Einführung in die Praxis der Strafverteidigung. Olaf Klemke
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bb) Auswechslung des „aufgedrängten“ Pflichtverteidigers
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Unabhängig von dem Fall der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigtem und beigeordnetem Verteidiger ist dem zeitgerecht vorgebrachtem Wunsch des Beschuldigten, den bisher bestellten Pflichtverteidiger durch einen von ihm bezeichneten Verteidiger seines Vertrauens auszuwechseln, stets dann zu entsprechen, wenn der Vorsitzende bei der ursprünglichen Bestellung des Verteidigers das Bezeichnungsrecht des Beschuldigten dadurch verletzt hat, dass er ihn nicht anhörte.[88] Dies gilt auch dann, wenn dem Beschuldigten in einer umfangreichen Strafsache ein Zweitverteidiger zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet worden ist, ohne sein Bezeichnungsrecht zu beachten. Nach der Rspr. des BVerfG bildet der verfassungsrechtliche Rang der Verteidigung durch den Anwalt des Vertrauens den entscheidenden Maßstab für die Auswahl des Pflichtverteidigers. Es macht keinen Unterschied, ob es sich um die Bestellung des Erst- oder Zweitverteidigers handelt.[89]
cc) Beidseitig gewünschter Pflichtverteidigerwechsel
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Entbehrlich ist ein eingehender Vortrag zur Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Mandant nach der Rspr. auch dann, wenn der bisherige Pflichtverteidiger mit seiner Entbindung einverstanden ist und durch die Beiordnung des neuen Verteidigers weder eine Verzögerung des Verfahrens noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden.[90]
Teil 1 Das Mandat des Strafverteidigers › II. Die Pflichtverteidigung › 6. Zeitpunkt der Bestellung – Bestellung im Ermittlungsverfahren
6. Zeitpunkt der Bestellung – Bestellung im Ermittlungsverfahren
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Nach § 141 Abs. 1 StPO wird in Fällen notwendiger Verteidigung dem Angeschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, ein Verteidiger bestellt, sobald er gemäß § 201 StPO zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist, also mit Zustellung der öffentlichen Klage. Der Angeschuldigte ist auch dann nicht verteidigt, wenn sein bisheriger Wahlverteidiger in seinem Namen die Beiordnung beantragt. In diesem Antrag liegt nämlich die stillschweigend erklärte Niederlegung des Mandates für den Fall der Beiordnung.[91] Ergibt sich erst später, dass ein Verteidiger notwendig ist, so wird er „sofort“ bestellt, § 141 StPO.
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Gemäß § 141 Abs. 3 S. 1 StPO kann der Verteidiger auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden. Die Staatsanwaltschaft beantragt dies, wenn nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig sein wird, § 141 Abs. 3 S. 2 StPO. In der Praxis kommt es so gut wie nie vor, dass die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellt. Vorstöße von Verteidigern, diesen unhaltbaren Zustand im Wege der Revision durch die Anerkennung von Beweisverwertungsverboten bei einer Verletzung von § 141 Abs. 3 StPO zu ändern, waren bislang erfolglos.[92]
a) Die Ansicht des BGH
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Der BGH entschied, dass die Strafgerichte verpflichtet seien, dem nichtverteidigten Beschuldigten vor der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des zeugnisverweigerungsberechtigten Hauptbelastungszeugen einen Verteidiger zu bestellen. Ein Beweisverwertungsverbot für den Fall eines Verstoßes gegen diese Pflicht lehnte der BGH jedoch ab und verwies auf seine von ihm eigens kreierte „Beweiswürdigungslösung“.[93] Ermutigend waren indes die Ausführungen des BGH dahin, dass eine Pflicht der Staatsanwaltschaft bestünde, einen Antrag auf Bestellung eines Verteidigers bereits im Ermittlungsverfahren zu stellen, wenn abzusehen ist, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig werden wird.[94] In späteren Entscheidungen rückte der BGH jedoch hiervon ab. Bereits in BGHSt 47, 172 relativierte er die Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Beantragung einer Verteidigerbestellung dahin, dass diese dann einen solchen Antrag zu stellen habe, wenn sie den dringenden Tatverdacht eines Verbrechens annähme und der Beschuldigte aufgrund der Verfahrenslage tatsächlich des Beistandes eines Verteidigers bedürfe. Im konkreten Fall – es ging um die Verwertbarkeit von Angaben eines inhaftierten Mordverdächtigen bei einer Tatrekonstruktion – lehnte er ein Beweisverwertungsverbot ab, weil der Beschuldigte sein Schweige- und sein Verteidigerkonsultationsrecht gekannt habe. In BGHSt 47, 233 erkannte der BGH in einem Verfahren wegen Beteiligung an einem Mordversuch auf Verwertbarkeit der Angaben einer 20-jährigen schwangeren Spätaussiedlerin mit mangelhaften Deutschkenntnissen gegenüber dem Haftrichter. Der Staatsanwaltschaft stehe insoweit ein nicht umfassend gerichtlich überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Sie sei nicht verpflichtet, bis zur Erteilung eines Hinweises auf die Notwendigkeit der Verteidigerbestellung mit Ermittlungen, die eine Mitwirkung des Beschuldigten erfordern, inne zu halten.
b) Kritik
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Wie der BGH in BGHSt 46, 93 zu Recht erkannt hat, ist die Staatsanwaltschaft aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes des § 141 Abs. 3 S. 2 StPO bei dem Vorliegen der dortigen Voraussetzungen verpflichtet, die Beiordnung eines Verteidigers zu beantragen. Die in BGHSt 47, 172 vorgenommene Einschränkung dieser Pflicht im Hinblick auf ein besonderes Bedürfnis nach anwaltlichem Beistand erfolgte contra legem. In Vernehmungen und vernehmungsähnlichen Situationen liegt das Erfordernis der Verteidigerkonsultation im Gegenteil auf der Hand. Ohne vorherige anwaltliche Beratung wird sich der Beschuldigte regelmäßig „um Kopf und Kragen reden“. Der Beschuldigte hat bei dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 141 Abs. 3 StPO einen Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers bereits im Ermittlungsverfahren und ein eigenes Antragsrecht. Sein Anspruch ergibt sich zum einen aus der entsprechenden Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Ohne ein Recht des Beschuldigten ist eine damit denknotwendig korrespondierende Pflicht der Staatsanwaltschaft sinnwidrig.[95] Ein solcher Anspruch ist auch zwingend geboten, um „Waffengleichheit“ zwischen Beschuldigtem und dem Staat herzustellen und so ein faires, rechtsstaatliches Verfahren zu sichern.[96] Der Staatsanwaltschaft steht zwar ein Beurteilungsspielraum zu, entgegen der Ansicht des BGH ist dieser jedoch umfassend überprüfbar.[97] Der Gesetzeswortlaut steht einem eigenen Antragsrecht des Beschuldigten nicht entgegen. Er nimmt zwar die Staatsanwaltschaft in die Pflicht, billigt ihr jedoch kein Antragsmonopol zu.
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Ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten macht jedoch nur dann Sinn, wenn dieser sein Recht kennt. Sonst ist es ineffektiv. Daher muss der Beschuldigte bei Beginn seiner ersten Vernehmung auf sein Antragsrecht hingewiesen werden. Die Belehrung lediglich über das Verteidigerkonsultationsrecht gibt dem mittellosen Beschuldigten Steine statt Brot. Seine finanzielle Lage wird ihn nämlich regelmäßig daran hindern, Kontakt zu einem Strafverteidiger aufzunehmen. Nur wenn ihm durch eine entsprechende Belehrung verdeutlicht wird, dass er den – zunächst kostenlosen – Beistand eines Pflichtverteidigers verlangen kann, wird er von seinem Konsultationsrecht Gebrauch machen. Eine Verletzung dieser Belehrungspflicht der Strafverfolgungsorgane muss ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen. Der Anspruch des Beschuldigten auf Belehrung über sein Recht, die Bestellung eines Verteidigers verlangen zu können bzw. auf Beiordnung, betrifft nämlich die Grundlagen seiner verfahrensrechtlichen Stellung. Nur die Gewährleistung einer frühestmöglichen Beratung und Vertretung durch einen Verteidiger kann den irreparablen Verlust von Verteidigungspositionen verhindern und damit die Subjektstellung des Beschuldigten wahren.[98]
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Zu Recht hat Teuter