Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Verteidigung von Ausländern - Jens Schmidt страница 49
169
Die Verwaltungsakzessorität des Ausländerstrafrechts wirft zudem die Frage auf, ob die Strafbarkeit neben der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes auch die Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung – z.B. die Ausreiseverpflichtung – voraussetzt.[4]
Unbestritten bleibt der Verstoß gegen einen nichtigen Verwaltungsakt straflos;[5] umstritten ist jedoch, ob die Strafbarkeit rückwirkend entfällt, wenn der Ausländer im verwaltungsrechtlichen Verfahren obsiegt und der Verfügungsinhalt somit rückwirkend beseitigt wird. Während das OLG Frankfurt[6] den Verstoß gegen rechtswidrige, behördliche Anordnung als straflosen „verwaltungsrechtlichen Ungehorsam“ qualifiziert, geht der BGH in ständiger Rechtsprechung von dessen Strafbarkeit aus; für die Beurteilung der Widerrechtlichkeit sei stets auf die Verhältnisse zum Tatzeitpunkt abzustellen, so dass nachträgliche Änderungen der Rechtslage die Strafbarkeit nicht beseitigen können.[7] Folgt man dieser Ansicht, ist die Rechtswidrigkeit der Verfügung jedenfalls im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen.
170
Hinsichtlich § 95 Abs. 5 AufenthG darf auf die obige Darstellung (Rn. 126) verwiesen werden.
171
Hinsichtlich der Anordnung von Verfall ist zu beachten, dass dieser ausschließlich bzgl. solcher Taten angeordnet werden kann, die Gegenstand der tatrichterlichen Feststellungen waren; eine Anwendung der Vorschrift (§ 73 StGB) kommt daher nicht in Betracht, wenn lediglich eine Verurteilung wegen eines ausländerrechtlichen Delikts erfolgt, die Geldmittel jedoch im Rahmen einer illegalen Beschäftigung erlangt worden sind.[8]
Anmerkungen
Erbs/Kohlhaas-Senge § 95 AufenthG Rn. 1; a.A. Bergmann/Dienelt-Winkelmannt § 95 AufenthG Rn. 21.
OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 376, 377; Erbs/Kohlhaas-Senge § 95 AufenthG Rn. 1.
BGH StV 2006, 577 mit ablehnender Anm. Herzog.
Vgl. auch Rn. 181.
Bergmann/Dienelt-Winkelmann § 95 AufenthG Rn. 7 m.w.N.
OLG Frankfurt StV 1988, 301, 303 m. Anm. Wolf.
BGHSt 23, 86, 93; BGH NJW 1982, 189; so auch OLG Hamburg NJW 1980, 1007, 1008.
OLG Frankfurt StV 2002, 308, 309.
aa) Aufenthalt ohne Pass- und Ausweisersatz (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG)
172
Nach § 3 Abs. 1 AufenthG muss ein Ausländer, der in das Bundesgebiet einreist oder sich dort aufhält, einen gültigen Pass besitzen.
173
§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG stellt allein den Aufenthalt ohne Pass und Ausweisersatz unter Strafe; die Einreise ohne Pass(-ersatz) wird dagegen von § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erfasst.
174
Weitere Voraussetzung ist das Fehlen eines Pass(-ersatzes). Verfügt der Ausländer über einen gültigen Pass, ist bei Verstößen gegen die ausweisrechtlichen Vorschriften des AufenthG lediglich eine Ordnungswidrigkeit gegeben (vgl. § 98 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG). Ebenso entfällt die Strafbarkeit, wenn ein Anspruch auf Ausstellung eines Passersatzes nach § 48 Abs. 2 AufenthG besteht.[1]
175
Der Aufenthalt ohne Pass setzt das Vorliegen eines unerlaubten Aufenthaltes i.S.d. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht voraus, weshalb der Tatbestand auch nach Erteilung einer Duldung erfüllt sein kann, wenn sich der Ausländer beharrlich weigert an einer Passbeschaffung mitzuwirken.[2]
176
Schließlich ist zu beachten, dass die Verwahrung des Passes (§ 50 Abs. 6 AufenthG) oder Abgabe im Rahmen einer Haftverschonung nicht zur Passlosigkeit i.S.d. § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG führt.[3]
Hinweis
Ist dem Ausländer die Beschaffung von Passpapieren unzumutbar, entfällt die Strafbarkeit, so z.B. wenn der Heimatstaat die Ausstellung eines (neuen) Passes verweigert,[4] nicht aber wenn mit der Beschaffung bloße Unannehmlichkeiten verbunden sind, wie z.B. die vorherige Ableistung des Militärdienstes.[5]
Enthält die Anklageschrift keinen Gültigkeitszeitraum einer erteilten Duldung entspricht diese nicht der gemäß § 200 StPO erforderlichen Form.[6]
Anmerkungen
BVerfG NStZ 2003, 488; OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 28.
BVerfG NVwZ 2006, 80/81; KG NStZ-RR 2013, 358/359; vgl. auch OLG München NStZ 2006, 529.
Bergmann/Dienelt-Winkelmann § 95 AufenthG Rn. 34.
BayObLG StV 2005, 213, 214; KG StV 2014, 488; OLG Frankfurt StV 2015, 356, 358.
OLG Celle NStZ 2010, 173; OLG München NStZ-RR 2012, 348, 349.
OLG