Handbuch des Strafrechts. Группа авторов
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4. Doppelbestrafung
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Nach der traditionellen Auffassung[271] kann die Verbandsstrafe eine unzulässige Doppelbestrafung darstellen und damit gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ (Art. 103 Abs. 3 GG) verstoßen. Eine Leitungsperson könne sowohl durch die Individual- als auch durch die Verbandsstrafe beschwert sein. Offensichtlich sei dies nicht nur bei der Einmann-GmbH, sondern auch bei Familienunternehmen. Zudem könne es bei einer wirtschaftlichen bzw. rechtlichen Verflechtung zu einem Nebeneinander der Strafbarkeit mehrerer Verbände kommen.[272]
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Die Gegenauffassung[273] verneint mit Recht eine Doppelbestrafung, da die Leitungsperson und der Verband jeweils eigene Rechtspersönlichkeiten haben und der Grundsatz „ne bis in idem“ es nicht verbietet, gegen verschiedene Personen Sanktionen bzw. gegen eine Person mehrere Sanktionen auszusprechen. Dasselbe gilt im Verhältnis mehrerer Verbände zueinander. Daher muss es zulässig sein, neben einer Individual- eine Verbandsstrafe zu verhängen bzw. gegen zwei Verbände jeweils eine Verbandsstrafe. Im Übrigen besteht diese Problematik bereits bei § 30 OWiG. Wenn die natürliche und die juristische Person wirtschaftlich gesehen weitgehend oder völlig identisch sind, ist dieser besonderen Konstellation im Rahmen des Opportunitätsprinzips oder bei der Rechtsfolgenbemessung durch die Abstimmung der Sanktionen Rechnung zu tragen.[274] Entsprechend kann in einem Verbandsstrafrecht durch prozessuale Regelungen bzw. bei der Strafzumessung sichergestellt werden, dass im Ergebnis keine Doppelbestrafung stattfindet.[275]
5. Kollektivbestrafung
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Schließlich bewertet die traditionelle Auffassung[276] die Anordnung einer Verbandsstrafe als Mitbestrafung Unschuldiger und damit als Verstoß gegen den Schuldgrundsatz. Die Verbandsstrafe treffe alle Menschen, die dem Verband angehören, und sei deshalb eine Kollektivstrafe. Die Mitbestrafung der Verbandsangehörigen sei gerade keine unerwünschte, sondern eine „überaus erwünschte“ Folge, da sie veranlasst werden sollen, Veränderungen vorzunehmen.[277] Hinzu komme, dass ein Einzelner i.d.R. keine Möglichkeit der Einflussnahme habe.[278] Und schließlich bestimme sich das Maß der Mitbestrafung eines Anteilseigners nach seiner finanziellen Beteiligung und nicht nach seiner persönlichen Verantwortung für die Tat.[279]
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Die Gegenauffassung[280] hält dem zu Recht entgegen, dass allein dem Verband ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht wird. Die Menschen, die dem Verband angehören, sind weder angeklagt noch wird gegen sie eine Strafe ausgesprochen noch sind sie im Fall einer Verurteilung vorbestraft. Daher liegt keine „Mitbestrafung“, sondern nur ein „Mitbetroffensein“ vor. Wenn Anteilseigner Einbußen hinnehmen müssen oder Mitarbeiter den Arbeitsplatz verlieren, sind dies lediglich mittelbare Wirkungen. Auch von Individualstrafen sind i.d.R. Menschen mitbetroffen, zu denen enge familiäre und persönliche Bindungen bestehen.[281] Die Verbandsstrafe trifft dagegen eine freiwillig eingegangene „Risikogemeinschaft“, bei der die Mitglieder nicht nur die Vorteile, sondern ebenso die Nachteile tragen müssen.[282] Das ist zulässig und hält sich auch bei Unternehmen im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG),[283] da die Anteilseigner diejenigen sind, die den Betrieb veranlasst haben und sich die Verbandsstrafe nur als Schmälerung ihrer Gewinnerwartungen darstellt. Es handelt sich also nicht um eine „Kollektivstrafe“, sondern allenfalls um eine „Kollektivhaftung“.[284] Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur die Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG finanziell vergleichbare Auswirkungen hat, sondern bereits heute deutsche Aktionäre durch ausländische Verbandsstrafen mitbetroffen sind.[285]
II. Rechts- und kriminalpolitische Aspekte
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Äußerst umstritten ist, ob für die Einführung eines Verbandsstrafrechts ein rechts- und kriminalpolitisches Bedürfnis besteht. Während dies traditionell[286] verneint wird, fordert die Gegenauffassung[287] schon seit langem ein Verbandsstrafrecht. Die komplexe Diskussion wird unter vielen Aspekten geführt:
1. Internationales und europäisches Recht
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Einigkeit[288] besteht, dass die Einführung eines Verbandsstrafrechts nach den Vorgaben des internationalen und europäischen Rechts nicht verpflichtend ist. Vorschriften zur Verantwortlichkeit juristischer Personen gehören heute zwar zum „Standardrepertoire“,[289] jedoch sind stets nichtstrafrechtliche Lösungen zulässig. Hierin spiegelt sich wider, dass zahlreiche Rechtsordnungen die Strafbarkeit juristischer Personen früher nicht vorsahen und trotz des Trends in den Auslandsrechten zur Einführung von Verbands- bzw. Unternehmensstrafrechten (Rn. 92) eine derartige rechtliche Verpflichtung bislang nicht konsensfähig ist.
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Auf der internationalen Ebene lassen es das „Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“ vom 15. November 2000 und das „Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption“ vom 31. Oktober 2003 ausreichen, dass die Verantwortlichkeit juristischer Personen „strafrechtlicher, zivilrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher Art“ ist (Art. 10 Abs. 2 bzw. Art. 26 Abs. 2). Offen bleibt hierbei zudem, an wessen Straftaten angeknüpft wird (Art. 10 Abs. 1: „Teilnahme“, „Begehung“ durch die juristische Person; Art. 26 Abs. 1: „Beteiligung“). Ebenso genügen nach den Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) vom Februar 2012[290] straf-, zivil- oder verwaltungsrechtliche Sanktionen (Nr. 35). Nach dem „Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr“ der OECD vom 17. Dezember 1997 ist dagegen weitergehend sicherzustellen, dass juristische Personen – sofern sie in einer Rechtsordnung nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können – „wirksamen, angemessenen und abschreckenden nichtstrafrechtlichen Sanktionen einschließlich Geldsanktionen“ unterliegen (Art. 3 Abs. 2).
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Der Europarat appellierte in seiner „Empfehlung Nr. R (88) 18“ vom 20. Oktober 1988[291] zwar an die Mitgliedstaaten, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen vorzusehen, hob aber zugleich hervor, dies sei nicht das einzige Mittel. Das