Der Dritte Weg in der Retrospektive. Julia Brandt

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Der Dritte Weg in der Retrospektive - Julia Brandt Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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      Im Dritten Weg beschließen paritätisch besetzte Kommissionen die Arbeitsbedingungen. Der Begriff „Dritter Weg“ erklärt sich in Abgrenzung zum „Ersten Weg“, welcher eine hierarchische Vorgabe der Arbeitsbedingungen meint, und in Abgrenzung zum „Zweiten Weg“, welcher den Abschluss von Tarifverträgen bezeichnet.4

      Der Dritte Weg ist seit Jahrzehnten immer wieder Gegenstand politischer und juristischer Diskussionen.5 Die ÖTV, seit 2001 Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), hatte bereits in den 1950er Jahren den Abschluss von Tarifverträgen und die Geltung des Streikrechts in kirchlichen Wirtschaftsbetrieben eingefordert.6 Vom BAG ist mittlerweile festgestellt, dass die Kirchen aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts ein am Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsregelungsverfahren schaffen können.7 Die Gewerkschaften kritisieren den „Dritten Weg“ als „ungeeignet, um Tarifverträge als kollektive Vereinbarungen zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften zu ersetzen“, vor allem der Ausschluss des Streikrechts führe für die Dienstnehmerseite zu einer fehlenden sozialen Mächtigkeit, eine Verhandlungsparität liege nicht vor.8 Das im Grundgesetz in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Streikrecht und die Tarifautonomie müssten auch im kirchlichen Bereich gelten.9 Konkret kritisiert ver.di, dass Kirchenleitungen einseitig die Bedingungen festlegen, unter denen in den Kommissionen verhandelt werden soll. Die Mitglieder der Dienstnehmerseite in den Kommissionen seien durch ihre abhängige Beschäftigung nicht frei und unabhängig, und könnten so nicht sinnvoll die Interessen ihrer Kollegen vertreten.10 In einem Faktenblatt der Caritas zum eigenen Arbeitsrechtsregelungsverfahren werden dagegen die Vorzüge des Dritten Weges betont: Durch einen „konsensualen Einigungsprozess entfalle die Notwendigkeit von Streik und Aussperrung. Mit über 90 Prozent der Beschäftigten sei die Tarifbindung in der Kirche und ihrer Caritas so hoch wie in kaum einem anderen Bereich“.11

      Im Jahr 2012 urteilte das BAG12, dass Gewerkschaften in das Verfahren des Dritten Weges organisatorisch eingebunden werden müssen. Die Kirchen können und dürfen ihre Arbeitsbedingungen aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts im Rahmen des Dritten Weges regeln, die Kollision mit der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften (Art. 9 Abs. 3 GG) sei aber durch eine ausreichende Einbindung der Gewerkschaften auszugleichen. In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte die Evangelische Kirche von Westfalen die Gewerkschaft ver.di verklagt, Streikaufrufe in der Kirche zu unterlassen. Auch wenn das beschriebene Verfahren die evangelische Kirche betraf, so setzten nach diesem Urteil auch die verfasste katholische Kirche und ihre Einrichtungen die Vorgaben des BAG um.13 Die kirchengesetzlichen Grundlagen der Tarifsetzung haben sich aufgrund der Vorgaben des BAG verändert.14

      1Angaben der Deutschen Bischofskonferenz: www.dbk.de/fileadmin/redaktion/Zahlen%20und%20Fakten/Kirchliche%20Statistik/Allgemein__Zahlen_und_Fakten/AH287_Zahlen-und-Fakten-2015-16_internet.pdf, aufgerufen am 20.12.2019.

      2www.dbk.de/fileadmin/redaktion/Zahlen%20und%20Fakten/Kirchliche%20Statistik/Allgemein__Zahlen_und_Fakten/AH287_Zahlen-und-Fakten-2015-16_internet.pdf, aufgerufen am 20.12.2019, kritisch zur zum Teil zu lesenden Angabe der Kirche als dem zweitgrößten Arbeitgeber nach dem Staat Reichold, Verfassungs- und europarechtliche Fragen der Kirchenautonomie im Arbeitsrecht, in: Ebner/Kraneis/Minkner/Neuefeind/Wolff (Hrsg.), Staat und Religion, S. 113: Es gebe weder faktisch noch rechtlich einen „Konzern“ Kirche; „die verfassten Großkirchen bestehen aus kleinteiligen Dienststellen…“.

      3Aymans in: Haering/Rees/Schmitz (Hrsg.), HdbKathKR, 3. Aufl. 2015, S. 322.

      4Aymans in: Haering/Rees/Schmitz (Hrsg.), HdbKathKR, 3. Aufl. 2015, S. 322.

      5Jähnichen Arbeitswelt Kirche – Überblick über die Geschichte der Gestaltung der kirchlichen und diakonischen Arbeitsbeziehungen während des 20. Jahrhunderts, in: Jähnichen/Meireis/Rehm/Reihs/Reuter/Wegner (Hrsg.), Jahrbuch Sozialer Protestantismus, Bd. 8, 2015, S. 21.; vgl. auch: Deutscher Bundestag, Drucksache 17/4928 v. 24.2.2011; Drucksache 17/5305 v. 29.03.2011; Drucksache 17/5523 v. 12.04.2011; Ausschussdrucksache 17(11)826 v. 22.03.2012; Drucksache 17/13569 v. 16.05.2013.

      6Deutscher Bundestag, Drucksache 17/4928, v. 24.2.2011.

      7BAG 20.11.2012 - 1 AZR 179/11.

      8www.verdi.de/++co++4fda84b0-ee5c-11e0-5cea-0019b9e321cd, siehe auch Interview mit Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler: https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2014/contra-dritter-weg-schluss-mit-dem-eigenen-arbeitsrecht-fuer-kirchen-21234, aufgerufen am 19.2.2017.

      9Beschluss des DGB-Bundesvorstandes vom 6. März 2012: www.dgb.de/presse/++co++7039ee66-7726-11e1-7846-00188b4dc422/@@index.html, aufgerufen am 30.03.2017.

      10https://gesundheitsoziales.verdi.de/++file++588136464f5e9218db116b23/download/Brosch%C3%BCre%20Kircheninfo%20Spezial_Abschalten_jetzt_End_2016_2_18.pdf, S. 12, aufgerufen am 06.04.2017.

      11https://caritasdienstgeber.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Faktenblätter/Faktenblatt_Dritter_Weg/Faktenblatt_3.Weg_online.pdf, aufgerufen am 06.04.2017.

      12BAG 20.11.2012 - 1 AZR 179/11.

      13Oxenknecht-Witzsch, Gewerkschaftliche Interessenvertretung in der Kirche, in: Reichold (Hrsg.) Gewerkschaften im Dritten Weg, S. 41.

      14Siehe dazu die Forschungsberichte der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht der Universität Tübingen zur Evaluation der kirchlichen Arbeitsrechtskommissionen aus Umfragen in den Jahren 2015, 2017 und 2019. Die Forschungsberichte sind abrufbar unter: https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/juristische-fakultaet/forschung/institute-und-forschungsstellen/kirchliches-arbeitsrecht/#c1003431, aufgerufen am 30.04.220.

      II.Verortung der Untersuchung

      Die Diskussion um den Dritten Weg und seine an den Vorgaben des BAG orientierte Umsetzung in die Praxis wird fortdauern. In all den Jahren, in denen der Dritte Weg existiert, zeigt sich eine anhaltende Diskussion. Die Akzeptanz des Dritten Weges ist aber zwingend an sein Funktionieren gebunden.15 Es ist das Anliegen dieser Arbeit, zu dieser aktuellen Diskussion beizutragen und die Entstehung und Entwicklung des Dritten Weges in verfasster katholischer Kirche und Caritas, sowie die aktuelle Umsetzung in den Kommissionen und seine Perspektiven zu betrachten. Sucht man heute nach den Begründungen des Dritten Weges in verfasster katholischer Kirche und Caritas so finden sich vor allem das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV, der Gedanke der Dienstgemeinschaft und Art. 7 Abs. 1 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO). Die GrO gibt es aber erst seit 1993 und es erscheint fraglich, ob der Gedanke der Dienstgemeinschaft bereits in der Form, in der er heute besteht, entwickelt war, als beide Akteure

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