Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD). Christian Warns
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![Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD) - Christian Warns Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD) - Christian Warns Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht](/cover_pre1171090.jpg)
Damit steht Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV, soweit durch die Selbstbestimmung auch die Religionsfreiheit ausgeübt wird, in seiner Anwendung mit einer eigenen Bedeutung neben Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Eine vollständige Überlagerung des Selbstbestimmungsrechts durch die Religionsfreiheit findet nicht statt.83 Wenn der Staat eine Regelung trifft, ist diese sowohl an Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV als auch an Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu messen; im Rahmen von Art. 137 Abs. 3 WRV ist die Entscheidung des Verfassungsgebers zugunsten einer eigenen Regelungskompetenz der Religionsgesellschaft zu berücksichtigen; diese kann – soweit die Außenschranke des für alle geltenden Gesetzes nicht betroffen ist – in ihrer maximalen Reichweite eine staatliche Regelungskompetenz vollständig verdrängen. Soweit sich für die Kirche aufgrund des Selbstbestimmungsrechts eine umfassende Regelungskompetenz ergibt, hat die Religionsfreiheit keinen weiterreichenden Regelungsgehalt; die institutionelle Garantie des Art. 137 Abs. 3 WRV verhilft in diesem Fall auch der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu einer umfänglichen Geltung.
4. Zusammenfassung
Für die staatliche Sicht auf die Kirche als Institution lässt sich festhalten, dass die Kirche wegen ihrer Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung einen besonderen Freiraum bei der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten zugestanden bekommt, der weiter ist als derjenige sonstiger privatrechtlicher Vereinigungen.84 Das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet den Kirchen als institutionelle Garantie eine besondere Regelungskompetenz. Zu Überschneidungen mit dem Schutzbereich der Religionsfreiheit kann es insoweit kommen, als die Regelung einer selbstbestimmten Angelegenheit zugleich als Ausübung der Religionsfreiheit erscheint. Ist ein Tätigwerden der Kirche allerdings bereits umfänglich durch das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gedeckt, so verwirklicht sich in gleichem Maße auch die korporative Religionsfreiheit. Als primärer Bezugspunkt der kirchlichen Selbstbestimmung steht damit die Gewährleistung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV im Vordergrund.
II. Kirchliche Perspektive
Ein Perspektivenwechsel soll nun noch einen Einblick ermöglichen, wie die Kirche die ihr seitens des Staates garantierte Regelungskompetenz wahrnimmt. Bedarf es zur Klärung der rechtstheologischen Frage nach der innerkirchlichen Legitimität von Kirchenrecht noch der näheren theoretischen Grundlegung in weiteren Arbeiten85, soll es für die vorliegende Arbeit ausreichen, sich an der praktischen Einschätzung der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen hinsichtlich der Setzung von Kirchenrecht zu orientieren.86
Das Bewusstsein für ein selbstbestimmtes kirchliches Wirken tat sich in der evangelischen Kirche erstmals vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus auf. Als ein Meilenstein des protestantischen Selbstverständnisses, dass kirchliche Regelungen zur Wahrung des innerkirchlichen Propriums notwendigerweise vom Staat unbeeinflusst zu treffen sind, ist die Barmer Theologische Erklärung von 1934 anzuführen; die dort formulierten Grundsätze finden über Art. 1 Abs. 3 S. 1 GO-EKD auch Eingang in die Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen haben vor diesem Hintergrund allesamt eigenes Kirchenrecht erlassen und gehen zugleich von ihrer Eigenlegitimation aus. Nach Auffassung der Kirche ist die eigene Rechtsetzung auf ihren Auftrag – die Verkündigung des Evangeliums – bezogen und nimmt ihm gegenüber eine dienende Funktion ein.87
Dass der Kirche durch das Grundgesetz die Freiheit eingeräumt ist, ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten, hat indessen ebenfalls Einfluss auf den praktischen Umgang mit der eigenen Rechtsetzungsbefugnis.88 Die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit bedarf zum einen der Ausfüllung durch den kirchlichen Gesetzgeber, zum anderen geht mit der verfassungsrechtlichen Verankerung zugleich eine Rücksichtnahme auf die übrige Verfassungsordnung einher. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das kirchliche Recht auch von anderen Notwendigkeiten – beispielsweise durch Gesichtspunkte der „Regelhaftigkeit“ und „Erwartungssicherheit“ – nicht unbeeinflusst bleibt und es insoweit anderen „Institutionalisierungsprozessen“ vergleichbar ist.89
Festhalten lässt sich daher für den Blickwinkel der EKD, dass die Kirche die verfassungsrechtlich gewährte Freiheit annimmt und im Hinblick auf den kirchlichen Auftrag ausgestaltet.90 Hierbei hat das Kirchenrecht zwar gegenüber dem kirchlichen Auftrag eine dienende Funktion; die praktische Ausgestaltung folgt jedoch nicht allein geistlichen, sondern durchaus auch weltlich-pragmatischen Erwägungen.
III. Zusammenfassung
Die dienende Funktion des Kirchenrechts gegenüber dem kirchlichen Auftrag macht aus der Perspektive der Kirche die Rechtsetzung zu einer eigenen Aufgabe, die nur von ihr selbst wahrgenommen werden kann. Diesem Selbstverständnis gibt auch die Gewährleistung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV Raum. Diese historisch brisante und viel diskutierte Vorschrift anerkennt die Kirchen als Träger einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung. Aus diesem Grund ist ihnen in Form einer institutionellen Garantie durch das Grundgesetz eine grundsätzlich umfassende Regelungskompetenz für die eigenen Angelegenheiten gegeben. Dem Selbstbestimmungsrecht sind allein durch die Schranke des für alle geltenden Gesetzes Grenzen gezogen; dadurch obliegt es dem Staat, über die Rechtsgüterzuordnung zu wachen, soweit es zum Konflikt des Selbstbestimmungsrechts mit anderen durch den Staat zu schützenden Rechtsgütern kommt. Insofern zugleich der Anwendungsbereich der Religionsfreiheit eröffnet ist, unterstützt sie das Selbstbestimmungsrecht der Kirche, ohne jedoch weitergehende Befugnisse der Kirche zu begründen, wenn bereits das Selbstbestimmungsrecht vollumfänglich zur Geltung gelangt. Im Vordergrund steht deshalb zunächst immer die Verfassungsvorschrift des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV.
B. Selbstbestimmungsrecht der Kirche und Mitarbeitervertretungsrecht
Das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV markiert folglich die entscheidende Trennlinie zwischen kirchlicher und staatlicher Rechtsetzungskompetenz. Zugleich dient es als Mittler für die Anerkennung kirchlichen Handelns im staatlichen Rechtskreis. Im Vorgriff auf die weitere Untersuchung soll diese Trennlinie und Mittlerstellung im Hinblick auf das Mitarbeitervertretungsrecht und die Dienstvereinbarung als kirchenrechtliches Rechtsinstitut noch näher umrissen werden.
I. Einfachgesetzliche Exemtionen zugunsten der Kirche