Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
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Finale Kompetenzzuweisungen
Während im Grundgesetz Sachbereiche in Kompetenzkatalogen aufgeführt werden erfolgt die Kompetenzzuweisung der Verträge allerdings im Wesentlichen vermittels Nennung zu erreichender Ziele. Diese funktionelle Methode erscheint aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechts zunächst ungewöhnlich, weist jedoch auch Vorteile wie insbesondere ein erhöhtes Maß an Flexibilität auf.[31]
VI. Kompetenz-Kompetenz
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Selbstermächtigung und Letztentscheidung
Auch die Entscheidung über eine Kompetenz erfordert eine entsprechende Rechtsmacht, eine Kompetenz: die Kompetenz-Kompetenz. Dieses sprachlich sperrige, gleichwohl unmittelbar einleuchtende Konzept, dass sich beliebig ad infinitum fortschreiben lässt,[32] fragt nach der Selbstermächtigung und der Letztentscheidung. Es stammt ursprünglich aus der deutschen Bundesstaatsdiskussion des 19. Jahrhunderts.[33]
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Keine Kompetenz-Kompetenz der EU
Im europäischen Verfassungsrecht wird der Begriff seit dem Maastricht-Urteil 1993 diskutiert. Das BVerfG stellte seinerzeit klar, dass der vormals in Art. F Abs. 3 EUV (heute Art. 311 AEUV) enthaltene Satz „Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erforderlich sind.“, keine Kompetenz-Kompetenz für die Union begründete, sondern allenfalls eine „politisch-programmatische Absicht“ zum Ausdruck brachte.[34]
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Kompetenz-Kompetenz und Souveränität
Die Frage nach der Kompetenz-Kompetenz in der EU ist in der Gleichsetzung mit Souveränität[35] gleichwohl auch nach 1993 immer wieder thematisiert worden. Diese Gleichsetzung lässt sich allerdings schon aus dem Begriff heraus in Frage stellen: Peter Lerche hat schlüssig dargelegt, dass eine solche Gleichsetzung nicht zulässig ist, wenn man Souveränität als Ausdruck der Unabgeleitetheit von Herrschaftsmacht versteht, weil Kompetenz-Kompetenz eine Rechtsgrundlage voraussetzt, von der aus Kompetenz-Kompetenz gleichsam zugeteilt wird.[36]
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Begrenzter Erklärungswert
Die Übertragung des Begriffs vom bundesstaatlichen Zusammenhang auf andere Kompetenzordnungen sowie seine Anwendung auf gerichtliche Kompetenzen dürfte zulässig sein[37] und mag Veranschaulichungspotenzial bergen. Der Vorwurf „unberechenbarer Selbstausdehnungsmacht“,[38] der sich mit Kompetenz-Kompetenz verbindet, lässt sich aber ohne weiteres mit dem in den Verträgen verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung[39] verarbeiten. Insoweit führt die Frage nach der Kompetenz-Kompetenz letztlich nicht weiter.
VII. Herren der Verträge
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Kloppenburg-Entscheidung
Dies gilt auch für die Chiffre von den Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“. Sie geht zurück auf einen Hinweis des BVerfG in der Kloppenburg-Entscheidung zur Verletzung der Vorlagepflicht an den EuGH durch den BFH im Jahre 1987.[40] Wörtlich heißt es dort: „Nach wie vor sind derzeit die Mitgliedstaaten im Rahmen des allgemeinen Völkervertragsrechts die Herren der Gemeinschaftsverträge“.[41] Unmittelbar im Anschluss: „Zulässig und von den Auslegungsregeln für die Gemeinschaftsverträge her nachgerade geboten ist es indessen, vorhandene Kompetenzen der Gemeinschaft im Lichte und im Einklang mit den Vertragszielen auszulegen und zu konkretisieren“. Überwiegend wird aber verkürzend auf den ersten Teil des Zitats Bezug genommen. Dies verweist freilich auf eine völkerrechtliche Banalität, verdunkelt zugleich aber den Abstand, den die Europäische Union mittlerweile von einer herkömmlichen Internationalen Organisation genommen hat.
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Völkerrechtliche Wurzeln der Gründungsverträge
Bis heute haben die Gründungsverträge unbestritten den Charakter völkerrechtlicher Abkommen. Sogar der 2005 in Referenden gescheiterte Verfassungsvertrag war eben keine Verfassung, sondern ein Vertrag über eine Verfassung für Europa.[42] Zugleich war die europäische Integration von Anfang an als Gebilde angelegt, das weitaus besser mit Konzepten und Kategorien des Verfassungsrechts erfasst werden kann als mit denen des allgemeinen Völkervertragsrechts. Dies belegten die Denkschriften der Bundesregierung zu den Gründungsverträgen aus den 1950er Jahren.[43] Später hat dies der EuGH in seinen grundlegenden Entscheidungen zur Natur der Gemeinschaften bestätigt.[44] Er hat dabei mit der Einordnung des europäischen Rechts als neuartige Rechtsordnung des internationalen Rechts auch eine Entkopplung vom völkerrechtlichen Grundsatz der möglichst souveränitätsschonenden Auslegung bewirkt: Statt in dubio mitius ist eine teleologische Auslegung möglich, die sich auf die Erreichung der Vertragsziele konzentriert („effet utile“).
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Eigengeartetheit der Rechtsordnung
Vor allem aber ist die gesamte Konzeption der Gemeinschaften, heute der Union, gerade im Hinblick auf die Kompetenzausstattung mit keiner anderen völkerrechtlichen Erscheinung vergleichbar. Keine andere überstaatliche Einrichtung hat in diesem Umfang die Möglichkeit, aufgrund überlassener Rechtsmacht eigenes Recht zu setzen. Dem Konzept der „Herren der Verträge“ kommt mithin für den Kompetenzbereich kein über das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung hinausweisender Mehrwert zu.
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Unumgehbarkeit der Mitgliedstaaten
Auf einer deskriptiven Ebene ist es indessen in der Kompetenzdebatte hilfreich, sich gegenüber Vorwürfen der Kompetenzusurpation durch „die EU“ und überhaupt im Hinblick auf die vereinfachende Gegenüberstellung „die EU“ gegen „die Mitgliedstaaten“ stets die Rolle der Mitgliedstaaten im Rat zu vergegenwärtigen. Über ihre starke Stellung dort sind sie schon deswegen nicht zu umgehende Akteure, insoweit „Herren“ der Kompetenzwahrnehmung durch die EU. Als solche sind sie freilich auch für die Kompetenzwahrnehmung durch die EU durchgehend mitverantwortlich. Es deutet sich hier an, dass möglicherweise die eigentlichen Kompetenzkonflikte horizontaler Natur sind.
VIII. Besonderheiten der europäischen Kompetenzordnung
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Spezifische Dynamik