Neue Theorien des Rechts. Группа авторов

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Er untersucht hier, wie sich die Systembildung im Recht vollzieht, und unterscheidet zwischen Selbstbeobachtung, Selbstkonstitution und Selbstreproduktion des Rechts[189]. Demnach intensiviert sich die Selbstreferenz des Rechts – von der bloßen Beobachtung der eigenen Systemkomponenten über den »operativen Umgang« mit diesen Komponenten bis hin zu ihrer »rekursiven Herstellung«. Aus der Verkettung dieser Prozesse entsteht schließlich ein »selbstreproduktiver Hyperzyklus«, der dem Recht als Sozialsystem zur Eigenständigkeit verhilft[190]. Der Hyperzyklus setzt die Rechtskommunikationen einer nochmaligen Beobachtung aus: Das Recht beobachtet nicht nur seine sozialen Umwelten, es beobachtet insbesondere sich selbst und setzt eine Selbstreflexion, d.h. eine juridische KommunikationKommunikation über die juridische Kommunikation in Gang[191]. Auf diese Weise wird im Recht nicht nur zwischen Recht und UnrechtUnrecht entschieden, sondern es entstehen ebenso »Argumentationszusammenhänge über die systemeigene Identität«, die versuchen, das was als Recht gilt, immer wieder aufs Neue zu bestimmen[192]. Diese Selbstbezüglichkeit des Rechts, in der Operationen auf sich selbst angewendet werden, verknüpft Rechtsverfahren, Rechtsakte, Rechtsnormen und Rechtsdogmatik und setzt sie einer nochmaligen Beobachtung aus[193].

      |51|An dieser anspruchsvollen Grundstruktur der Selbstreferenz wird schon deutlich, dass es vorschnell wäre, nur eine starre Geschlossenheit am Werk zu sehen. Das Recht schließt sich nicht nur einseitig, sondern reguliert die eigene Selbstreproduktion. Insbesondere liegen auch kommunikative Möglichkeiten vor, die das, was bisher als Recht oder UnrechtUnrecht gilt, revidieren, oder die Verfahren, in denen die Unterscheidung angewendet wurde, verändern. Jede Entscheidung zwischen Recht und Unrecht kann in einem infiniten Regress einer nochmaligen Beobachtung vom Typ Recht/Unrecht unterzogen werden – und so eröffnet das Recht als geschlossenes System den Spielraum für einen kreativen Umgang mit dem jeweils gegebenen kommunikativen Variationspool[194]. Diese Spielräume drücken sich insbesondere in Deutungskämpfen innerhalb der Rechtsdogmatik und um Rechtsentscheidungen aus. Dort werden Konflikte um Veränderungs- und Anpassungsbedarfe in juridischer Grammatik ausgetragen. Und es kann auch dazu kommen, dass sich das Recht nicht nur von seinen sozialen Umwelten abgrenzt, sondern auch auf die Abhängigkeit von Umwelteinflüssen reflektiert und sich auf dieser Grundlage verändert[195]. Insofern bedeutet die operative Geschlossenheit des Rechts, wie sie die SystemtheorieSystemtheorie annimmt, ausdrücklich keine absolute, sondern nur eine relative bzw. relationale Geschlossenheit, die von einer inneren Reflexivität gekennzeichnet ist: Das Recht kann sich im Recht selbst zum Thema machen, sich veränderten sozialen Umweltbedingungen anpassen und verändern.

      Die Funktion des Rechts wiederum besteht in der »Stabilisierung normativer Erwartungen«. Das Recht legt fest, mit »welchen Erwartungen man sozialen Rückhalt findet und mit welchen nicht«[196]. Dieser Rückhalt ist so stark, dass diese Erwartungshaltungen auch dann aufrechterhalten und durchgesetzt werden, wenn sie im Einzelfall enttäuscht werden. In den jeweiligen Sozialsystemen sind also nur solche Kommunikationen anschlussfähig, die an die prägenden Codierungen anschließen. Während das politische System entlang der Codierung Machtüberlegenheit/Machtunterlegenheit strukturiert ist und sich darauf versteht, kollektiv bindende Entscheidungen herzustellen, die Wirtschaft entlang der Codierung Zahlung/Nicht-Zahlung kommuniziert[197], orientiert sich das Rechtssystem an der Unterscheidung Recht/UnrechtUnrecht und sorgt für die Stabilisierung normativer Erwartungen, indem es auch dann die Geltung von Normen behauptet, wenn sie in der Realität gebrochen oder nicht befolgt werden.

      |52|II. Realparadoxien des Rechts

      Auf diese Weise verkompliziert sich die Selbstreferenz. Was sich vordergründig als selbstinteressierte Unabhängigkeit oder Verselbstständigung darstellt, ruht am Ende doch auf einer Fremdreferenz im Hinblick auf die sozialen Umwelten auf. Die Selbstreferenz wird nur durch Abgrenzung und Bezug auf die jeweilige soziale Umwelt möglich. Recht grenzt sich von anderen Sozialsystemen, wie Wirtschaft, Religion oder Politik ab, muss sich dabei aber auch auf eine diffuse soziale Umwelt einstellen oder wenigstens mit ihr rechnen[198]. Am Beginn jeder Systembildung steht folglich eine Unterscheidung zwischen Innen und Außen[199]. Sie ruft kommunikative Anschlussmöglichkeiten genauso wie den Ausschluss einer nicht-markierten Außenseite hervor. Damit legen die Systeme auch »Schnitte in die Welt« oder »verletzen« sie gar[200]: Sie greifen in den unmarked state ein und transformieren ihn in das Negativkorrelat der Innenseite des Systems (unmarked space)[201]. Dies führt in eine Fundierungsparadoxie, da sich die jeweiligen Formen gegenüber ihren Umwelten selbstreferentiell schließen und doch konstitutiv auf sie bezogen bleiben. Als Irritation, als Rauschen, als das Andere oder gar als Bedrohung des Systems können sie nie vollständig verdrängt werden[202]. Soziale Systeme sind also nicht vollkommen unabhängig und geschlossen, sondern auch umweltabhängig und in gewisser Hinsicht offen.

      Die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts beobachtet, wie die Unterscheidung zwischen System und Umwelt einen Wiedereintritt innerhalb des Systems finden kann. LuhmannLuhmann, Niklas beschreibt diesen voraussetzungsreichen Vorgang als re-entry[203]. Das Rechtssystem erschließt auf diesem Wege die Spielräume, um die Grenzen zwischen Recht und Nicht-Recht zu thematisieren, sie zu verschieben, oder das, was als Recht gilt, zu erneuern. Die einschlägige Formel lautet: »re-entry der Unterscheidung in das Unterschiedene«[204]. Demnach ist zu beobachten, dass ein |53|Wiedereintritt der Unterscheidung zwischen Recht und Nicht-Recht stattfindet, und zwar innerhalb des Rechts. Die Unterscheidung zwischen System und Umwelt wird dann innerhalb des sich schon von der Umwelt abgrenzenden Systems thematisch. Im Sinne eines crossing überquert das Außen die Grenze zwischen Innen und Außen und die Umwelten treten auf der Innenseite wieder auf.

      Die Möglichkeit eines solchen Wiedereintritts ist von hoher Bedeutung, da das Recht dadurch eine eigene Reflexivität ausbildet, wenn es sich selbst zum Gegenstand der Kritik und Erneuerung macht. So treten Momente ein, in denen die überlieferten Routinen und Lehrmeinungen, die dogmatischen Figuren und Auslegungstechniken grundsätzlich zur Diskussion gestellt und gegebenenfalls verändert werden. Insbesondere wird dann auch danach gefragt, ob das Recht noch der »Gesellschaft« gerecht wird, ob und wie es von anderen Sozialsystemen, etwa der Politik, der Wirtschaft, der Religion oder den Bewusstseinssystemen der Individuen, abhängt und was daraus zu schlussfolgern ist: Soll sich das Recht responsiv zu seinen sozialen Umwelten verhalten oder im Gegenteil darauf bestehen, dass es sich gerade nicht von außen irritieren lässt[205]? Ein klassisches Beispiel, an dem dieses Problem auf sich aufmerksam macht, entstammt der Verfassungsrechtsprechung. Dort stellt sich die Frage, ob die VerfassungVerfassung als »lebende Verfassung« zu verstehen ist, die sich verändernden gesellschaftlichen Umständen anpasst, oder ob sie gerade im Gegenteil als Grundentscheidung gilt, die rechtliche Normen und Prinzipien vor ständiger Veränderung durch die Gesellschaft abschirmt[206].

      Die SystemtheorieSystemtheorie zeigt, wie das Recht diese Fundierungsprobleme in der Regel verdrängt. Es hält feine Techniken der Ent-Paradoxierung bereit, um den Rechtsbetrieb am Laufen zu halten. Vor Gericht darf nicht andauernd reflektiert, es muss entschieden werden[207]; ein Ausstieg aus dem Rechtscode ist nicht möglich, und der kommunikative Anschluss an die »h.M.«, die herrschende Meinung, begrenzt ab initio, was überhaupt infrage zu stellen ist. Doch es ergeben sich auch Spielräume, die auf eine Öffnung der bestehenden Entscheidungsroutinen und Rechtsbegriffe hinauslaufen. Das Einfallstor, um die Fundierungsparadoxien wieder sichtbar zu machen, sind sogenannte »Kontingenzformeln«, d.h. Formeln, die darauf zielen, die jeweiligen Kommunikationen einer weiteren, übergreifenden Beobachtung auszusetzen und ihre Änderbarkeit zu gewährleisten. Im Fall |54|des Rechts dient die »Gerechtigkeit« als Orientierungspunkt, um Grundsatzfragen und Revisionsbedarf aufzuwerfen[208]. Wird die Gerechtigkeit des Rechts angesprochen, tritt eine Reflexion auf die jeweiligen Grenzziehungen ein, die sich bis zur subversiven Überschreitung des bisherigen Rechtshorizonts steigern kann[209]. Jüngere rechtstheoretische Arbeiten beobachten darüber hinaus im Hinblick auf die Globalisierung von Funktionssystemen, wie Weltwirtschaft oder Weltpolitik, dass insbesondere die Menschenrechte eine ähnliche Funktion übernehmen. Im Gegensatz zur überlieferten Rechtsphilosophie, die sich eifrig um den besonders weiten oder engen Umfang der Menschenrechte streitet, wird hier ihr reaktiver Charakter betont. Sie sind das

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