krieger es hörten, wurden sie von Trauer übermannt.

      Ich folgte Toronkei in die Initiationshütte, die seine Mutter für ihn gebaut hatte – eine kleine Schachtel aus mit Kuhdung verkleidetem Weidengeflecht –, und hockte eine Weile unter der niedrigen Decke, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Als ich etwas sehen konnte, bemerkte ich eine unbekannte Frau, die auf einer Pritsche aus Kuhfell saß. Sie war sehr dunkel, mit starken Augenbrauen, einer glatten runden Stirn und einem kühlen, fast spöttischen Aussehen. Ich stellte mich vor. Mit einem komischen, fast verschämten Lächeln drehte sie sich weg. Verdutzt sah ich Toronkei an und war überrascht, dass er lachte.

      »Dies«, sagte er, »ist meine Frau.«

      Drei Tage, bevor ich im manyatta eintraf, war er 50 Kilometer gelaufen, um einen Freund zu besuchen. Als er sich dessen Dorf näherte, begegnete er einer jungen Frau, die den gleichen Weg nahm, und änderte seinen Plan. Die beiden verbrachten den Tag miteinander und als es Abend wurde, hatte er sie überzeugt, mit ihm durchzubrennen. Sie warteten, bis alle in ihrem Dorf schliefen, stahlen sich aus der Umfriedung und rannten los. Die Hunde wachten auf und die Brüder des Mädchens nahmen die Verfolgung auf. Das Liebespaar hetzte durch den Busch, aber kurz nach Mitternacht hatten die Brüder es gestellt. Das Mädchen weigerte sich, nach Hause zurückzukehren. Sie sagte ihren Brüdern, falls sie mit ihr sprechen wollten, müssten sie schon in Toronkeis Dorf kommen. Die Brüder kehrten in ihre Ansiedlung zurück, und bei Morgengrauen erreichten Toronkei und seine Verlobte das manyatta. Ihr Vater schäumte vor Wut, aber er konnte nur wenig ausrichten: Seine Tochter ließ sich nicht umstimmen. Toronkei hatte um Verhandlungen gebeten: Der Vater hatte einen Brautpreis von fünf Kühen und 10 000 Schilling gefordert. Toronkeis Eltern versuchten ihn herunterzuhandeln. Das Mädchen kam aus einer reichen Familie, es war ein hartes Geschäft.

      Als ich die Geschichte hörte, die stolzen, konspirativen Blicke sah, die er mit seiner Braut austauschte, und mitbekam, wie er von den anderen morani als Held gefeiert wurde, stieg in mir – und dies nicht zum ersten Mal in meiner Freundschaft mit Toronkei – ein Gefühl der Eifersucht auf. Ich saß in der Hütte, trank Milch und begrüßte die Prozession junger Männer, die vorbeischauten, um ihm Respekt zu zollen, und haderte mit meiner Unzulänglichkeit. Als ich die jungen Krieger anschaute, die Hand in Hand auf der Pritsche saßen, und die junge Frau, die ihrem Ehemann zärtliche Blicke zuwarf, wurde ich von einem Gedanken eingeholt, der so klar und laut war wie eine direkt an meinem Ohr erschallende Glocke. Wäre ich als Embryo vor der Wahl gestanden zwischen meinem Leben und dem seinen – wohl wissend, dass ich mich dem einen wie dem anderen angepasst und mich in ihm eingerichtet hätte –, hätte ich das seine gewählt.

      Trotz sechs an Abenteuern reichen Jahren in den Tropen, erschien mir mein Leben jetzt klein und behäbig. Ich dachte daran, was mich erwartete, wenn ich in ein paar Monaten nach Hause zurückkehren würde. Ich hatte den Plan, mein Buch zu Ende zu schreiben, Arbeit zu finden, wieder an alte Freundschaften anzuknüpfen und vielleicht eine Anzahlung auf ein Haus zu leisten. Nach zwei Hirnmalaria-Attacken, bei steigenden Ausgaben und schrumpfenden Ersparnissen, der Läuse, Moskitos, kaputten Straßen und des verdorbenen Wassers müde, erschien dies reizvoll. Jetzt aber dachte ich an die Unterhaltungen, die sich auf die drei Rs beschränkten: Renovierungen, Rezepte, Reiseziele. Ich dachte an Geländer und Staketenzäune. Ich dachte an Spaziergänge in der englischen Provinz, wo einen die Leute, sobald man sich abseits der Fußwege bewegt, anpöbeln. Nicht das erste Mal in meinem Leben kam mir plötzlich alles so sinnlos vor.

      Benjamin Franklin beklagte sich 1753 in einem Brief an den englischen Botaniker Peter Collinson wie folgt:

      Wenn ein Indianerkind unter uns aufgewachsen ist, unsere Sprache erlernt und sich an unsere Gebräuche gewöhnt hat, und wenn es loszieht, um seine Verwandtschaft zu besuchen und einen indianischen Wanderzug mit ihnen zu unternehmen, kann man es nicht mehr zur Rückkehr bewegen, und dass dies nicht bloß natürlich für sie als Indianer, sondern als Menschen ist, wird daraus ersichtlich, dass wenn Weiße gleich welchen Geschlechts von den Indianern gefangen worden sind und eine Zeit unter ihnen gelebt haben, und wenn sie dann von ihren Freunden ausgelöst und mit aller nur erdenklichen Zärtlichkeit behandelt werden, damit sie mit den Engländern zu bleiben bewogen werden, werden sie doch innerhalb kurzer Zeit unserer Lebensart und der zu ihrer Aufrechterhaltung nötigen Sorgen und Mühen überdrüssig und ergreifen die erste gute Gelegenheit, wieder in die Wälder zu entkommen, von wo man sie nicht mehr zurückholen kann.2

      Für die kolonialen Autoritäten bedeutete das Überlaufen

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