Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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Verbotsirrtum werfen können (BGH Urt. v. 6.10.1953 – 1 StR 419/53). Feste Regeln – auch der Art, dass generell an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bei Jugendlichen geringere Anforderungen zu stellen seien als bei Erwachsenen – lassen sich nicht aufstellen (BGH a.a.O.). Mit der Anwendung eines allgemeinen Maßstabs würde der Gedanke der Vorwerfbarkeit aufgegeben (BGH a.a.O.).

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      Der Jugendliche muss außerdem in der Lage sein, nach seiner Unrechtseinsicht zu handeln, d.h. sein Verhalten entsprechend zu steuern. Eine Divergenz zwischen der (kognitiven) Unrechtseinsicht und der (voluntativen) Steuerungsfähigkeit wird besonders deutlich bei Sexualdelikten. Hier kann es besonders dem Jugendlichen in Ermangelung von Gelegenheit normgerechten Sexualverhaltens trotz entsprechender Einsicht an der Reife fehlen, sich entsprechend zu verhalten. In diesen Fällen wird daher die reifebedingte Steuerungsfähigkeit besonderer Beachtung bedürfen. Der Jugendliche muss soweit gereift sein, dass sich die Erkenntnis, etwas rechtlich Verbotenes zu tun „im Kampf der Motive als das sein Verhalten bestimmendes Gegenmotiv“ durchzusetzen in der Lage ist (Schaffstein/Beulke/Swoboda Rn. 177).

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      Der Jugendliche muss nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung reif genug sein, das Unrecht der Tat einzusehen (Rn. 4–9) und nach dieser Einsicht zu handeln (Rn. 10). § 3 S. 1 regelt damit einen bestimmten Aspekt der in Betracht kommenden Ursachen mangelnden Unrechtsbewusstseins, nämlich den reifebedingten Verbotsirrtum (a.A. Walter/Kubink DVJJ-J 1995, 113 ff.). Reife i.S.v. § 3 ist derjenige Grad der Verstandesentwicklung, der erforderlich ist, um den strafrechtlichen Charakter der begangenen Tat, d.h. deren Bedeutung als Verletzung gewisser, durch das Strafgesetz geschützter Rechtsgüter sich soweit klar zu machen, wie es einem Erwachsenen im Allgemeinen möglich ist (RGSt 47, 385 ff., 387). Danach ist nicht die Reife des Jugendlichen im Allgemeinen Prüfungsgegenstand, sondern nur insoweit, als sie die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in Bezug auf die konkrete, dem Täter vorgeworfene Straftat betrifft (Rupp-Diakojanni S. 59 ff.).

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      Die Reife ist nach dem geistigen und sittlichen Entwicklungsstand des Jugendlichen zu beurteilen. Nach seiner geistigen Entwicklung ist der Jugendliche reif, wenn er zur rationalen Erfassung der Strafwürdigkeit seines Verhaltens in der Lage ist. Damit stellt das Gesetz vornehmlich auf den individuellen (Aus-) Bildungsstand und den körperlichen Entwicklungsstand ab. Der Jugendliche muss auf Grund seiner biologischen und bildungsmäßigen Entwicklung das Unrecht seines Verhaltens erkennen und sich nach dieser Einsicht verhalten können. Geistige Reife kann trotz vorliegender allgemeiner sittlicher Reife fehlen, wenn die Strafbarkeit an Umstände geknüpft ist, deren Erkenntnis einen entsprechenden Bildungsstand voraussetzt, wie dies bei Steuerdelikten, politischen Straftaten, insbesondere denjenigen der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, die z.B. die Kenntnis der Verfassungswidrigkeit einer bestimmten Partei voraussetzen, der Fall sein kann. Zur forensisch-psychiatrischen Begutachtung s. etwa Bauer/Remschmidt Handbuch S. 470 ff., 471 f.

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      Neben der geistigen ist die sittliche Reife zu prüfen. Sie liegt nicht schon dann vor, wenn der Jugendliche weiß, dass das, was er tut, verboten ist (BGH Urt. v. 15.5.1956 – 5 StR 127/56 = EJF Band 2, CI Nr. 3). Zur sittlichen Reife gehört, dass der Jugendliche dieses Wissen innerlich richtig verarbeitet hat, so dass er den Ernst der sittlichen Forderung verstehen kann (BGH a.a.O.; Kohlhaas EJF Band 2, CI Nr. 3, Anmerkung). Die Wertvorstellungen müssen somit im erforderlichen Maß entwickelt und auch in der Gefühls- und Erlebniswelt des Täters verankert sein (allg.M.). Zur forensisch-psychiatrischen Begutachtung der relativen Strafmündigkeit s. etwa Bauer/Remschmidt Handbuch S. 470 ff.). Zum speziellen Problem der Eidesmündigkeit vgl. Schönke/Schröder-Bosch/Schittenhelm Rn. 25 vor § 153.

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      Ob die erforderliche Verantwortungsreife gegeben ist, hat der Tatrichter auf der Grundlage seiner Feststellungen zur persönlichen Entwicklung des Jugendlichen, zu dessen Persönlichkeit zur Tatzeit und den Umständen der konkreten Tat – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – wertend zu beurteilen (BGH NStZ 2017, 644). Die Prüfung dieser Reife hat nach § 3 individuell und in allen Fällen zu erfolgen und muss im Urteil ausgeführt werden. Die Anwendung eines Regel-Ausnahme-Maßstabes ist nach der Fassung des Tatbestandes nicht zulässig (s. Rn. 2). Es muss aber andererseits beachtet werden, dass Jugendliche im Vergleich zu den Erwachsenen generell unreif sind und das JGG diesem Umstand schon durch sein Rechtsfolgensystem Rechnung trägt. Die Verneinung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verlangt daher einen erheblichen Grad an Unreife (Lenckner Handbuch, S. 3 ff., 249 ff.). Die Beurteilung der Reife i.S.v. § 3 kann daher nur im Wege des Vergleichs zwischen dem individuellen Entwicklungsstand des Täters und dem erfahrungsgemäßen Entwicklungsstand anderer Jugendlicher in vergleichbaren Lebensumständen erfolgen (Schaffstein ZStW 77 [1965], S. 191 ff., 203). Gradmesser ist somit der erfahrungsgemäß durchschnittliche Entwicklungsstand von Jugendlichen in der gleichen Altersgruppe. Beachtliche Abweichungen hiervon sind ein Indiz für das Vorliegen von Unreife des Täters in der konkreten Situation. Da in der Praxis nicht grundsätzlich, sondern nur in Fällen, die zu Zweifeln Anlass geben, ein Sachverständiger zur Beurteilung der Reife i.S.v. § 3 herangezogen werden kann (zur Begutachtung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit und Schuldfähigkeit aus der Sicht eines Jugendpsychologen s. etwa Schilling NStZ 1997, 261 ff.) und zudem ersichtlich wissenschaftlich gesicherte Kriterien zur Beurteilung der Reife i.S.v. § 3 fehlen (h.M.; vgl. etwa Lenckner Handbuch, S. 252 m.w.N.; Bresser ZStW 1962 [Bd. 74], S. 579 ff., 586 ff.; Bohnert NStZ 1988, 249 ff.), kommt es entscheidend auf die eigene Sachkunde des Jugendrichters (-staatsanwaltes) sowie der Jugendgerichtshilfe an.

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      Ein Sachverständiger ist nur dann erforderlich und geboten, wenn Erfahrung und Sachkunde der Gerichts- und Gerichtshilfepersonen nicht ausreichen, um Zweifel am Vorliegen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu beseitigen (zur forensisch-psychiatrischen Begutachtung der relativen Strafmündigkeit s. etwa Bauer/Remschmidt, Handbuch S. 470 ff.; Peters Handbuch Bd. II, S. 260 ff. mit Einzelfällen; Moser Jugendkriminalität, 1987; Lempp Strafmündigkeit 1973, S. 15 ff.; Bresser ZStW 1962 [Bd. 74], S. 579 ff.). Die abweichende Meinung der Jugendgerichtshilfe hinsichtlich des Vorliegens der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zwingt nicht zur Hinzuziehung eines Sachverständigen, wenn jene

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