Handbuch des Strafrechts. Группа авторов
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Zweitens kann wegen der Verletzung strafbewehrter Pflichten auch gegenüber Verbänden ein sozialethischer Schuldvorwurf erhoben werden. So hat Hirsch[245] darauf aufmerksam gemacht, dass in der „sozialen Wirklichkeit“ von der „Schuld“ eines Unternehmens gesprochen und damit ein sozialethischer Vorwurf erhoben wird. Hinzuweisen ist weiter darauf, dass der BGH bereits 1954[246] die Beleidigungsfähigkeit juristischer Personen anerkannt hat; zuvor war diese vereint worden, weil die Ehre allein auf den sittlichen Wert des Menschen gegründet sein sollte – ein Argument, das offenbar auch in diesem Bereich nicht mehr überzeugen konnte. Wer aber als Träger einer Ehre einen sozialethischen Wert für sich in Anspruch nehmen kann, dem kann auch bei Vornahme einer Straftat dieser Wert abgesprochen werden.[247] Treffend hat Kubiciel formuliert, dass die Schuldfähigkeit „keine natürliche Eigenschaft, sondern eine (rechts-)kulturelle“ ist: „Sie wird zugeschrieben, wobei sich diese Zuschreibung an sozialen Anschauungen orientiert“; die Gesellschaft habe sich mittlerweile daran gewöhnt, „Unternehmen Verantwortung für betriebsbezogene Straftaten zuzuweisen“.[248]
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Drittens wäre eine Schuldzurechnung weder willkürlich noch ungerecht, sondern ein Gebot der Gerechtigkeit: Wenn ein rechtliches Konstrukt vermittelt durch die Handlungen seiner Leitungspersonen von eröffneten Freiheiten rechtswirksam Gebrauch macht, muss das Konstrukt umgekehrt, wenn die Leitungspersonen diese Freiheit durch schuldhafte Handlungen missbrauchen, ebenso die damit verbundenen negativen Konsequenzen und damit eine Verbandsstrafe tragen.[249] Warum Unternehmen, die etwa als Kapitalgesellschaften verfasst sind, in dieser Hinsicht gegenüber Einzelunternehmern privilegiert sein sollen, ist nicht einsichtig. Den Unternehmen bzw. ihren Anteilseignern und Leitungspersonen mag diese Privilegierung zwar entgegenkommen, sie stellt aber einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil dar. Die durchgängige Beseitigung der Privilegierung juristischer Personen und Personenvereinigungen im Verhältnis zu natürlichen Personen war seinerzeit der Grund für die Einführung der Verbandsgeldbuße (Rn. 21). Diesbezüglich ist ebenso auf die mittlerweile zahlreichen Auslandsrechte hinzuweisen, in denen Unternehmen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können (Rn. 92). Der Einwand, wer ein „qualifiziertes Bild von der Strafe und ihrem Anknüpfungspunkt, der Straftat“ hat, könne die Strafe nicht gegenüber juristischen Personen einsetzen,[250] ist daher umzukehren.
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Viertens ist darauf hinzuweisen, dass die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG der Zurechnung der Schuld eines Menschen an den Verband nicht entgegensteht.[251] Zwar kann ein Verbandsstrafrecht aufgrund der Verankerung des Schuldgrundsatzes in der Menschenwürde nicht an ein nicht existentes „originäres“ Organisationsverschulden des Verbands anknüpfen (Rn. 67). Der normativen Zurechnung der „originären“ Schuld eines Menschen an den Verband steht die Menschenwürdegarantie aber gerade nicht entgegen, da sie wegen des Wesensvorbehaltes des Art. 19 Abs. 3 GG „juristischen Personen“ – worunter auch alle teilrechtsfähigen Personenmehrheiten und Organisationen zu fassen sind[252] – nicht zukommt. Insoweit besteht nur eine Bindung an Art. 2, 12 und 14 GG, wobei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die entscheidende Schranke bildet.[253]
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Fünftens ist festzustellen, dass der Gesetzgeber die Zurechnung der Schuld von Menschen an Verbände sogar partiell bereits normiert hat. Soweit hierfür auf § 31 BGB[254] oder § 25 StGB verwiesen wird, verfängt dies wiederum ebenso wenig wie bei der Frage der Handlungsfähigkeit (Rn. 59). Überzeugend ist erneut der Verweis auf § 30 OWiG,[255] da die Verbandsgeldbuße voraussetzt, dass dem Verband eine „vorwerfbare“ Handlung zur Last fällt (vgl. § 1 Abs. 1 OWiG). Der Schuldgrundsatz gilt jedoch sowohl im Straf- als auch im Ordnungswidrigkeitenrecht (Rn. 26). Der Unterschied, der zwischen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten besteht, rechtfertigt keine abweichende Bewertung: Ordnungswidrigkeiten sind ethisch nicht völlig „wertneutral“, sondern es wird ebenfalls ein – wenn auch schwacher – sozialethischer Vorwurf erhoben.[256]
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Dem Verband wird daher bereits im geltenden Recht das schuldhafte (Straftat) bzw. vorwerfbare (Ordnungswidrigkeit) Verhalten einer Leitungsperson zugerechnet. Wenn aber § 30 OWiG keinen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz begründet, dann verstößt hiergegen auch eine parallel konstruierte strafrechtliche Regelung nicht. Im Übrigen kann auf die Strafvorschrift des § 74e StGB[257] hingewiesen werden, durch die dem Verband ein schuldhaftes Handeln seiner Organe und Vertreter ausdrücklich „zugerechnet“ wird. Schließlich ist erneut das BVerfG im Bertelsmann-Lesering-Beschluss von 1966 zu zitieren: „Wird sie [die juristische Person] für schuldhaftes Handeln im strafrechtlichen Sinne in Anspruch genommen, so kann nur die Schuld der für sie verantwortlich handelnden Personen maßgebend sein.“[258] Diese Aussage wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das BVerfG in einem Beschluss von 1997 angeführt hat, dass die Geldbuße des § 30 OWiG „weder einen Schuldvorwurf noch eine ethische Mißbilligung enthält, sondern einen Ausgleich für die aus der Tat gezogenen Vorteile schaffen soll“.[259] Denn bei § 30 OWiG geht es eben nicht bloß um den Vorteilsausgleich (§ 17 Abs. 4 OWiG), sondern auch um die Ahndung[260] (Rn. 34). In anderer Hinsicht ist der Beschluss ebenfalls kritikwürdig, da er juristischen Personen die Berufung auf den Nemo-tenetur-Grundsatz im Hinblick auf deren fehlende Menschenwürde versagt hat, ohne zu berücksichtigen, dass dieser Grundsatz gleichfalls auf das Rechtsstaatsprinzip, die allgemeine Handlungsfreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Art. 6 Abs. 1 EMRK gestützt werden kann, also Rechte, die auch juristischen Personen zustehen.
3. Straffähigkeit
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Von der traditionellen Auffassung[261] wird die Straffähigkeit von Verbänden bestritten, da diese nicht strafempfänglich und damit nicht straffähig seien. Eine Strafe als sozialethisches Unwerturteil müsse vom Verurteilten als „Übel“ empfunden werden können, um seine Sühne und Resozialisierung zu erreichen und für Genugtuung beim Opfer zu sorgen. Zu menschlichen Empfindungen und Entscheidungen sei ein Verband als „seelenloses Gebilde“ jedoch nicht fähig, so dass die mit einer Strafe verfolgten Strafzwecke nicht erreichbar seien.[262] Prägnant hatte diesen Mangel bereits Lord Chancellor Edward Thurlow (1731–1806) formuliert: „No soul to be damned, no body to be kicked“.[263] Im Übrigen wäre eine Verbandsgeldstrafe im Falle der Uneinbringlichkeit ohnehin nicht durchsetzbar, da die Anordnung einer Ersatzfreiheitsstrafe nicht möglich sei.[264]
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Die Gegenauffassung[265] geht dagegen zu Recht davon aus, dass Verbände strafempfänglich und damit straffähig sind. Denn Verbände sind nicht nur ansprechbar für den mit einer Verbandsstrafe verbundenen finanziellen Eingriff, sondern ebenso für das in der Strafe zum Ausdruck kommende sozialethische Unwerturteil.