Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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i.S.v. § 3 (allg.M.). Sie ist unbeachtlich, wenn der Täter, gleichviel aus welchen Gründen, einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört; es gelten die allgemeinen Grundsätze (z.B. BGHSt 18, 235 ff.; zur Unterscheidung von natürlichem Vorsatz und Schuldfähigkeit allgemein etwa Bruns JZ 1964, 473 ff.). Die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wird erst dann relevant, wenn die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tatbegehung in Betracht kommt (§ 16 Abs. 1 S. 2 StGB), denn erst dann entsteht die Frage, ob der Jugendliche für den Irrtum über den Tatumstand verantwortlich zu machen ist.

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      Die Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB betrifft ebenso wie § 3 S. 1 die strafrechtliche Bedeutung der Unrechtseinsicht als Schuldelement. Der reifebedingte Verbotsirrtum des § 3 ist kein aliud, sondern ein Unterfall des in § 17 allgemein geregelten Verbotsirrtums (a.A. Streng DVJJ-J 1997, 379 ff., 381 m.Nw.; ders. Jugendstrafrecht, Rn. 49). Daher sind beide Vorschriften anwendbar und selbstständig voneinander zu prüfen. Dabei ist zunächst festzustellen, ob die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Satz 1 vorliegt; wird sie verneint, so erübrigt sich die Feststellung anderer Ursachen mangelnder Unrechtseinsicht im konkreten Fall. Wird sie bejaht, so ist damit ein auf anderen Gründen beruhender Verbotsirrtum (z.B. unrichtige Rechtsauskunft) nicht ausgeschlossen. Mit der Bejahung der Altersreife wird jedoch in der Regel ein unvermeidbarer Verbotsirrtum zu verneinen sein. Der auf anderen Ursachen beruhende Verbotsirrtum dagegen ist allerdings – wie auch sonst – nur dann eigens zu prüfen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen.

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      Die Milderungsvorschrift des § 17 S. 2 StGB ist im Jugendstrafrecht wegen der eigenständigen Rechtsfolgeregelungen praktisch ohne Bedeutung. Der darin enthaltene Rechtsgedanke kommt jedoch dann zur Entfaltung, wenn Zuchtmittel oder Jugendstrafe als Rechtsfolgen in Betracht gezogen werden, weil hier das Maß der Schuld für die Ahndungszwecke der Sühne und Vergeltung von Bedeutung ist (§ 5 Rn. 11).

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      Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, dass bei Jugendlichen grundsätzlich weniger hohe Anforderungen an die für die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums erforderliche Gewissensanspannung zu stellen sein sollen, als bei Erwachsenen (Dallinger/Lackner § 3 Rn. 36; Ostendorf JZ 1986, 665). Eine derartige Regel findet weder in dem dem JGG zu Grunde liegenden Erziehungsgedanken, noch in den zur Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen (s. Rn. 3, 4, 8, 9) eine Grundlage. Mit der Anwendung eines derartigen allgemeinen Maßstabes würde der Gedanke der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit aufgegeben (BGH Urt. v. 6.10.1953 – 1 StR 419/53; s. Rn. 9). Voraussetzung ist in jedem Einzelfall wie überall die besonders sorgfältige, strenge Prüfung der Täterpersönlichkeit und aller wesentlichen Tatumstände, soweit sie Licht auf den behaupteten Verbotsirrtum werfen (BGH a.a.O.), gleichviel, ob dieser seine Ursachen in dem geistigen und sittlichen Entwicklungsstand des Jugendlichen oder in anderen Umständen hat.

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      § 3 S. 1 und die §§ 20, 21 StGB unterscheiden sich von ihren Voraussetzungen her derart, dass sie in allen Fällen selbstständig voneinander geprüft werden müssen (BayObLGSt 1958, 263; vgl. auch BVerfG NStZ-RR 2007, 187; allg.M.; zum Verhältnis von § 3 zu §§ 20, 21 StGB s. auch Gabber ZJJ 2007, 167 ff.). Während der auf den biologischen und soziologischen Reifungsprozess zugeschnittene Satz 1 nur entwicklungsbedingte Reifemängel im Sinne eines noch nicht abgeschlossenen Entwicklungsprozesses mit möglicher Nachreifung erfasst, betreffen die §§ 20, 21 StGB von dieser Entwicklung grundsätzlich unabhängige Störungen der Bewusstseinstätigkeit pathologischer Art im Sinne einer strukturellen, bleibenden oder nur mangelhaft ausgleichbaren Unreife (Bauer/Remschmidt, Handbuch S. 470 ff, 471; Schilling NStZ 1997, 261 ff., 264 f.; Dallinger/Lackner § 3 Rn. 27; Eisenberg § 3 Rn. 33; Peters Handbuch 1967, S. 279). Überschneidungen sind denkbar, etwa in Fällen einer pathologischen Entwicklungsstörung (Schwachsinn) oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit (z.B. erhebliche Fehlentwicklung der Persönlichkeit durch suchtartigen Konsum von Horrorfilmen bei gleichzeitigem Erziehungsversagen der Eltern, BGH NJW 1997, 1165 ff.). Liegen die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB vor, so gilt Folgendes:

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      Die Feststellung einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB ist grundsätzlich mit der Bejahung der Reife des Jugendlichen gemäß Satz 1 vereinbar (BGH Beschl. v. 13.6.1985 – 1 StR 247/85 = NStZ 1985, 447 [Böhm]; BGHSt 5, 366, 367; vgl. auch BGH NJW 1997, 1165 ff. mit krit. Anm. Eisenberg NJW 1997, 1136 ff.). Zwar kommt in diesen Fällen eine Strafrahmenmilderung gem. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht, weil die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts nicht gelten (§ 18 Abs. 1 S. 3). Die gem. § 21 StGB verminderte Schuldfähigkeit kann sich aber dennoch bei der Zumessung der Jugendstrafe mildernd auswirken (BGHSt 5, 366, 367; BGH Beschl. v. 29.10.1981 – 1 StR 676/81; BGH StV 1982, 473; BGH Beschl. v. 13.6.1985 – 1 StR 247/85 = NStZ 1985, 447 [Böhm]; Schönke/Schröder-Perron/Weißer § 21 Rn. 27), und zwar auch dann mit vollem Gewicht, wenn sie nicht erwiesen, sondern nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ nur unterstellt ist (BGH Beschl. v. 13.6.1985 – 1 StR 247/85 = NStZ 1985, 447 [Böhm]; BGH StV 1984, 69; StV 1984, 464). Sie muss bei der Strafzumessung beachtet werden, und die Urteilsausführungen müssen erkennen lassen, ob oder ggf. weshalb nicht eine Strafmilderung aus diesem Grunde vorgenommen wurde (BGH StV 1982, 473). Da im Jugendstrafrecht die Anwendung des § 49 StGB und damit eine Verschiebung des Strafrahmens ausscheidet, muss die Verminderung der Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB mit ihrem vollen Gewicht bei der eigentlichen Strafzumessung berücksichtigt werden (BGH StV 1989, 545). Wird die strafrechtliche Verantwortlichkeit verneint, so ist § 21 StGB für die Frage der Unterbringung zu prüfen (§ 7; § 63 StGB; dazu Rn. 28).

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      Liegen die Voraussetzung des § 20 StGB vor, so wird daneben die Frage der Entwicklungsreife bedeutungslos (BGHSt 26, 67 ff., 70; Brunner JR 1976, 116 f.; Peters Handbuch 1967, S. 279 ff.; a.A. Streng Jugendstrafrecht, Rn. 60; differenzierend Schönke/Schröder-Perron/Weißer § 20 Rn. 44: beruht die Unreife auf einer Entwicklungsstörung, die zwar pathologische Ursachen hat, aber mit zunehmendem Alter einen Ausgleich erwarten lässt, so ist die Schuldfähigkeit sowohl nach § 20 StGB, als auch nach §

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