Neue Theorien des Rechts. Группа авторов
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Möller, Kolja, RechtskritikRechtskritik und SystemtheorieSystemtheorie, in: Scherr, Albert (Hrsg.), Systemtheorie und Differenzierungstheorie als Kritik. Perspektiven im Anschluss an Niklas Luhmann, Weinheim/Basel 2015, 186–210.
Opitz, Sven, An der Grenze des Rechts. Inklusion/Exklusion im Zeichen der Sicherheit, Weilerswist 2012.
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Viellechner, Lars, TransnationalisierungTransnationalisierung des Rechts, Weilerswist 2013.
|67|Post-Juridische Rechtstheorien: BenjaminBenjamin, Walter, MenkeMenke, Christoph, LoickLoick, Daniel
Hannah Franzki
A. Einleitung
Der Begriff der »post-juridischen Rechtstheorie« bezeichnet keinen einheitlichen Strang der Theoriebildung. Er entspringt auch keiner eigenen Definition der hier vorgestellten Autor*innen. Vielmehr dient er im vorliegenden Text dazu, drei unterschiedliche Rechtstheorien im Hinblick auf einen bestimmten Gesichtspunkt vorzustellen: Die hier diskutierten Ansätze verbinden RechtskritikRechtskritik mit einer Bewegung, die auf eine entscheidende TransformationTransformation der modernen, westlichen Rechtsordnung abzielt, auf eine Ordnung nach dem JuridismusJuridismus. Post-juridisch sind diese Theorien auch insofern ihr Blick auf das Recht und seine Beschreibung von einem Ort außerhalb des geschlossenen juridischen Diskurses, nämlich aus der Philosophie, der Sprach- oder den Sozialwissenschaften, erfolgt.
So wenig wie die hier vorgestellten kritischen Rechtstheorien für sich selbst den Sammelbegriff »post-juridisch« beanspruchen würden, so wenig würden Verteidiger*innen des bürgerlichen Rechts dieses als »juridisch« bezeichnen. Vielmehr enthält der Begriff des JuridismusJuridismus schon eine Kritik des bürgerlichen Rechts. So hat beispielsweise Daniel LoickLoick, Daniel seine RechtskritikRechtskritik als Kritik des Juridismus formuliert[260]. Dabei bezeichnet für LoickLoick, Daniel der Begriff des Juridismus
die Dominanz des Rechts in den zwischenmenschlichen Interaktionsweisen westlicher Gesellschaften, welche die Bedingungen eines guten oder gelingenden Lebens als Zusammenleben untergräbt[261].
Für LoickLoick, Daniel dient also das Recht nicht dazu, Gleichheit oder individuelle Freiheit in modernen Gesellschaften zu verwirklichen. Vielmehr hinderte es die Menschen an ihrer freien Entfaltung.
Ohne ihre Kritik explizit auf den Begriff des JuridismusJuridismus zuzuspitzen, haben eine Reihe von Autor*innen immer wieder unterschiedliche Aspekte und Wirkungsweisen des bürgerlichen Rechts problematisiert. Ein zentraler Ansatzpunkt für die Kritik betrifft das Verhältnis von Recht und GewaltRecht und Gewalt. Liberale Rechtstheorien gehen davon aus, dass das Recht dazu beiträgt, zwischenmenschliche Gewalt zu begrenzen, indem es den Anspruch auf legitime Gewaltausübung monopolisiert. Dass das moderne Recht aber nicht nur Gewalt begrenzt, sondern selbst auf |68|Gewalt angewiesen ist, hat unter anderem der deutsch-jüdische Denker Walter BenjaminBenjamin, Walter (1892–1940) in seinem Aufsatz Zur Kritik der Gewalt herausgearbeitet[262]. Seine Studie über das Verhältnis von Recht und Gewalt trifft sensible Punkte traditioneller Rechtstheorie, die bis heute dazu einladen, darüber nachzudenken, inwiefern der liberale Rechtsstaat tatsächlich die Verwirklichung einer Gesellschaft freier Menschen ist.
Eine radikale RechtskritikRechtskritik, die auf die konstitutive Rolle des Rechts für die Aufrechterhaltung gewaltvoller oder unfreier Gesellschaftsverhältnisse hinweist, provoziert immer auch die Frage, was aus dieser Erkenntnis folgt. Im deutschsprachigen Raum haben zuletzt die Philosophen Christoph MenkeMenke, Christoph[263] und Daniel LoickLoick, Daniel[264] über die Auseinandersetzung mit BenjaminBenjamin, Walter hinaus eine ausführliche Rechtskritik vorgelegt, die jeweils in dem Entwurf eines Rechts mündet, das die zuvor diagnostizierten Probleme zu überwinden sucht[265]. Neben der Rechtstheorie Benjamins soll hier daher ebenfalls in die Werke dieser beiden eingeführt werden. Der erste Teil des Kapitels stellt die Rechtskritiken der einzelnen Autoren vor. Im zweiten Teil wird dann auf die von den Autoren skizzierten Wege hin zu einer post-juridischen Rechtordnung eingegangen. Wie wir sehen werden, verlangt die Suche nach einem post-juridischen Rechtpostjuridisches Recht immer auch danach, das Verhältnis von Recht und Politik neu zu fassen.
B. Kritiken des Rechts
Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung kritischer Rechtstheorie seit den 1990er Jahren ist der Text Zur Kritik der Gewalt, den Walter BenjaminBenjamin, Walter bereits 1921 veröffentlicht hat[266]. Eine Reihe zeitgenössischer Autor*innen beziehen sich auf Benjamins Text, um aktuelle rechtliche und politische Entwicklungen in unterschiedlichen Kontexten zu analysieren und zu überlegen, wie ein gerechtes, nicht gewaltbasiertes Recht aussehen könnte. Neben dem Aufsatz Gesetzeskraft. Der »mystische Grund der Autorität«, mit dem Jacques DerridaDerrida, Jacques[267] die BenjaminBenjamin, Walter-Rezeption in der kritischen Rechtstheorie vorangetrieben hat, sind hier unter anderen die Arbeiten des italienischen Philosophen Giorgio AgambenAgamben, Giorgio[268], der |69|nord-amerikanische Sprachwissenschaftlerin Judith Butler[269] sowie des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek[270] zu nennen. Weil Benjamins Text einen zentralen Bezugspunkt für zeitgenössische theoretische Interventionen bildet, soll hier zunächst auf seine RechtskritikRechtskritik eingegangen werden.
I. Recht und GewaltRecht und Gewalt bei Walter BenjaminBenjamin, Walter
Walter BenjaminBenjamin, Walter (geb. 1892) war ein deutsch-jüdischer Intellektueller, der bis zu seinem Tod auf der Flucht vor den Nationalsozialisten im Jahr 1940 zu einer Vielzahl von Themen gearbeitet hat. Im Deutschland der Nachkriegszeit hat man seinem Werk vor allem in den Kultur- und Sprachwissenschaften Aufmerksamkeit geschenkt. Als Denker des Politischen oder als Rechtstheoretiker wird er erst in jüngerer Zeit wahrgenommen. Dies liegt auch daran, dass er sich in den wenigsten Texten explizit mit dem Recht auseinandersetzt und sich viele Gedanken zu dem Thema nur verstreut in anderen Texten finden. BenjaminBenjamin, Walter hat in diesem Sinne keine kohärente Rechtstheorie vorgelegt. Darüber hinaus ist das theoretische Gedankenfeld, auf dem sich Benjamin erklärtermaßen bewegt, durchaus eklektisch. In seinen Texten finden sich sowohl Denkfiguren aus der jüdischen Theologie als auch aus dem Marxismus. Mit BenjaminBenjamin, Walter zu denken erfordert daher die Bereitschaft sich zumindest zeitweise auf diese Welten einzulassen.
In seinem Aufsatz Zur Kritik der Gewalt analysiert BenjaminBenjamin, Walter die Gewaltförmigkeit des modernen Rechts. Kritik der Gewalt bedeutet bei Benjamin keine negative Beurteilung – also Verurteilung – von Gewalt, sondern den Versuch das Wesen der Gewalt, und ihr Verhältnis zum Recht, zu erfassen[271]. BenjaminBenjamin, Walter stellt zunächst fest, dass der Rechtspositivismus hierzu keinen Beitrag leistet, denn er unterscheidet lediglich zwischen sanktionierter (erlaubter) und nicht sanktionierter (verbotener) Gewalt, gibt aber keine Auskunft darüber, warum diese Unterscheidung überhaupt möglich ist. Eine positive, also gesetzte, Rechtsordnung könne nicht aus sich heraus begründen, anhand welcher Kriterien diese Linie zwischen erlaubter und nicht erlaubter Gewalt jeweils gezogen werde.
Um zu beantworten, warum