Kapitalmarktrecht. Petra Buck-Heeb
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Eine Europäisierung des Kapitalmarktrechts erfolgt zunehmend durch unmittelbar im nationalen Recht geltende EU-Verordnungen[54]. So wurden inzwischen etwa wesentliche Teile des umgesetzten WpHG in die MarktmissbrauchsVO (MAR) „transferiert“[55]. Insofern wird inzwischen von vielen die MAR (und nicht mehr das WpHG) als „Grundgesetz“ des Kapitalmarktrechts gesehen[56]. Ebenso verhält es sich zB mit dem richtlinienbasierten WpPG, das nun weitgehend durch die EU-ProspektVO abgelöst ist[57]. Die nationalen Gesetze umfassen daher in vielen Teilen lediglich noch die Verordnung ergänzende Verwaltungsregelungen.
b) Auslegung
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Bei der Auslegung nationaler Regelungen ist zwischen angeglichenen Normen und originär deutschen Regelungen zu unterscheiden. Handelt es sich bei einer kapitalmarktrechtlichen Vorschrift um originär deutsches Recht (zB in den §§ 85, 99 ff WpHG), so finden die herkömmlichen Auslegungsregeln Anwendung, dh es ist auf den Wortlaut, die Gesetzessystematik sowie den Sinn und Zweck der Regelung abzustellen. Daneben besitzt die am Willen des Gesetzgebers orientierte historische Auslegung Bedeutung[58].
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Bei angeglichenem deutschen Recht sind die dort enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe richtlinienkonform auszulegen[59]. Das bedeutet, dass die Gerichte das nationale Recht soweit wie möglich im Lichte des Wortlauts der Richtlinie und des Richtlinienzwecks auszulegen haben[60]. Ausgelegt wird auf der Grundlage der Überlegung, dass der Gesetzgeber dem Richtlinienzweck voll gerecht werden und nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben wollte[61]. Allerdings zwingt das EU-Recht nicht zu einer Auslegung der nationalen Regelungen contra legem[62]. Nach der Rechtsprechung des BVerfG müssen die Gerichte der Auslegung einer Richtlinie durch den EuGH im Vorlageverfahren (Art. 267 AEUV) folgen[63].
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Umstritten ist, ob der richtlinienkonformen Auslegung Vorrang vor den Auslegungsmethoden des nationalen Rechts zukommt[64] oder ob sie als eine weitere Auslegungsmethode neben den herkömmlichen Methoden steht[65] bzw die bisherigen Auslegungsformen partiell überlagert[66]. Teilweise wird im Schrifttum davon ausgegangen, dass trotz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und trotz der Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue ein Residuum für die nationalen Auslegungsmethoden verbleibt. Diese sollen hauptsächlich der Fortbildung transformierten Rechts Grenzen setzen[67]. Die hM sieht im möglichen Wortsinn eine Grenze richtlinienkonformer Auslegung, die nicht überschritten werden kann[68].
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Zunehmend deutlich wird, dass eine Auslegung der Verordnungen (Level 1) Schwierigkeiten aufwerfen kann[69]. So fragt sich etwa, welche Entwurfsfassung bei der Ermittlung des gesetzgeberischen Willens heranzuziehen ist[70]. Immer mehr macht der EU-Gesetzgeber zudem von einem Verweis auf sog. Delegierter Rechtsakte Gebrauch, bei denen der Kommission die Befugnis übertragen wird, bestimmte Punkte, insbesondere technische Einzelheiten, zu regeln (Level 2)[71].
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Bei der Auslegung sind auch die Empfehlungen, Hinweise und Leitlinien der ESMA[72] zu berücksichtigen (Level 3). Auch wenn diese rechtlich unverbindlich sind, haben sie faktisch großen Einfluss, da sich die ESMA iS einer Selbstbindung der Verwaltung grds nach diesen richtet[73], ihnen also norminterpretierender Charakter zukommt[74]. Die Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten (in Deutschland die BaFin) haben innerhalb einer Frist mitzuteilen, ob sie der jeweiligen Auffassung folgen[75]. Insofern haben die zuständigen Behörden und ggf die Marktteilnehmer „alle erforderlichen Anstrengungen“ zu unternehmen, um den Leitlinien und Empfehlungen nachzukommen[76]. Außerdem sind im Einzelfall die Questions and Answers (Q&A) der ESMA[77] sowie die FAQ (Häufig gestellte Fragen) der BaFin zu berücksichtigen.
3. Internationales Recht
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Auch internationales Recht kann Rechtsquelle für das deutsche Kapitalmarktrecht sein[78]. So sind inzwischen die (privaten) Regeln des internationalen Rechnungslegungsrechts, die IAS (International Accounting Standards) bzw die IFRS (International Financial Reporting Standards) von der EU mit der EU-Verordnung betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards[79] übernommen worden. Sie sind damit unmittelbar anwendbares Recht. Die US-amerikanischen Rechnungslegungsregeln, die US-GAAP (Generally Accepted Accounting Principles), sind dagegen für das deutsche Kapitalmarktrecht grds nicht relevant.
4. Private Regelungen und Richterrecht
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Regelungen im Rahmen der privaten Selbstregulierung können ebenfalls eine Rechtsquelle des Kapitalmarktrechts darstellen.
Beispiele:
Die Geschäftsbedingungen der Börsen, die AGB-Banken, AGB-Sparkassen, die Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte bzw für Termingeschäfte sowie auf internationaler Ebene letztendlich auch die IFRS.
Ob das Richterrecht ebenfalls als Rechtsquelle angesehen werden kann, ist umstritten. Fasst man den Begriff der Rechtsquelle weit und bezieht das Richterrecht ein, kam diesem im Kapitalmarktrecht in der Vergangenheit v.a. in Bezug auf den grauen Kapitalmarkt und den dazu entwickelten individuellen Anlegerschutz durch eine zivilrechtliche Prospekthaftung[80] Bedeutung zu.
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Schaubild: Rechtsgrundlagen im Kapitalmarktrecht
IV. Kapitalmarktrecht zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht/Strafrecht
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In den kapitalmarktrechtlichen Gesetzen finden sich häufig sowohl Normen mit öffentlich-rechtlichem (aufsichtsrechtlichem) Charakter als auch solche, die strafrechtlicher oder zivilrechtlicher Natur sind. Während die Zuordnung einer Regelung zu einer dieser „Gruppen“ teilweise unproblematisch möglich ist (zB das Insiderhandelsverbot des Art. 14 MAR als strafrechtliche Norm), ist deren Charakter bei anderen Bestimmungen streitig[81]. Ist die Abgrenzung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht schon im Allgemeinen umstritten[82], so erlangt dies im Kapitalmarktrecht aufgrund des „Normenmixes“ besondere Bedeutung. Die Rechtsprechung hat sich bislang keiner der zahlreichen Abgrenzungstheorien angeschlossen, sondern hebt auf die jeweilige Sachverhaltsgestaltung ab.
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Eine öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Doppelnatur der Normen ist jedenfalls abzulehnen[83]. Eine Abgrenzung der privatrechtlichen von den öffentlich-rechtlichen bzw strafrechtlichen Normen des Kapitalmarktrechts ist aus zahlreichen Gründen relevant. Ist eine kapitalmarktrechtliche Regelung als öffentlich-rechtlich einzustufen, kann sie etwa, anders als privatrechtliche Bestimmungen, als zwingendes Recht nicht rechtsgeschäftlich abbedungen werden[84]. Die Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht spielt auch für die Frage nach dem Rechtsweg (ordentliches Gericht oder Verwaltungsgericht) eine Rolle.
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