Der Dritte Weg in der Retrospektive. Julia Brandt

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Der Dritte Weg in der Retrospektive - Julia Brandt Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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Staat und Kirche, Bd. 10, 1976, S. 70; zu den Möglichkeiten der Begründung kirchlicher Beamtenverhältnisse Sydow, KuR 2009, 229 ff.

      33So can. 231, can. 1286, can. 1290, dazu Hahn, Im Widerspruch zu Rom? Das kollektive Arbeitsrecht in der Kirche zwischen universalkirchlichem Anspruch und staatlichem Recht, in: Crüwell/Jakobi/Möhring-Hesse (Hrsg.), Arbeit, Arbeit der Kirche und Kirche der Arbeit, FS Hengsbach, S. 157 ff.

      34Frank, Dienst- und Arbeitsrecht, in: Friesenhahn/Scheuner (Hrsg.), HdBStKR, Bd. I, 1974, S. 717.

      35In Anlehnung an Jakobi, Konfessionelle Mitbestimmungspolitik, S. 17.

      36Etwa: Frank, RdA 1979, S. 86 ff.; Grethlein, BB, Beil. 10/1980 zu Heft 30/1980; Kleine Vennekate, Dienstgemeinschaft und das kirchliche Arbeitsrecht in der evangelischen Kirche in Deutschland – 1945 bis 1980.

      37Die Frage nach einem ökumenischen Arbeitsrecht behandelt Konrad, Der Rang und die grundlegende Bedeutung des Kirchenrechts im Verständnis der evangelischen und katholischen Kirche, S. 456 ff.

      B.HEUTIGE ANSÄTZE UND URSPRÜNGLICHE RAHMENBEDINGUNGEN

      Die Entstehung des Dritten Weges erfolgte in verfasster katholischer Kirche und Caritas nicht simultan. Das zeigt sich auf den ersten Blick bereits an den unterschiedlichen Zeitpunkten, zu denen die Etablierung eines Kommissionensystems jeweils stattgefunden hat, und begründet sich auch in den divergenten Strukturen von Caritas und verfasster katholischer Kirche. Die Entstehung des Dritten Weges vollzieht sich in mehreren Etappen und beginnt in der Caritas mit dem Einsatz der Ständigen Arbeitsrechtlichen Kommission (StAK) in den 1950er Jahren, in der verfassten Kirche Mitte der 1970er Jahre. Bevor konkret an diese Zeiträume angeknüpft wird, sollen sowohl die heutigen Begründungen des Dritten Weges als auch die Rahmenbedingungen, die über die Jahre geschaffen wurden, betrachtet werden. Dazu zählen sowohl die Strukturen der hier betrachteten Akteure und die Darstellung der jeweiligen Ordnungsgeber des Dritten Weges als auch die staatskirchen- und arbeitsrechtlichen Entwicklungen von Weimar bis 1945. Diese Zeitabschnitte sind für die spätere Entwicklung durchaus von Relevanz. Mit der Frage nach kollektiven Instrumenten des Arbeitsrechts zur Zeit der Weimarer Republik geht auch die Frage nach „Vorgängerregelungen“ des Dritten Weges einher. Der Rechtsnihilismus während der NS-Zeit prägte die Etablierung eigener Arbeitsvertragsrichtlinien- und Ordnungen. Die Rolle der Kirchen und der Caritas nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Entwicklung des aus der Weimarer Reichsverfassung übernommenen Staatskirchenrechts hatten Einfluss auf das Arbeitsrecht bei beiden Akteuren.

      I.Die Regelungsautonomie der verfassten katholischen Kirche und der Caritas im kollektiven Arbeitsrecht

      Wenn man heute nach Bedingungen und Begründungen des Dritten Weges fragt, findet man die Antwort im Verfassungsrecht: Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Demnach „ordnet und verwaltet [jede Religionsgesellschaft] ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. In seinem Urteil zum Dritten Weg 2012 kam das BAG zu dem Ergebnis, dass Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV den Kirchen die Gestaltung der Rechtsverhältnisse mit ihren Mitarbeitern im kollektiven Arbeitsrecht gewährleistet.38 Die Kirchen können aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts ein am Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsregelungsverfahren schaffen.39 Zu den „eigenen Angelegenheiten“ i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV gehören sowohl die Regelung der Dienstverhältnisse als auch die Möglichkeit, zur Regelung der Dienstverhältnisse die Formen des Privatrechts zu nutzen.40 Diese Regelungsautonomie betrifft nicht nur die Frage, „ob“ für kirchliche Bedienstete das weltliche Arbeitsrecht Anwendung finden soll, sondern auch „wie“ diese Anwendung ausgestaltet wird. Eine Religionsgesellschaft kann daher grundsätzlich selbstständig darüber befinden, ob sie die Arbeitsbedingungen durch den Abschluss von Tarifverträgen regelt oder ob sie diese in Arbeitsrechtlichen Kommissionen vereinbart.41 Auch die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO) weist in ihrer Präambel auf die durch das Grundgesetz garantierte Freiheit der Kirche hin, „ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen“.42

      Auf dieses Selbstbestimmungsrecht können sich auch Einrichtungen berufen, die nicht verfasste Kirche sind, sofern sie ihrem Zweck nach auf die Verwirklichung eines kirchlichen Auftrags gerichtet sind und eine institutionelle Verbindung zur Kirche aufweisen, aufgrund derer die Kirche über ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten verfügt.43 So wird die Tätigkeit der verbandlichen Caritas zum einen über Art. 4 Abs. 2 GG geschützt, denn karitative Tätigkeit ist Teil der Religionsausübung, zum anderen gilt auch für diese das Selbstbestimmungsrecht, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV.44 Das deutsche Staatskirchenrecht beruht insofern auf zwei Pfeilern, dem Grundrecht der Religionsfreiheit und den institutionellen Garantien der Weimarer Reichsverfassung, die über Art. 140 GG Anwendung finden.45 Gleichwohl stellen Art. 140 GG und die kirchenrechtlichen Bestimmungen der WRV keine Grundrechte i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG dar, eine etwaige Verletzung dieser Bestimmungen kann jedoch durch eine Verfassungsbeschwerde und eine mögliche Rechtsverletzung der korporativen Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG erreicht werden.46 Soweit sich die Schutzbereiche der korporativen Religionsfreiheit aus Art. 4 GG und des Art. 137 Abs. 3 WRV überlagern, geht letzterer als speziellere Norm insoweit vor, als er das Selbstbestimmungsrecht der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft.47

      Mit den „für alle geltenden Gesetzen“, i.S.v. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV ist nicht der allgemeine Gesetzesvorbehalt gemeint.48 Die Bedeutung dieser Schranke war lange Zeit ungeklärt.49 Heute erfolgt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter, um der Wechselwirkung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck Rechnung zu tragen.50 Das bedeutet insbesondere in dem hier betrachteten Bereich, dass „kirchliche Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen“ sind.51 Ein „für alle geltendes Gesetz“ kann neben kollidierendem Verfassungsrecht auch ein Rechtsgut des Allgemeinwohls sein, beide Rechtspositionen sind in möglichst hohem Maß zu verwirklichen.52

      Diese heutige staatskirchenrechtliche Begründung des Dritten Weges könnte auch ein Motiv der ursprünglichen Entstehung des Dritten Weges gewesen sein. Denn sowohl die Überlegungen für ein eigenes Arbeitsrecht in der Caritas als auch die Arbeit der vom VDD eingesetzten Kommission, die das System der KODA-Ordnungen entwickelte, beginnen zu Zeitpunkten, in denen das Bonner Grundgesetz von 1949 die Kirchenartikel der WRV rezipierte. Die Gegner des Dritten Weges stellen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als eine der tragenden Begründungen des Dritten Weges dagegen aus einer konkreten historischen Überlegung heraus in Frage: Dass das staatliche Arbeitsrecht bei einer privatrechtlichen Anstellung auch für die Kirchen Geltung hatte, war in der Weimarer Republik Konsens. Eine juristische Auseinandersetzung über Art. 137 Abs. 3 WRV, insbesondere eine Rechtsprechungspraxis im Hinblick auf eine Abwägung mit den Interessen der Koalitionen (Art. 159 WRV), gab es zu dieser Zeit, auch mangels eines Verfassungsgerichts, nicht.53 Nitsche bezeichnet es als „Mysterium“, dass zur Zeit der Weimarer Republik die Erstreckung der kollektivrechtlichen Möglichkeiten auf die Kirchen nicht diskutiert wurde und heute aus derselben Norm das Gegenteil hergeleitet werde.54 Der heute weiterhin über Art. 140 GG gültige Art. 137 Abs. 3 WRV habe bereits in der Weimarer Zeit „keine, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht über den Wortlaut hinaus erweiternde Interpretation erhalten.“55 Dieser Aussage lässt sich aber auch in staatskirchenrechtlicher Hinsicht entgegnen: „Bonn ist nicht Weimar“.56 Tatsächlich ist nach Verabschiedung des Grundgesetzes eine wissenschaftliche

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