Kommunalrecht Bayern. Tobias Weber
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kommunalrecht Bayern - Tobias Weber страница 29
VI. Übungsfall Nr. 2
122
„Kampfhund – Allein unterwegs“
Am Sonntag, dem 23.6.2019, begegnet der erste Bürgermeister A der kreisangehörigen Gemeinde B (1000 Einwohner) nach seinem allwöchentlichen Kirchgang am Marktplatz seiner Gemeinde einem frei umher laufenden Kampfhund der Rasse „American Staffordshire Terrier“. Da A sich sicher ist, dass es sich um ein Tier dieser Rasse handelt und er weiß, dass der Hund dem C gehört, begibt sich der erste Bürgermeister eiligst zum Haus des C und erlässt einen sofortigen Maulkorb- und Leinenzwang für den Kampfhund außerhalb des Besitztums des C und verfügt hierfür mit gleich lautendem schriftlichem Bescheid vom 24.6.2019 den Sofortvollzug. Den Sofortvollzug begründet der erste Bürgermeister mit der Gefährdung der Allgemeinheit durch den frei laufenden Hund.
C will gegen diese Verfügung gerichtlich vorgehen. Bereits am 27.6.2019 sucht er einen befreundeten Rechtsanwalt auf und bittet um ein schnellstmögliches Vorgehen gegen die Entscheidung des ersten Bürgermeisters. C trägt vor, dass der erste Bürgermeister gar nicht zuständig gewesen sei, eine solche Entscheidung zu treffen. Auch sei er vor Erlass der Entscheidung nicht angehört worden. Auch bestünde keine Rechtsgrundlage für die Anordnung, zumal er ein Gutachten eines befreundeten Veterinärs besitze, das bescheinige, dass sein Hund gutmütig sei.
Beurteilen Sie die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Antrags.
123
Lösung
Vorüberlegung
Da die Verfügung des ersten Bürgermeisters A mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) versehen wurde, ist es sachgerecht, gerichtlichen Rechtsschutz über ein Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes zu suchen. Ein solcher müsste zulässig und begründet sein.
I. Entscheidungskompetenz des Gerichts
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO analog. Zunächst müsste für die Streitsache der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Da der einstweilige Rechtsschutz akzessorisch zur jeweiligen Hauptsache ist, muss an dieser Stelle auf die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges in der Hauptsache abgestellt werden. In der Hauptsache beurteilt sich der Rechtsstreit maßgeblich nach den Normen des LStVG, so dass Normen streitgegenständlich sind, die ausschließlich einen Hoheitsträger berechtigen bzw. verpflichten (Sonderrechtstheorie). Auch ist die Streitigkeit mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit nicht verfassungsrechtlicher Art, da keine unmittelbar an der Verfassung beteiligten Stellen über Verfassungsrecht streiten.
2. Zuständigkeit des Gerichts
Die Zuständigkeit des Gerichts beurteilt sich nach §§ 45, 52 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 AGVwGO. Zuständig ist das jeweilige Gericht der Hauptsache.
II. Zulässigkeit eines Antrages auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
1. Statthaftigkeit des Antrags
Da die VwGO zwei Formen einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung stellt – zum einen das Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, zum anderen das Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO – ist an dieser Stelle eine Abgrenzung vorzunehmen. Abgrenzungsnorm ist hierbei die Bestimmung des § 123 Abs. 5 VwGO. Diese bestimmt, dass der einstweilige Rechtsschutz nicht im Verfahren nach § 123 VwGO zu gewähren ist, soweit die §§ 80, 80a VwGO einschlägig sind. Das Gesetz geht damit vom Vorrang der §§ 80, 80a VwGO aus. §§ 80, 80a VwGO sind wiederum nur dann einschlägig, wenn in der Hauptsache Rechtschutz über Anfechtungswiderspruch bzw. Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zu gewähren ist. Die Abgrenzung der beiden Arten einstweiligen Rechtsschutzes hat demnach nach Maßgabe des in der Hauptsache gebotenen Rechtsschutzes zu erfolgen. Da Klageziel des C vorliegend in der Hauptsache die Aufhebung (Kassation) der Verfügung des ersten Bürgermeisters sein wird, ist der einstweilige Rechtsschutz im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verfolgen. § 80a VwGO ist nicht einschlägig, da lediglich ein Zwei-Personenverhältnis (Gemeinde – Bürger C) betroffen ist.
Weiter ist für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich, dass die an sich nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende aufschiebende Wirkung von Anfechtungswiderspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 2 VwGO entfallen ist. Der angegriffene Verwaltungsakt muss daher kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 1–3 VwGO) bzw. kraft behördlicher Anordnung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) sofort vollziehbar sein. Hier wurde von Seiten des ersten Bürgermeisters der Sofortvollzug, § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für Leinen- und Maulkorbzwang ausgesprochen. C muss daher einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage stellen.
2. Antragsbefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog
C müsste antragsbefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO sein. Da C in der Hauptsache Adressat einer ihn als Hundehalter betreffenden Maßnahme ist, kann er sich zumindest auf die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG berufen (Adressatentheorie).
3. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
a) Zunächst stellt sich die Frage, ob es vor gerichtlicher Geltendmachung der Einlegung eines vorherigen Rechtsbehelfs in der Hauptsache bedarf. Rechtsbehelf in der Hauptsache wäre vorliegend eine noch zu erhebende Anfechtungsklage gegen die gemeindliche Verfügung. Insoweit würde ein Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 VwGO in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2, Abs. 3 AGVwGO entfallen. Nun bestimmt aber § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO, dass der Antrag (nach § 80 Abs. 5 VwGO) schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig ist. Daher kann C bereits vor Erhebung seiner Klage im Hauptsacheverfahren um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen.
b) Allerdings darf der in der Hauptsache zu erhebende Rechtsbehelf nicht offensichtlich unzulässig sein. Hier ist in erster Linie auf eine mögliche Verfristung der Klage in der Hauptsache, § 74 Abs. 1 VwGO, einzugehen. Da die Verfügung des ersten Bürgermeisters jedoch mündlich und damit ohne Rechtsbehelfsbelehrung ausgesprochen wurde, gilt für C ohnehin die Jahresfrist aus § 58 Abs. 2 VwGO. Diese kann vorliegend problemlos gewahrt werden.
c) Ebenfalls nicht erforderlich ist die Durchführung eines behördlichen Vorverfahrens vor gerichtlicher Inanspruchnahme, § 80 Abs. 4 VwGO. Aus § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO im Gegenschluss ergibt sich, dass der behördliche Vorantrag nur in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (öffentliche Abgaben und Kosten) zwingend zu verlangen ist. In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Sofortvollzug kraft behördlicher Anordnung) ist ein vorheriger Antrag an die Ausgangsbehörde entbehrlich.
4. Zwischenergebnis
Ein Antrag im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage ist zulässig.
III. Begründetheit eines Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden