Handbuch des Strafrechts. Группа авторов
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2. Schuldfähigkeit
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Die „Gretchenfrage“ des Verbandsstrafrechts bildet die seit langem sehr kontrovers geführte Diskussion um die Schuldfähigkeit von Verbänden, die an die Frage der Handlungsfähigkeit anschließt. Im deutschen Recht setzt Strafe stets Schuld voraus. Nach dem BVerfG beherrscht der Schuldgrundsatz den gesamten Bereich staatlichen Strafens und hat Verfassungsrang: „Er ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert“.[199] Infolge der Verankerung in der Menschenwürdegarantie gehört er zur unverfügbaren Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) und ist damit auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt.[200]
a) Schuldgelöstes Strafrecht
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Im Hinblick auf die fundamentale Bedeutung des Schuldgrundsatzes müssen alle Versuche, ihn auszuhebeln, scheitern. Das gilt etwa für den früher von Schünemann[201] verfochtenen Ansatz, wonach die Verletzung des Schuldgrundsatzes kein Hindernis darstelle, wenn ein Rechtsgüternotstand vorliege, der aus einer dem Notstand vergleichbaren „Schwächung effizienter Prävention“ im Bereich der Unternehmenskriminalität resultiere; das Verschulden sei – sofern der Rechtsgüterschutz schwerer wiege als die Einbuße durch die Sanktion – durch ein „überwiegendes öffentliches Interesse“ an der Bestrafung ersetzbar. Abgesehen davon, dass eine prozessuale Beweisnot nicht die Schaffung materieller Sanktionen rechtfertigt,[202] würde dadurch das Strafrecht zu einem Haftungsrecht „denaturiert“.[203] Durchgreifenden Bedenken begegnet auch der Ansatz von Otto,[204] der Verbandssanktionen (nur) als wirtschaftsaufsichtsrechtliche Maßnahmen bewerten und damit dem Anwendungsbereich des Schuldgrundsatzes entziehen, die Maßnahmen aber zugleich als „repressiv orientierte Präventionsmittel“ begreifen möchte, vergleichbar mit „Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO“. Bereits im Bertelsmann-Lesering-Beschluss von 1966 hatte das BVerfG entschieden, dass der Schuldgrundsatz auch für die „strafähnliche Sanktion“ des § 890 ZPO gilt.[205]
b) Schuld = nur Individualschuld
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Traditionell[206] wird davon ausgegangen, dass Verbände nicht schuldfähig sind. Nur gegenüber Menschen könne der Vorwurf sozialethischen Versagens erhoben werden, nur der Mensch könne sich aus freier und verantwortlicher Selbstbestimmung heraus für das Recht und gegen das Unrecht entscheiden, verfüge über eine „natürliche“ Schuldfähigkeit. Auf juristische Konstrukte sei der Schuldbegriff „schlechthin unübertragbar“.[207]
aa) Verschulden der Mitglieder
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Der bereits bei der Handlungsfähigkeit dargestellte ältere Ansatz (Rn. 57) ging nicht nur davon aus, dass ein Verband durch seine Mitglieder „selbst“ handelt, sondern dass das schuldhafte Handeln der Mitglieder auch das Verschulden begründet,[208] der Verband also deshalb über eine „natürliche“ Schuldfähigkeit verfügt. Hiergegen wurde aber bereits früh zu Recht eingewandt, dass dies auf die pauschale Bestrafung aller Mitglieder unter einer Kollektivbezeichnung, also eine „Kollektivstrafe“, hinausläuft, was gegen den Grundsatz verstößt, dass jeder nach seiner eigenen Schuld zu bestrafen ist[209] (siehe heute § 29 StGB).
bb) Originäres Organisationsverschulden
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Der modernere Ansatz (Rn. 58) nimmt dagegen an, dass nicht nur ein „eigenes“ Handeln des Verbands vorliegt, sondern ihm ebenso ein „originäres“ Organisationsverschulden vorgeworfen werden kann.[210] Tiedemann[211] führt an, Schuld könne nicht nur „sozial-ethisch“, sondern auch als „soziale“ Schuld begriffen werden, die Verbandsschuld müsse daher nicht im gleichen Sinne verstanden werden wie die Individualschuld. Dannecker[212] hebt – i.S.d. Theorie der realen Verbandspersönlichkeit – hervor, Unternehmen seien „eigenständige soziale Subjekte“, hätten eine „corporate culture“, da die Ziele und Eigenschaften eines Unternehmens mehr als die Summe und Ziele der Eigenschaften der einzelnen Mitglieder seien. Aus der gesteigerten Bedeutung, die Verbände im sozialen Leben haben, wird geschlossen, ihnen obliege eine gesteigerte „soziale“ Verantwortung, sie müssten deliktischem Verhalten durch Kontrollmechanismen entgegenwirken. Werde zu einem deliktischen Verhalten animiert oder dieses unterstützt, sei diese „kriminelle Verbandsattitüde“[213] oder „kriminogene Unternehmensphilosophie“[214] Ausdruck des Versagens der Kontrollmechanismen. Teilweise wird in Anlehnung an die Systemtheorie angeführt, der Verband sei ein „autopoietisches System“, die Unternehmensschuld „ein durch die Unternehmenskultur zum Ausdruck gebrachtes Manko an Rechtstreue“,[215] ein „qualifizierter Fehlgebrauch der Freiheit zur Selbstregulierung“[216]. Heine[217] ging von einer „Betriebsführungsschuld“ aus, die auf gravierende Organisationsmängel zurückzuführen sei und eine „funktions-analoge Übertragung“ der Bausteine des Individualstrafrechts darstelle.
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Die Möglichkeit der Exkulpation durch den Nachweis hinreichender Organisation wird dem Verband z.T. als „Gebot der Gerechtigkeit“[218] zugestanden, häufig jedoch verwehrt. So führt Tiedemann[219] an, eine Freizeichnung scheide aus, da das Organisationsverschulden weder auf Zufall beruhe noch unabwendbar sei; auch beim Vollrausch und der actio libera in causa seien die eigentlich schädlichen Taten durch ein „vorwerfbares Vorverschulden“ veranlasst. Für Ehrhardt[220] wird in jeder Tat die „fehlende Neutralisierung kriminogener Einflüsse“ sichtbar. Lampe[221]
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Schließlich soll der Menschenwürdegehalt des Schuldgrundsatzes einem „originären“ Organisationsverschulden nicht entgegenstehen, da juristischen Personen die Menschenwürdegarantie unstreitig nicht zukommt, womit die Verbands- bzw. Unternehmensschuld nicht aus der Menschenwürde, sondern nur aus den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen an eine gerechte Strafe