Ius Publicum Europaeum. Martin Loughlin
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Schließlich macht es die Rechtsschutzzentrierung des Verwaltungsrechts unmöglich, den Beitrag zu erkennen und dogmatisch einzuordnen, den die Rechtsprechung für die Gewährleistung des Gesetzmäßigkeitsprinzips leistet. Für die mit der Eröffnung gerichtlichen Rechtsschutzes verbundene demokratiespezifische Ventil- und Kompensationsfunktion, für den nicht unerheblichen Beitrag der Rechtsprechung zur demokratischen Legitimationsvermittlung staatlicher Entscheidungen, fehlen dem deutschen öffentlichen Recht insoweit die Antennen.[278]
Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 42 Staat, Verwaltung und Verwaltungsrecht: Deutschland › V. Der Begriff des Verwaltungsrechts
V. Der Begriff des Verwaltungsrechts
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Die juristische Konstruktion der Wirklichkeit erfolgt maßgeblich über das Definieren von Begriffen, gerade in der deutschen Tradition, zu der die Begriffsjurisprudenz einen fundamentalen Beitrag geliefert hat. Gemeinsam mit den Aufbauschemata bilden zentrale Definitionen das Unverzichtbare, um die Staatsexamina zu bestehen; sie formen also den harten Kern der juristischen Bildung, auf dem weitere Kenntnisse und Fähigkeiten aufsetzen. Sie sind sozusagen das gemeinsame „Betriebsprogramm“ aller deutschen Juristen als Moment ihrer kollektiven Identität. Somit verspricht eine Analyse des Begriffs des Verwaltungsrechts eine Quintessenz dieses Rechtsgebiets.
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Dem Verwaltungsrecht ist eine ganz besondere Definition zu Eigen, denn es ist nach herrschendem Verständnis durch seine Definitionslosigkeit definiert.[279] Es ist Teil des kollektiven Wissens deutscher Juristen, für viele vielleicht gar das einzige bekannte Grundlagenproblem des Verwaltungsrechts, dass es mangels einer positiven Definition der Verwaltung keine entsprechende Definition des Verwaltungsrechts gibt. In den beiden erfolgreichsten deutschen Lehrbüchern heißt es: „Von jeher ist die Verwaltungsrechtswissenschaft um eine Definition ihres Gegenstands, der Verwaltung, verlegen“; es liege „in der Eigenart der Verwaltung begründet, daß sie sich zwar beschreiben, aber nicht definieren läßt“,[280] eine Aussage, der Hartmut Maurer sich anschließt.[281] Rainer Wahl führt die Definitionslosigkeit des Verwaltungsrechts auf die Unmöglichkeit einer vollständigen Staatsaufgabenlehre zurück und hält abschließend fest: „Demzufolge ist Verwaltungsrecht das Recht einer großen Fülle von inhaltlich unterschiedlichen Aufgaben.“[282]
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In dieser Definition mittels Definitionslosigkeit scheint die metaphysische Tiefe des deutschen Staats- und Verwaltungsverständnisses auf. Konkretere Anhaltspunkte finden sich im positiven Recht. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Begriff des Verwaltungsrechts positivrechtlich unbedeutend ist. Der Gesetzgeber geht von der summa divisio des deutschen Rechts in Bürgerliches Recht, Strafrecht, und Öffentliches[283] Recht aus (§ 5a Abs. 2 des Deutschen Richtergesetzes);[284] das in jener Norm selbständig und zusätzlich erwähnte Verfahrensrecht wird gemeinhin dem öffentlichen Recht zugeordnet. Der Begriff Verwaltungsrecht findet sich, anders als etwa im französischen oder spanischen Recht,[285] nur an nachgeordneter Stelle als Teil des öffentlichen Rechts, etwa in den Verordnungen über die Juristenausbildung zwecks Beschreibung des Prüfungsstoffes. Da diese gesetzlichen Vorgaben auf dem Entwicklungspfad des deutschen Verwaltungsrechts aufruhen und zudem die universitäre Lehre und die entsprechende wissenschaftliche Lehrbuchproduktion ausrichten, kann man davon ausgehen, dass sie ein gutes Verständnis davon vermitteln, was zumindest den Kern dieses Rechtsgebiets ausmacht. § 8 Ziff. 9 der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung 2002 Baden-Württemberg etwa bestimmt als Gegenstand des Verwaltungsrechts: „Allgemeines Verwaltungsrecht und allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht (verfassungsrechtliche Grundlagen, Rechtsquellen und Normen des Verwaltungsrechts, Handlungsformen der Verwaltung, Teile I bis IV des Verwaltungsverfahrensgesetzes) ohne besondere Verwaltungsverfahren, Verwaltungsvollstreckungsrecht, Staatshaftungsrecht; aus dem Besonderen Verwaltungsrecht: Polizeirecht, Baurecht (Recht der Bauleitplanung, Zulässigkeit von Bauvorhaben, bauaufsichtsrechtliche Instrumentarien), Kommunalrecht (ohne Kommunalwahlrecht und Kommunalabgabenrecht).“ Weiter gelten, wie sich in der Schwerpunktausbildung zeigt, als verwaltungsrechtliche Materien das öffentliche Wirtschaftsrecht, das Umweltschutzrecht, das Recht des öffentlichen Dienstes sowie das Straßen- und Wegerecht als Kernmaterien.[286] Das Prozessrecht wird, entsprechend der Vorgabe des Deutschen Richtergesetzes, als eigenes Fach geführt, so dass § 8 der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung 2002 Baden-Württemberg in einer eigenen Ziff. 10 verlangt: „aus dem Verwaltungsprozessrecht im Überblick: Verfahrensgrundsätze, Prozessvoraussetzungen, Klagearten (einschließlich Normenkontrolle), Arten und Wirkungen von gerichtlichen Entscheidungen, vorläufiger Rechtsschutz“. Dies sind die Materien, die ein deutscher Jurist mit dem Begriff „Verwaltungsrecht“ assoziiert. Das Sozialrecht und das Steuerrecht, wenngleich durch einen gewaltigen Verwaltungsapparat angewandt, stehen allenfalls am Rande dieses Verständnisses; ihr Eigenleben zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ihnen zwei eigene Gerichtszweige zugeordnet sind.[287]
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In vergleichender Perspektive ist an dieser Stelle festzuhalten, dass der deutsche Begriff des Verwaltungsrechts nicht, wie etwa nach der britischen „Red Light Theory“, auf das Recht beschränkt ist, das gegen die Verwaltung schützt.[288] Es ist nicht allein das Recht des gerichtlichen Rechtsschutzes, sondern immer schon das Recht staatlicher Regelung und Steuerung gewesen, auch wenn der Steuerungsaspekt oft weniger betont wurde. Es umfasst aber stets solche Normbestände, die nach europäischem Recht als Politiken bezeichnet werden, also auf Steuerung ausgerichtet sind.[289] Entsprechend unterscheidet man im deutschen Verwaltungsrecht zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Verwaltungsrecht. Andere Traditionen bezeichnen hingegen nur diejenigen Normbestände, die das deutsche Verständnis dem Allgemeinen Verwaltungsrecht zuordnen, als Verwaltungsrecht, und adressieren Bereiche wie das Polizeirecht, Baurecht oder Umweltrecht als eigenständige Gebiete.
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§ 5a des Deutschen Richtergesetzes bestimmt das Verwaltungsrecht als Teil des Öffentlichen Rechts; der andere Teil ist, neben dem Prozessrecht, das Verfassungsrecht. Deutlich scheint hierin der Entwicklungspfad des deutschen Verwaltungsrechts auf, insbesondere seine Konstitutionalisierung ab 1949.[290] Ein Verwaltungsrecht ohne verfassungsrechtliche Grundierung, Durchdringung und Ausrichtung ist positiv-rechtlich nicht mehr denkbar.[291] Dies hat zur Folge, dass die Unterscheidung von Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht rechtspraktisch problematisch ist.[292] Natürlich kann man rechtsquellentheoretisch auf den Rangunterschied und den Vorrang der Verfassung abstellen, doch dieses Kriterium hilft bei dem praktischen Schlüsselproblem, der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit angesichts der Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts, nicht weiter. Die Verschleifung der beiden Bereiche zeigt sich daran, dass es auf die rechtsquellentheoretische Differenz nicht ankommt.
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