Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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Ostendorf hat in diesem Zusammenhang drei Tatbestandsgruppen genannt:

Tatbestände, die von Jugendlichen und Heranwachsenden generell nicht verstanden werden (z.B. Einsatz einer Spielzeugpistole als Qualifikationstatbestand – §§ 244 Abs. 1 Nr. 1 Bst. b), 250 Abs. 1 Nr. 1 Bst. b) StGB; der selbst ausgefüllte Entschuldigungszettel als Urkundsdelikt; das Auswechseln des Kettenritzels zur Geschwindigkeitserhöhung als Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz und die Abgabenordnung),
Tatbestände, die für Jugendliche und Heranwachsende nicht passen (z.B. Gruppendelikte als Bandendiebstahl oder Bandenraub),
Tatbestände, die für Jugendliche und Heranwachsende nicht notwendig sind, z.B. Schwarzfahren, Mofa-Frisieren, Ladendiebstahl im Bagatellbereich.

      (BMJ (Hrsg.), Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, 1989, 325, 332 ff.); zum Verhältnis von Gruppendynamik und Jugendstrafrecht: Hoffmann StV 2001, 196 ff.

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      Gegen eine jugendspezifische Tatbestandsauslegung werden unter dem Aspekt von Rechtssicherheit, Bestimmtheit und Berechenbarkeit sowie Gleichbehandlung Bedenken geäußert (Brunner/Dölling § 2 Rn. 7), die jedoch nicht berücksichtigen, dass eine teleologische Interpretation und daraus resultierende Tatbestandsreduktion verfassungsmäßig zulässig sind. Dies gilt jedoch nur für eine Gesetzesauslegung zu Gunsten Jugendlicher. Eine Schlechterstellung gegenüber Erwachsenen ist nicht zulässig (BayObLG DVJJ-J 1993, 79 = StV 1992, 433 = NStZ 1991, 584 m. Anm. Scheffler NStZ 1992, 491; Albrecht 2000, 83; Bohnert NJW 1980, 1930; Bottke ZStW 95 (1983), 80; Dünkel ZStW 105 (1993), 139; a.A. § 55 Rn. 7).

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      Praxisbeispiele für die Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation sind:

Der 14-jährige T hat seine 13-jährige Klassenkameradin so geküsst, dass ein „Knutschfleck“ deutlich sichtbar blieb und ihr mehrfach mit seinen Händen an das bedeckte Geschlechtsteil gegriffen. Trotz „gegenseitiger Zuneigung“ ist er vom AG Arnstadt am 1.11.2011 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 StGB verwarnt und zu 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden (zur DNA-Identitätsfeststellung bei jugendtypischer Sexualstraftat in diesem Fall = BVerfG Beschl. v. 2.7.2013 – 2 BvR 2392/12, StV 2014, 578, 579).
Die Verurteilung eines 15-Jährigen wegen sexueller Beziehungen zu seiner 13-jährigen Freundin nach § 176 StGB zu Jugendstrafe (berichtet von Böhm/Feuerhelm S. 39, die vorschlagen, in solchen Fällen eine Verurteilung über die Anwendung von § 3 oder § 17 StGB zu vermeiden).
Wegnahme einer typischen Skinhead-Jacke gegenüber einem nicht zur Gruppe gehörenden Opfer (Verneinung der Zueignungsabsicht: AG Berlin-Tiergarten vom 7.11.1988, berichtet von Eisenberg § 1 Rn. 24c.
Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes (BGH NStZ 1983, 365; NStZ 1986, 549; StV 1997, 8; NStZ 2003, 369; StV 2004, 74; NStZ 2008, 94 – Eisenberg/Schmitz; NStZ-RR 2008, 370 u. BGH ZJJ 2010, 326 m. Anm. Eisenberg; NStZ 2013, 538: (äußerst) gefährliche Gewalttaten können einen Schluss von der obj. Gefährlichkeit auf einen bedingten Tötungsvorsatz ermöglichen. Bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlung, kann jedoch aus dem Wissen um einen möglichen Erfolgseintritt nicht ohne eine Gesamtwürdigung von tat- und täterbezogenen Merkmalen auf das voluntative Vorsatzelement geschlossen werden.).
Verneinung eines vorsätzlich jugendgefährdenden Verhaltens (OLG Köln NJW 1971, 225).

      Allgemein wird die restriktive Interpretation vor allem im Bereich der subjektiven Tatbestandsmäßigkeit zu diskutieren sein (so auch Eisenberg § 1 Rn. 24c, d). Ein genereller Ausschluss für bedingten Vorsatz und unbewusste Fahrlässigkeit (vgl. Märker Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, 1995) ist nach geltendem Recht aber nicht vertretbar; Lüderssen Die Beurteilung der inneren Tatseite bei jungen Tätern, speziell mit Blick auf den bedingten Vorsatz, in: FS Schreiber, 2003, S. 289–314.

      Auch bei § 24 StGB sind die Rücktrittsvoraussetzungen jugendspezifisch zu interpretieren.

      Zu den Straftatvoraussetzungen des § 244a StGB hat das LG Koblenz NStZ 1998, 197 m. krit. Anm. Glandien entschieden, dass die Vorschrift nicht auf Verbrecherbanden aus dem Bereich der organisierten Kriminalität beschränkt ist, sondern auch auf Jugendbanden Anwendung findet, eine Position, die jetzt auch der BGH in NStZ-RR 2000, 344; BGH Beschl. v. 22.3.2006 [5 StR 38/06] vertritt. Die typischen Abziehdelikte werden strafrechtlich als Raub oder räuberische Erpressung bewertet (vgl. AG Bremerhaven DVJJ-J 2000, 190), doch sollte das Tatbestandsmerkmal der Drohung „mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben“ angesichts prahlerischer und häufig rein verbaler Aggression jugendgerecht, also restriktiv interpretiert werden (Rentzel-Rothe DVJJ-J 2000, 192).

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      Reformchancen auf der Ebene der Straftatvoraussetzungen ergeben sich schließlich bei den Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen. Ein Beispiel dafür ist der von der Deutschen Bewährungshilfe entwickelte und über die Fraktion DIE GRÜNEN in das Gesetzgebungsverfahren zum 1. JGGÄndG eingebrachte Vorschlag, der allerdings nicht mehr berücksichtigt, sondern nur als Merkposten festgehalten werden konnte:

       § 4 Rechtliche Einordnung der Taten Jugendlicher

       Die Tat eines Jugendlichen ist nicht strafbar,

1. wenn sie keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat oder
2. wenn die Folgen der Tat im Wesentlichen beseitigt, wiedergutgemacht oder sonst ausgeglichen worden sind (Tatfolgenausgleich).

       (Kerner u.a., DVJJ-J 1990, 19 f. und DVJJ-J 1990, 63).

       Nach dem geltenden öJGG ist gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 ein Jugendlicher nicht strafbar, wenn er vor Vollendung des 16. Lebensjahres ein Vergehen begeht, ihn kein schweres Verschulden trifft und nicht aus besonderen Gründen die Anwendung des Jugendstrafrechts geboten ist, um den Jugendlichen von strafbaren Handlungen abzuhalten (vgl. Jesionek/Edwards Das österreichische Jugendgerichtsgesetz, 4. Auflage 2010).

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      Aus dem StGB-Abschnitt über die Rechtsfolgen der Tat (§§ 38–76a StGB) sind nur anwendbar

das Fahrverbot als Nebenstrafe nach § 44 StGB (vgl. § 76 S. 1),
von den Maßregeln der Besserung und Sicherung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die vorbehaltene Sicherungsverwahrung (§

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