Einführung in die Praxis der Strafverteidigung. Olaf Klemke
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Die einzige Norm, welche die Bestellung eines anderen Verteidigers (und damit verbunden die Rücknahme der Bestellung des bisherigen) wegen des Verhaltens des Verteidigers vorsieht, ist § 145 Abs. 1 StPO. Die dort geregelten Fälle betreffen jedoch nicht einen aus Sicht des Gerichts angeblich betriebenen „Missbrauch“ von Verteidigungsrechten, also ein „Zuviel“ an Verteidigung, sondern im Gegenteil Fallgestaltungen, in denen der Beschuldigte schlicht und einfach überhaupt nicht verteidigt ist. Das Gericht hat daher durch die Bestellung bzw. Rücknahme der Bestellung eines Verteidigers nur sicherzustellen, dass der Beschuldigte, nicht jedoch, wie er verteidigt wird.[80] Allein die Rücknahme der Bestellung wegen angeblichen Missbrauchs von Verfahrensrechten durch den Verteidiger ist rechtsmissbräuchlich, denn sie erfolgt contra legem.
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Hat der Pflichtverteidiger Anlass zu der Annahme, dass es in der Hauptverhandlung zu erheblichen Konfrontationen mit dem Gericht kommen könnte, sollte er sich von dem Beschuldigten vorbeugend eine Wahlverteidigervollmacht erteilen lassen. Im Falle einer Rücknahme der Bestellung wegen des angeblichen Missbrauchs von Verteidigungsrechten kann er sich sogleich als Wahlverteidiger bestellen und weiter verteidigen. Er sollte dann mit seinem Mandanten erörtern, einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden anzubringen. Unabhängig hiervon sollte er gegen die Rücknahme der Bestellung sowohl im Namen des Angeklagten als auch im eigenen Namen Beschwerde einlegen.
b) Rücknahme der Bestellung aus „wichtigem Grund“ wegen Terminkollision
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Gelegentlich entpflichten Gerichte den bestellten Verteidiger, weil er wegen anderweitiger Terminverpflichtungen daran gehindert ist, in der Hauptverhandlung aufzutreten bzw. Fortsetzungstermine wahrzunehmen. Grundsätzlich ist die Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung Sache des Gerichtsvorsitzenden, § 213 StPO. Andererseits hat der Angeklagte jedoch einen Anspruch auf Verteidigung durch den Verteidiger seines Vertrauens. Dies erfordert es, dass das Gericht bei Terminkollisionen sich ernsthaft um einen mit dem Pflichtverteidiger abgestimmten Termin zur Hauptverhandlung bemüht.[81] Grundsätzlich gebührt dem Anspruch des Angeklagten, vom Verteidiger seines Vertrauens verteidigt zu werden, der Vorrang vor dem Interesse auf zügiger Durchführung des Strafverfahrens.[82] Nach der richtigen Ansicht von Neuhaus obliegt es zunächst den Gerichten, von ihnen verursachte Terminüberschneidungen abzustellen. Ist der Verteidiger wegen anderer Gerichtstermine verhindert, kommt ein Wechsel des Pflichtverteidigers gegen den Willen des Angeklagten ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Terminverhinderung trotz erheblicher Bemühungen der beteiligten Gerichte nicht behebbar ist.[83] Nach der Verlängerung der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO von zehn Tagen auf drei Wochen durch das sog. „Justizmodernisierungsgesetz“ dürfte eine Entpflichtung aus terminlichen Gründen in laufender Hauptverhandlung generell nicht mehr möglich sein.[84]
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Der Verteidiger muss – um derartige Verwicklungen von vornherein zu vermeiden – in seinem Bestellschriftsatz an das Gericht bzw. unmittelbar nach der Zustellung der öffentlichen Klage zur Stellungnahme nach § 201 Abs. 1 StPO den Vorsitzenden um Abstimmung des Termins zur Hauptverhandlung bitten.
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Muster 5: Bitte um Terminabstimmung
An das
Landgericht B
Herrn Vorsitzenden der Strafkammer
In der Strafsache gegen Herrn A
Az.:...
bestelle ich mich zum Verteidiger des Angeschuldigten A. Bereits jetzt bitte ich, den Termin zur Hauptverhandlung mit mir abzustimmen, um Terminkollisionen von vornherein vermeiden zu können. Ich werde den Vorsitzenden nächste Woche deswegen anrufen.
Rechtsanwalt
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Ignoriert der Vorsitzende diese Bitte (was in der Praxis eher die Ausnahme darstellt) und führt seine Bestimmung des Hauptverhandlungstermins bei dem Pflichtverteidiger zu einer Terminkollision, ist unter Hinweis auf die Bitte um Terminabstimmung und genauer Darlegung der Terminkollision die Verlegung des Termins zu beantragen. Reagiert der Vorsitzende auf den Terminverlegungsantrag stattdessen mit der Entpflichtung des bisherigen unter Beiordnung eines anderen Verteidigers oder ordnet er dem Angeklagten einen weiteren Verteidiger bei, ist dies dann nicht nur ermessenfehlerhaft, sondern willkürlich. Die Ablehnung der Terminverlegung kann der Angeklagte bei dieser Sachlage mit der Beschwerde anfechten.[85] Dasselbe gilt für die Entpflichtung des Verteidigers bzw. die Beiordnung eines weiteren Verteidigers. Zudem wird dieses Verhalten dem Beschuldigten Anlass geben, den Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
aa) Einseitig gewünschter Pflichtverteidigerwechsel
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Nach der h.M. ist die Bestellung des Pflichtverteidigers „aus wichtigem Grund“ zurückzunehmen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger zerstört ist. Die bloße Behauptung, dass das Vertrauensverhältnis zerrüttet sei, soll nicht ausreichen. Die Rechtsprechung verlangt von dem Beschuldigten einen substanziierten Vortrag dahin, dass vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört ist.[86]
Diese Ansicht ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Nach der st. Rspr. des BVerfG ist das Recht des Beschuldigten, sich vom Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, verfassungsrechtlich verbürgt. Dem ist auch dann Rechnung zu tragen, wenn dem Verteidigungsverhältnis durch Zerstörung der Vertrauensbeziehung nachträglich der Boden entzogen wird. Die von der Rspr. aufgestellten Anforderungen an die Darlegung der Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses sind überspannt. Hier ist ein weitaus großzügigerer Maßstab angebracht.
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Wird der zunächst bestellte Verteidiger wegen Zerstörung des notwendigen Vertrauensverhältnisses entpflichtet, ist dem Beschuldigten sogleich ein von ihm bezeichneter Verteidiger beizuordnen. Dies darf nicht deshalb unterbleiben, weil von einem „Verdrängen“ des bisherigen Verteidigers gesprochen werden kann. Der Anspruch des Beschuldigten auf Verteidigung durch den Verteidiger seines Vertrauens hat – wie bereits mehrfach angeführt – Verfassungsrang. Dieses Recht darf nicht deshalb relativiert werden, um das möglicherweise