Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD). Christian Warns
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2. Regelung des Staatskirchenrechts unter dem Grundgesetz
Ebenso wurde auch bei der Entstehung des Grundgesetzes diskutiert, wie die Trennung von Staat und Kirche nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus57 verankert werden könne.58 So waren insbesondere in zwei Anträgen zunächst weitreichende Kirchenartikel durch die Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der Deutsche Partei vorgeschlagen worden. So formulierte der erste Antrag noch: „Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen und staatlichen Lebens anerkannt und vom Staat geachtet und geschützt. Aus eigenem Recht ordnen und verwalten sie ihre Angelegenheiten selbstständig und dürfen in ihrer freien Entfaltung nicht beschränkt werden.“59 Im zweiten Antrag hieß es sodann in abgeschwächter Form: „(1) Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens anerkannt. […] (2) Die Kirchen und Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten selbständig aus eigenem Recht. […]“60
Diese Anträge stießen insbesondere bei SPD und FDP auf Bedenken und erwiesen sich nicht als konsensfähig. Grund dafür war die Frage nach der bundesrechtlichen Kompetenz; so sollte die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche den Ländern vorbehalten bleiben. Ungeklärt war zudem, welche Konsequenzen sich aus einer Abweichung von den Weimarer Vorschriften für das Verhältnis von Kirche und Staat ergeben könnten.61 Zustimmung erfuhr schließlich der Kompromissvorschlag, dass die in der Weimarer Verfassung getroffene Regelung zum Staatskirchenrecht auch im Grundgesetz ihren Niederschlag finden solle.62 Einigen konnte man sich auf die vom Fünfer-Ausschuss vorgeschlagene Fassung des Art. 140 GG. Nach einigen kleineren Änderungen wurde dieser Artikel in der noch heute geltenden Fassung durch den Hauptausschuss beschlossen.63 Der konkrete Inhalt von Art. 137 Abs. 3 WRV wurde hingegen nicht mehr beraten.64
Trotz des „eigentümlichen parlamentarischen Entstehungsvorgangs“65 ist nicht zu verkennen, dass die Staatskirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch Art. 140 GG als unmittelbares und gleichwertiges Verfassungsrecht einbezogen sind.66 Mit Blick auf die Auslegung von Art. 137 Abs. 3 WRV und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen haben die bereits zur Weimarer Zeit bestehenden antagonistischen Standpunkte durch die Inkorporation auch unter dem Grundgesetz weiter ihre Bedeutung. Durch die „Einbettung in das gesamte Wertsystem des Grundgesetzes“67 ist der Antagonismus jedoch nicht allein innerhalb der Vorschrift aufzulösen, sondern es muss immer das gesamte Grundgesetz als Wertentscheidung in den Blick genommen werden.68
Der Antagonismus hat auch heute noch seine volle Bedeutung; nach der Wiedervereinigung hielt die Gemeinsame Verfassungskommission – trotz geäußerter Bedenken in einzelnen Parteien – eine Änderung der Staatskirchenartikel nicht für notwendig.69 Die Bedeutung der Kirchen in der Gesellschaft mag zwar abgenommen haben, ihre verfassungsrechtlichen Gewährleistungen haben dadurch aber – jedenfalls bisher – nicht an Kraft verloren.70
3. Verhältnis von Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit
Der veränderte Stellenwert71 der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierten Religionsfreiheit unter dem Grundgesetz im Verhältnis zur Ausgestaltung in der Weimarer Zeit durch Art. 135 WRV könnte allerdings zur Folge haben, dass die aus der Weimarer Verfassung ins Grundgesetz übernommenen Staatskirchenartikel nunmehr durch die Religionsfreiheit vollständig überlagert werden. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Entwicklung der Grundrechtsdogmatik: So wird durch Art. 4 GG nach einhelliger Auffassung auch ein korporatives Grundrecht garantiert.72 Die Kirche hat als Zusammenschluss der einzelnen Gläubigen Anteil an der durch die einzelnen Kirchenmitglieder vermittelten Religionsfreiheit und übt in ihrem Handeln diese Religionsfreiheit wiederum aus. Vor diesem Hintergrund könnte es naheliegen, dass die grundrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit auch eine Garantie zugunsten einer umfassenden Selbstbestimmung der Institution Kirche beinhaltet.73
Bereits der besondere historische Entstehungsprozess des Selbstbestimmungsrechts lässt jedoch daran zweifeln, dass Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV keinen eigenen Bedeutungsgehalt mehr gegenüber der Religionsfreiheit haben soll. Die Diskussionen um das Selbstbestimmungsrecht zeigen, dass die Vorschrift des Art. 137 Abs. 3 WRV nicht ausschließlich zur Abgrenzung solcher Regelungsbereiche dienen sollte, die zugleich Ausdruck der Religionsausübung sind. So wird schwerlich die Erhebung von Kirchensteuern, die Verwaltung von Grundvermögen oder aber auch die schlichte Organisation von Arbeitsabläufen bereits unmittelbar eine Religionsausübung darstellen.74 Unberührt bleibt, dass es sich hierbei um Tätigkeiten handelt, die eine ungehinderte Religionsausübung fördern können. Sie stellen aber keine notwendige Bedingung für die Religionsausübung dar und müssen nicht zwingend den Religionsgemeinschaften zur eigenen Regelung überlassen werden. Gleichwohl gibt es allerdings auch Bereiche, in denen sich die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts und die Ausübung der Religionsfreiheit offensichtlich überschneiden. So wird durch die Entscheidung über Glaubensinhalte die Religionsfreiheit ausgeübt; erfolgt die Entscheidung durch die verfasste Kirche, so handelt es sich zugleich um einen Akt, mit dem die Kirche ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnimmt.
Für letzteren Fall leuchtet es ein, dass „das Selbstbestimmungsrecht grundrechtlich unterfüttert“75 ist.76 In ersterem Fall ist hingegen ein eigenständiger Anwendungsbereich des Selbstbestimmungsrechts gegeben, bei dem der Versuch versagt, das Selbstbestimmungsrecht allein auf die Religionsfreiheit zurückzuführen. Das Schaffen von günstigen Bedingungen für die Religionsausübung stellt noch keine Betätigung der Religionsfreiheit dar. Vielmehr zeichnet sich dort deutlich der Charakter des Selbstbestimmungsrechts als weiterreichendes Freiheitsrecht der Institution Kirche ab.77 Es dient der Abgrenzung von Regelungsbereichen zweier Institutionen, des Staates einerseits und der Kirche andererseits. Zutreffend ist in dieser Hinsicht auch die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, wenn es in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht betont, dass es „der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgesellschaften (Art. 4 Abs. 2 GG) die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt.“78
Die Einordnung des Selbstbestimmungsrechts als selbständige institutionelle Gewährleistung wird durch die Beratungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung von Weimar bestätigt, die die Trennung von Kirche und Staat in der Weimarer Verfassung als eine Trennung von Institutionen diskutierten.79 Nur so lässt sich auch die für die Beibehaltung des Sonderstatus tragende Argumentation, die sich auf die besondere gesellschaftliche Verantwortung der Kirche bezieht, zutreffend verstehen; die Verantwortung der Kirche wurde nicht als kollektive Verantwortung der einzelnen Gläubigen wahrgenommen, sondern als die gesellschaftliche Verantwortung der Kirchen als Institutionen. Bezeichnend ist, dass diejenigen Vertreter, die damals die Bedeutung der Institution Kirche bezweifelten, gerade die Vergleichbarkeit der Kirchen mit einfachen privatrechtlichen Vereinen betonten; entgegen diesen Stimmen wurde jedoch den Kirchen eine privilegierte Stellung eingeräumt. Die historische Verankerung des Selbstbestimmungsrechts unterstreicht damit die eigene Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts gegenüber der Religionsfreiheit. Die Gegenthese, nach der das Selbstbestimmungsrecht vollständig durch die Religionsfreiheit überlagert sei, ist folglich ahistorisch.80
Das Verständnis als institutionelle Garantie ermöglicht es, dem Selbstbestimmungsrecht eine eigenständige Bedeutung auch gegenüber der Religionsfreiheit abzugewinnen, soweit sich beide überschneiden: Die Religionsfreiheit hat als grundrechtliche Gewährleistung zuvorderst eine Abwehrfunktion gegenüber staatlichen Beschränkungen.81 Aufgrund der durch Art. 1 Abs. 3 GG vermittelten Grundrechtsbindung